Winfried Wolf ist am 22. Mai in Berlin 74-jährig nach schwerer Krankheit gestorben. Die Nachricht von seinem Tod hat uns als Solidarwerkstatt tief getroffen. Ein Nachruf für einen Freund.
Über seine rastlose politische Vita zu schreiben, würde hier jeden Rahmen sprengen. Sie umfasst sowohl das jahrzehntelange Engagement in zahlreichen außerparlamentarischen Bewegungen als auch etliche Jahre im deutschen Bundestag (1994 bis 2002) als Abgeordneter der PDS. Die mit der parlamentarischen Arbeit oft verbundene Neigung zur Anpassung und zum Einrichten in den Verhältnissen, waren ihm fremd. Als seine Partei begann, auf Länderebene neoliberale Programme mitzutragen, zog er die Konsequenzen und trat aus der Partei aus. Doch umso mehr stürzte er sich in die außerparlamentarische Arbeit – als unermüdlicher Organisator, Ideengeber und Vernetzer, z.B. bei den seit Jahren wöchentlichen (!) Demonstrationen gegen das Monsterprojekt Stuttgart 21, als Sprecher des Bündnisses „Bahn für alle“ gegen die Bahnprivatisierung sowie im vielfältigen Engagement für die Klima- und Friedensbewegung. Winfried Wolf verfasste über die Jahre hinweg ein geradezu legendäres publizistisches Werk, das von zahlreichen Fachbüchern, Broschüren, Artikeln bis hin zur Herausgabe verschiedener Zeitschriften reichte – bis zuletzt war er Chefredakteur der Zeitschrift Lunapark21 und der „Zeitung gegen den Krieg“. Zumeist recherchierte er für seine Arbeit auf den tausenden Kilometern, die er jedes Jahr in der Bahn auf den Wegen zu seinen Auftritten zurücklegte.
Theorie und Praxis gingen bei ihm immer Hand in Hand. Das machte ihn zu einem hochgefragten Referenten, Diskutanten und Demo-Redner im ganzen deutschsprachigen Raum. Immer wieder auch in Österreich, nicht selten auf Einladung der Solidarwerkstatt. Wir haben mit ihm über mehrere Jahrzehnte zusammengearbeitet, der Kontakt mit ihm war manchmal intensiver, manchmal auch lockerer, ist aber seit den 90ere Jahren des vergangenen Jahrhunderts nie abgerissen. Immer wieder haben wir ihn – als inhaltlich beschlagenen und brillanten Vortragenden – zu Buchpräsentationen und Veranstaltungen, die wohl in die Dutzende gingen, eingeladen und saßen diskutierenderweise oft noch lange nach diesen Veranstaltungen mit ihm zusammen.
Mit Winfried hat uns das Streben nach einer Welt, in der die Dominanz der Kapitalwirtschaft überwunden wird, verbunden; es waren aber vor allem zwei Themen, bei denen er uns immer wieder mit seinem umfangreichen Wissen und scharfen Analysen unterstützte: das friedensbewegte Engagement gegen die Kriege imperialer Großmächte und der Einsatz für eine klimafreundliche Verkehrswende. Mit seinem visionären Standardwerk „Eisenbahn und Autowahn“ legte er bereits in den 80er Jahren die Grundlage für die heutige Debatte um eine ökologische Verkehrswende und den Ausstieg aus dem Automobilismus. Er verstand es hervorragend, die allgemeine Losung „Eine andere Welt ist möglich!“ auf konkrete handlungsstiftende Alternative herunterzubrechen, denn letztlich ging es ihm immer um solidarisches Handeln für eine bessere Welt hier und heute – über ideologische Grenzen hinweg. Noch bei der letzten Solidarwerkstatt-Veranstaltungsreise im Frühjahr 2022, bei der er sein Buch „Tempowahn“ vorstellte, sprühte er vor Ideen für weitere Projekte, hoffnungsvoll, dass es ihm gelingt, seine Krankheit zu überwinden.
Die Solidarwerkstatt Österreich hat mit Winfried einen politischen und manche von uns auch einen persönlichen Freund verloren. Sein Tod reißt eine große Lücke, doch seine Arbeit und sein Werk leben weiter, bleiben Inspiration und Hoffnung für alle, die sich für eine menschengerechte und nachhaltige Zukunft einsetzen. Wir trauern um ihn und mit seinen Angehörigen. Rest in Peace, Winfried!
Vorstand der Solidarwerkstatt Österreich
(Mai 2023)
In Memoriam:
Videos von Vorträgen von Windfried Wolf auf Einladung der Solidarwerkstatt Österreich:
Tempowahn - Vom Fetisch der Geschwindigkeit zur Notwendigkeit der Entschleunigung