Der EU-Beitritt hat zu einem explosionsartigen Zuwachs des Straßentransits geführt. Wenn wir gegensteuern wollen, müssen wir die Unterordnung unter das EU-Dogma des „freien Warenverkehrs“ beenden. Die Schweiz zeigt, dass es Alternativen gibt.

 Der Unterschied der Entwicklung beim alpenquerenden LKW-Transit zwischen Österreich und der Schweiz ist dramatisch. Der Schweiz ist es gelungen, den gesamten Zuwachs im Gütertransit auf die Schiene zu verlagern. 2016 rollen nicht mehr Transit-LKWs durch die Schweiz als 1994. Zuwachs: Null. Ganz anders in Österreich: Seit dem EU-Beitritt wird Österreich von einer wachsenden Transitlawine überrollt. 2016 rollten 2,8 Millionen mehr LKWs durch Österreich als 1994. 2.800.000 : 0 - dieser Vergleich macht sicher, dass hierzulande etwas kräftig schief läuft. Deutlich mehr als 6 mal so viele Transit-LKWs (6,4 Millionen) brausen durch Österreich als durch unser westliches Nachbarland (sh. Grafik). Ein Zuwachs von knapp 80% gegenüber Mitte der 90er Jahre. In Österreich werden 34 Prozent der Güter des alpenquerenden Güterverkehrs auf der Schiene transportiert, in der Schweiz 63 Prozent. 6 von 10 LKWs, die die Alpen überqueren, nehmen mittlerweile die Route über Österreich. Noch deutlicher ging der grenzüberschreitende Straßengüterverkehr mit dem EU-Beitritt nach oben (sh. Grafik).
Gueterverkehr Grenzueberschreitend

Verdreifachung nach EU-Beitritt

Bezogen auf die Tonnage, die durch Österreich rollt, ist die Entwicklung noch heftiger. Innerhalb eines Jahrzehnts nach dem EU-Beitritt verdreifachte sich fast die Tonnage des grenzüberschreitenden LKW-Transports von, nach und durch Österreich (sh. Grafik). Der sog. „Transitvertrag“, mit dem die ÖsterreicherInnen für den EU-Beitritt geködert wurden, entpuppte sich als Mogelpackung. Denn der EU-Binnenmarkt macht die „Freiheit“ des Warenverkehrs zum heiligen Gral, über den EU-Kommission und EuGH mit Argusaugen wachen. Mit dem EU-Beitritt fiel die nationale Souveränität, den Transitverkehr mengenmäßig zu beschränken, weg. Auch die Souveränität in der Festlegung von Mautgebühren fiel. Das macht eine wirksame Politik zur Einschränkung des Transitverkehrs schwer bis unmöglich. Das hat auch die Tiroler Landesregierung erlebt. Zwei Mal wurden sektorale Fahrverbote von der EU-Kommission bzw. EuGH aufgehoben. Das 2016 erlassene sektorale Fahrverbot wurde zwar schließlich von der EU akzeptiert, allerdings wurde vorher soviel Druck auf die Landesregierung ausgeübt, dass dieses Fahrverbot so lasch ausgefallen ist, dass es kaum eine Wirkung zeigt. „Die Tiroler Landesregierung hat die Hosen weit runtergelassen. Wenn sie so viele Zugeständnisse gemacht hat, ist das Fahrverbot kein Problem mehr.“ (https://www.tageszeitung.it, 17.2.2017), höhnt Elmar Morandell, Großfrächter und Obmann der Berufsgemeinschaft der Warentransporteure. Die Frächterlobby weiß, was sie an der EU-Kommission hat.

„Brutalster Anschlag“

Auch die Schweiz steht unter Druck der EU. So etwa hat sie auf Drängen der EU-Kommission das 28-Tonnen-Limit auf 40-Tonnen angehoben. Trotzdem verbleibt mehr Spielraum für eine umweltfreundliche Verkehrspolitik, wenn man nicht auf Gedeih und Verderb dem Dogma des „freien Binnenmarktes“ ausgeliefert ist. Die Schweiz versteht diese Spielräume zu nutzen: z.B. durch eine hohe LKW-Maut auf allen Straßen, in die auch externe Kosten, wie z.B. Gesundheitsschäden, Unfallkosten – eingerechnet werden. Mit den Einnahmen wird der Eisenbahnverkehr entschlossen ausgebaut. Zwar sieht auch die EU-Wegekosten-Richtlinie mittlerweile die Möglichkeit vor, externe Kosten in eine LKW-Maut einzurechnen. Doch von Kostenwahrheit ist das meilenweit entfernt. Gemäß den Berechnungen des Schweizer Statistikamtes (2014) verursachen schwere Gütertransporte externe Kosten für Umwelt, Gesundheit und Gesellschaft von 7 Cent pro Tonnenkilometer. Das entspricht ganzen 2,8 Euro pro Kilometer für einen 40t-Sattelzug. Aufgrund der aktuellen Vorgaben der Wegekostenrichtlinie dürfen jedoch höchstens 8,64 Cent pro Kilometer bei Berechnung der Maut angesetzt werden. Das entspricht nicht einmal 3 Prozent der auf die Gesellschaft abgewälzten Kosten des Verkehrs.

Dass Österreich nicht einmal diese Spielräume ausnutzt, zeigt, dass sich die Frächterlobby auch in Wien bestens durchzusetzen weiß. Doch selbst da, wo der politische Wille zu höheren Mautgebühren besteht, zeigt die EU rasch Grenzen auf. So musste die ASFINAG 2016 die Sondermaut für den Schwerverkehr am Brenner um 25% senken, da diese nicht der EU-Wegekosten-Richtlinie entsprach. Der Obmann des Transitforums, Fritz Gurgiser, bezeichnete diese von der EU verordnete Mautsenkung für Schwerfahrzeuge als den „brutalsten Anschlag auf den Nordtiroler Zentralraum sowie die Brennerstrecke im Anwendungsbereich der Alpenkonvention von Rosenheim bis Verona.“ (ORF-Tirol, 2.12.2015)

„Lohnsklaventum“ auf der Straße

Das EU-Binnenmarktregime verbilligt den Straßentransport auch dadurch, dass es dem modernen „Lohnsklaventum“ Tür und Tor öffnet. Drei Tage lang sind die LKW-Fahrer ausländischer Speditionsunternehmen von der Entsenderichtlinie befreit, sind also von nationalen Mindestlöhnen und Sozialvorschriften ausgenommen und können zu rumänischen oder polnischen Billigstlöhnen auf Österreichs Straßen ausgebeutet werden. Die Geschwerkschaft vida schätzt, dass dadurch 14.000 Arbeitsplätze in Österreich vernichtet und den öffentlichen Kassen 500 Millionen Euro vorenthalten werden. Die EU-Kommission will diese sog. „Kabotage“ nun sogar auf fünf Tage verlängern - ohne jede Beschränkung der Fahrten. Karl Delfs von der Transportarbeitergewerkschaft (vida): „Das bedeutet, dass die EU-Kommission das österreichische Lohn- und Sozialdumpinggesetz aushebelt!“ Auch bei den ohnehin miserablen Arbeitsbedingungen drohen Verschlechterungen, da der Berechnungszeitraum für verpflichtende Ruhezeiten von 2 auf 4 Wochen ausgeweitet werden soll. Eine Verteilung von 16 Fahrttagen mit nur zwei Ruhetagen wird damit möglich.


Mit dem Dogma das „freien Warenverkehrs“ brechen!

Diese Transitlawinen müssen gestoppt werden – aus ökologischen wie aus sozialen Gründen. Die Instrumente dafür liegen auf der Hand:

  • Sofortiger Stopp des Baus bzw. der Planung neuer Transitrouten (Ostumfahrung Linz, Lobau-Tunnel, Waldviertel-Autobahn, usw.)
  • Unterbindung der Möglichkeiten, mit ausländischen Dumpinglöhnen auf Österreichs Straßen zu fahren
  • Senkungen des zulässigen LKW-Höchstgewichts auf 28 Tonnen
  • Flächendeckende LKW-Maut auf allen Straßen, in die die wirklichen externen Kosen des Straßengüterverkehrs eingerechnet werden (Gesundheit, Unfälle, Klimaschädlichkeit, usw.)
  • Zweckbindung dieser Mittel zum Ausbau des Eisenbahnverkehrs, sodass schrittweise alle nicht-regionalen Transporte verpflichtend von der Straße auf die Schiene verlegt werden können.

Diese Maßnahmen kollidieren an allen Ecken und Enden mit der Unterordnung unter das EU-Binnenmarktregime. Das hat jüngst auch FPÖ-Verkehrsminister Hofer bestätigt, als er meinte, LKW-Obergrenzen seien „wegen europapolitischen Bedenken nicht realistisch.“ (Tiroler Tageszeitung, 15.2.2018). Deshalb absolvieren die Blauen nach CETA nun auch in der Verkehrspolitik einen Bauchfleck vor Brüssel und wollen den Pannenstreifen auf „Hotspots“ wie der Inntal- und Ostautobahn für den Schwerverkehr öffnen. Wir sind dagegen der Meinung: Klimaschutz, Gesundheit, die Förderung der regionalen Wirtschaft und menschenwürdiger Arbeitsbedingungen im Transportgewerbe sind wichtiger als EU-Vorgaben.

Gerald Oberansmayr
(Juni 2018)