Die Zähigkeit und Ausdauer dieser Bewegung ist außergewöhnlich. Seit November 2009 (!) finden wöchentlich Montagsdemonstrationen gegen das Betonmonsterprojekt Stuttgart 21 (S21) statt, wo mit einem Aufwand von unfassbaren 8 Milliarden Euro der Bahnhof  gigantomanisch umgebaut werden soll, sodass er kommerziell besser verwertbar ist, aber an Leistungsfähigkeit für den Regionalverkehr einbüßt. Auf Einladung des "Aktionsbündnisses gegen S21" hielt Boris Lechthaler im Namen der Solidarwerkstatt Österreich auf der sage und schreibe 503. Stuttgarter Montagsdemonstration am 2.3.2020  folgende Rede.

Liebe Stuttgarterinnen, liebe Stuttgarter,
liebe Freundinnen und Freunde,

Ich bin aus Linz und namens der Solidarwerkstatt Österreich möchte ich euch unsere solidarischen Grüße in eurem Kampf gegen sinnlose Betonmonsterprojekte überbringen.

Liebe Freundinnen und Freunde,

es gibt ja aktuell eine große Klimaschutzbewegung. Und diese Klimaschutzbewegung hat dazu beigetragen, dass wir eine neue Bundesregierung haben; dass wir keine türkis-blaue Regierung mehr haben, die sich z. B. hervorgetan hat, mit Projekten der Einführung einer 140kmh Zone auf der Westautobahn, sondern dass wir jetzt eine türkis-grüne Regierung haben, die sich, im Regierungsprogramm zumindest, dadurch versucht hervorzuheben, dass sie eine Klimaschutzpolitik einleiten will.

Wie schaut? Liebe FreundInnen und Freunde, wie schaut diese Klimaschutzpolitik im Einzelnen aus.

Angekündigt wurde z. B. 1 Mrd Eur für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Weiters wurde angekündigt eine weitere Mrd für den Ausbau des Öffentlichen Regionalverkehrs. Gut. Das sind zusammen 2 Mrd. Euro. Das erscheint uns viel Geld. Doch setzen wir das in Relation zum Zeitraum, in dem dieses Geld ausgegeben werden soll. In dieser fünfjährigen Legislaturperiode soll dieses Geld ausgegeben werden. Das sind, wenn man das herunterbricht, läppische 400 Mio Euro pro Jahr, die für den Ausbau des Öffentlichen Personen Nah- und Regionalverkehrs ausgegeben werden sollen.

Schauen wir uns in Relation dazu andere Geldmittel an, die gleichzeitig ausgegeben werden. Für die großen Tunnelbauprojekte bei der Bahn, die derzeit in Österreich laufen, werden insgesamt 18 Mrd. Euro derzeit investiert. Alleine für den Brennerbasistunnel werden 10 Mrd Euro ausgegeben. Und dieser Brennerbasistunnel dient nicht dem öffentlichen Personen Nah- und Regionalverkehr, sondern einzig und allein dem Grütertransit, der Beschleunigung des Warenvekehrs im europäischen Binnenmarkt.

Das müssen wir stoppen. Wir brauchen die Umleitung dieser Mittel in Richtung eines menschengerechten Verkehrs.

Wir haben errechnet, es werden nicht nur 18 Mrd Euro für Tunnelbauprojekte derzeit ausgegeben, sondern in Bau und in Planung sind an die 20 Mrd Euro für Straßenbauprojekte und Flughafenausbau in Österreich. Und das unter einer türkis-grünen Regierung. Wir sehen, nur der Widerstand von unten kann diese Politik beenden.

Wir haben derzeit in Oberösterreich die Diskussion um die Einführung eines Öffitickets für alle Verkehrsträger im Nah- und Regionalverkehr. Dieses Öffiticket soll vergleichbar wie in Wien 365 Euro kosten, also einen Euro pro Tag. Das würde einen Zuschuss aus Landesmitteln in Höhe von 25 Millionen Euro erfordern. Und der derzeitige Verkehrslandesrat der FPÖ, Steinkellner, sagt, diese 25 Millionen Euro sind ihm zuviel Geld. Dieses Geld investiert er lieber in den Ausbau der Infrastruktur. Das ist das Problem, mit dem wir konfrontiert sind.

Liebe Freundinnen und Freunde,

wir erleben jetzt aktuell, dass die Jugend aufsteht im Rahmen der Klimaschutzbewegung. Ich bin schon ein etwas älteres Semester und ich kann mich gut erinnern, dass all die Fragen, die heute diskutiert werden, bereits vor 30 Jahren diskutiert worden sind. Wir blicken auf 30 verlorene Jahre zurück. Und diese 30 Jahre haben wir deshalb verloren, weil Österreich unbedingt dem Europäischen Binnenmarkt beitreten musste, um ein paar Zehntel Prozent mehr Wachstum zu erreichen. Das ist das Problem, mit dem wir konfrontiert sind.

In den vergangenen 30 Jahren sind etwa nicht Wegwerfprodukte abgeschafft worden, Pfandsysteme eingeführt worden, sondern sie sind vor 25 Jahren abgeschafft worden. Die Schieneninfrastruktur gerade im Nah- und Regionalverkehr ist in den vergangenen 25 Jahren um 15 Prozent reduziert worden. Das ist das Problem, vor dem wir heute stehen. Und wir sind froh, dass die jungen Menschen wieder aufstehen und wieder anknüpfen an das, wo wir bereits vor 25, dreißig Jahren waren.

In den vergangen 25 Jahren sind demgegenüber die CO2 Emissionen um 50% gestiegen.

Liebe Freundinnen und Freunde,

wir haben derzeit in Österreich eine Diskussion über Lebendtiertransporte. Und eine große österreichische Tageszeitung hat einen runden Tisch einberufen, um diese grausame Praxis der Lebendtiertransporte zu beenden. Aber alles, was bei diesem runden Tisch herausgekommen ist, man will an die Europäische Union appellieren, den Lebendtiertransport in Drittstaaten abzuschaffen. Die Beschränkung von Lebendtiertransporten innerhalb des Binnenmarkts traut man sich gar nicht mehr anzusprechen. Das ist die Situation vor der wir stehen.

Die Politikerinnen und Politiker der führenden Parteien, sowohl in der Regierung als auch in der Opposition, versuchen heute den Menschen zu vermitteln, eine Politik in Richtung Klimaschutz brauche bloß andere Technologien. Es könne alles so weitergehen wie bisher, man braucht bloß andere Antriebstechnologien. Insbesondere sehen wir das beim Ausbau des hochrangigen Straßennetzes. Man baut weiter Betonpisten durch die Landschaft und suggeriert, wenn darauf dann in Zukunft Elektromobilität herrscht und selbstfahrende Autos fahren mit Elektroantrieb, dann wäre das Klimaproblem lösbar.

Liebe Freundinnen und Freunde,

das ist ein gigantischer Irrtum. Ein Irrtum, der uns ins Verderben führen wird. Wir müssen diesen Irrtum aufklären. Wir müssen den Weg in diesen Irrtum stoppen und umkehren, Wir brauchen eine Politik nicht nur der Verlagerung des Verkehrs. Wir brauchen auch eine Politik die Verkehrswege verkürzt, die wieder regionalwirtschaftliche Kreisläufe einführt, die Regionalität fördert. Wir brauchen eine Politik, die Verkehr vermeidet, sowohl im Güterbereich als auch im Personenverkehrsbereich. Z. B. durch eine andere Raumordnungspolitik. Nur wenn wir Verkehre verlagern, verkürzen und vermeiden, können wir eine wirkliche Klimaschutzpolitik durchführen und durchsetzen. Das ist die Botschaft, die ich hier an euch von Linz aus übermitteln will. Gemeinsam sind verbunden. Denken wir global, handeln wir lokal. Verhindern wir Betonprojekte. Setzen wir eine echte Klimaschutzpolitik durch.

Danke für eure Aufmerksamkeit.

Flyer des Aktionsbündnisses gegen S21
http://www.kopfbahnhof-21.de/wp-content/uploads/Alternativlos.pdf