Aus Anlass des Treffens der EU-Energie- und Verkehrsminister fand in Linz am 17. September 2018 eine Protestkundgebung unter dem Motto „Politik für Mensch und Umwelt – statt Europa der Konzerne!“ statt. Hier die Rede von Gerald Oberansmayr für die „Initiative Verkehrswende jetzt!“ bei dieser Kundgebung am Linzer Tummelplatz.
Das Motto unserer Kundgebung lautet „Politik für Mensch und Umwelt – statt Europa der Konzerne!“ Gerade aus verkehrspolitischer Sicht gibt es viel zu sagen zum Europa der Konzerne. Es gibt ja bekanntlich eine höchst einflussreichen Lobbyorganisation der europäischen Großindustrie - den sog. „European Round Table of Industrialists“ (ERT). Hier sitzen die Chefs der 50 größten europäischen Industriekonzerne beisammen, um Einfluss auf die Politik zu nehmen. Dieser "Runder Tisch der Großindustrie" entwickelte in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zwei äußerst einflussreiche Initiativen: das eine war die Entwicklung des EU-Binnenmarktes – also schrankenloser Waren- und Kapitalverkehr am gesamten Kontinent. Das andere waren die sog. „Transeuropäischen Netze“ – hier ging es darum, für diesen schrankenlosen Waren- und Kapitalverkehr die entsprechende Verkehrsinfrastruktur zu schaffen – also vor allem tausende Kilometer Autobahnen und Schnellstraßen.
Hemmungsloser Freihandel – schrankenloser Warenverkehr – Transeuropäische Netze
Wir wissen, dass beide Initiativen der Großindustriellen - in ihrem Interesse - höchst erfolgreich waren. Der hemmungslose Waren- und Kapitalverkehr gehört heute zum Heiligtum der EU-Verträge – das hat nicht zuletzt verkehrspolitische Auswirkungen: Tomaten aus Spanien, Schinken aus Italien, Kartoffel aus Deutschland werden tausende Kilometer transportiert. In einem Glas Joghurt stecken bis zu 9.000 Transportkilometer. Großbetriebe, Massentierhaltung, Agrokonzerne wachsen, während die regionale Wirtschaft verkümmert. Und vor allem explodiert der Verkehr, insbesondere auf der Straße, denn diese wurde im Rahmen der "Transeuropäischen Netze" in den letzten Jahrzehnten massiv ausgebaut.
EU: Jedes Jahr plus 1.100 km Autobahn, minus 540 km Eisenbahn
Dazu einige Zahlen: Seit Anfang der 90er Jahre, also seit Einführung des EU-Binnenmarktes und der schrittweisen Umsetzung der TEN ist in den EU-Staaten das Autobahnnetz von 39.000 km auf 67.000 km angewachsen. Also ein Zuwachs, der fast der halben Äquatorlänge entspricht – das entspricht einem Wachstum des Autobahnetzes von über 1.100 km jährlich. Das heißt: Jedes Jahr wurden Autobahnen mit der Länge der Strecke Wien-Paris betoniert. Gleichzeit ist das Schienennetz seit 1990 um über 13.000 km geschrumpft, das sind rd. 540 Kilometer weniger – und zwar jährlich. Zum Vergleich: Das entspricht der Strecke Wien – Berlin, um die jährlich das Schienennetz geschrumpft ist.
Und in dieser Tonart soll es weitergehen: Das EU-Autobahn und Schnellstraßennetz soll in den nächsten Jahren bis 2030 bzw. 2050 um weitere viele tausende Kilometer erweitert werden, das Straßenzubringernetz zu diesem Autobahnnetz noch einmal um viele Zehntausend Kilometer. Über die verschiedenen Freihandelsabkommen (CETA, JEFTA, TTIP, TiSA) wird der Verkehr noch zusätzlich angeheizt – vor allem auch der besonders klimaschädliche Flugverkehr. Getoppt wird diese verrückte Entwicklung noch dadurch, dass die EU vor kurzem beschlossen hat, viele Milliarden dafür zur Verfügung zu stellen, um diese TEN-Strecken „panzerfit“ zu machen, also für den Transport von schwerem Kriegsgerät zusätzlich auszubauen, damit die Panzer noch schnell in verschiedene Kriegsgebiete rollen können.
Klimaschutz predigen, Autobahnen bauen!
Dieselbe Entwicklung haben wir in Österreich: Seit Anfang der 90er Jahre ist das Autobahn- und Schnellstraßennetz um 30% gewachsen (plus 548 km) und das Schienennetz um 16% geschrumpft (minus 921 km).
Solche TEN-Netze in Österreich waren bzw. sind z.B. die Pyhrnautobahn und die S10-Schnellstraße durch das Untere Mühlviertel bzw. auch der Ausbau der 6-spurigen Linzer Voestbrücke zu einer Monsterbrücke mit 10 Fahrstreifen; zu den TEN-Netzen gehört auch der Lobau-Tunnel in Wien und die 3. Piste am Flughafen Schwechat. Es ist wenig bekannt, dass der VfGH das Urteil zum Baustopp der 3. Piste ausdrücklich mit dem Verweis auf die Transeuropäischen Netze der EU aufgehoben hat. Der Transitverkehr ist in Österreich ist seit dem EU-Beitritt explodiert. Die Anzahl der grenzüberschreitenden LKWs ist seit 1995 um 2,8 Millionen gestiegen.
Der Autoverkehr und zunehmend auch der Flugverkehr gehören zu den Hauptverursachern klimaschädlicher Emissionen. Und was macht die verantwortliche Politik in Österreich? In ihren Sonntagsreden beschwören die politisch Verantwortlichen die Bedeutung Klimaschutzes, und was sie nicht alles für unser Klima tun werden. Und was machen sie während der Woche?
Am Montag bauen sie den Westring, eine 10-spurige Voestbrücke und die Ostumfahrung in Linz,
am Dienstag bauen sie den Lobautunnel in Wien,
am Mittwoch bauen sie die Waldviertelautobahn in Niederösterreich,
am Donnerstag bauen sie die 3. Piste am Schwechater Flughafen,
am Freitag werden wieder ein paar Regionalbahnen stillgelegt,
am Samstag wird das Tempolimit auf Autobahnen erhöht und ein Standortentwicklungsgesetz beschlossen, um den Widerstand der Bürger gegen solche Großprojekte zu verhindern.
Und am Sonntag wird natürlich wieder der Klimaschutz beschworen.
Das ist Heuchelei! Diese Entwicklung ist völlig falsch! Wir brauchen – gerade aus Gründen des Klimaschutzes – dringend eine umweltfreundliche Verkehrswende.
Verkehrswende jetzt!
Die Alternativen zu dieser verkehrten Verkehrspolitik liegen hier und heute auf der Hand:
- Stopp dem Bau neuer Megastraße! Gerade in Linz erleben wir derzeit eine Straßenbauwut der Sonderklasse. Derzeit führen 16 Autofahrstreifen über die Donau; wenn alle Megastraßenprojekte realisiert werden, die derzeit in Bau bzw. in Planung sind, könnten es in einem Jahrzehnt 30, also fast doppelt so viele sein.
- Kostenwahrheit im Verkehr – d.h. sofort eine Schwerverkehrsabgabe auf allen österreichischen Straßen, die den realen Kosten entspricht (Umwelt-, Klimakosten, Unfälle), um den Gütertransport auf die Schiene zu verlagern
- Ausbau der sanften Mobilität: Ausbau eines attraktiven, leistbaren Öffentlichen Verkehrs, aber auch Förderung des Radfahrens und Fußgehens. Gerade eine Stadt wie Linz mit einem Radfahranteil von knapp 8% hat da noch enorm viel Luft nach oben. Zum Vergleich: Die Kosten für den 10-spurigen Ausbau der Voestbrücke entsprechen 600 Jahren des jährlichen Linzer Radfahrbudgets. Das zeigt, wo derzeit die Prioritäten liegen. Hier gibt es gewaltiges Potential. Fast die Hälfte aller Autowege in der Stadt liegen unter 5 km – eine ideale Distanz für das Rad!
Eine solche Politik für Mensch und Umwelt wird nicht von alleine kommen. Dafür müssen wir aktiv werden. Wer sich für Verkehrswende und Klimaschutz in Linz und Oberösterreich einsetzen will, ist herzlich eingeladen bei der „Initiative Verkehrswende jetzt!“ mitzumachen.
(17.9.2018)
Hier das Video von der Protestkundgebung „Politik für Mensch und Umwelt – statt Europa der Konzerne!“ zum Nachsehen.