Mit den neuen EU-Liberalisierungsdiktaten droht die Zersplitterung des Bahnverkehrs und die Zerschlagung bzw. der Ausverkauf der ÖBB. Die Kampagne „Sag Ja zur Bahn in Rot-Weiß-Rot!“ macht dagegen mobil.

Die EU ist Motor der Liberalisierung auch im Eisenbahnverkehr. Mittlerweile vier sog. „Eisenbahnpakete“ sollen dafür sorgen, dass der Wettbewerb auf der Schiene angekurbelt wird. Damit soll – so die EU-Kommission - Bahnfahren und das Bahnnetz attraktiver werden. Von Fakten lassen sich die Gralshüter des Neoliberalismus in Brüssel dabei wenig beeindrucken.

11.000 Jahre Verspätung
Dort, wo am meisten liberalisiert und privatisiert worden ist, ist das Bahnfahren besonders unattraktiv: in Großbritannien. Denn private Aktionäre wollen lieber rasche Dividende sehen, als in langfristige Infrastrukturen zu investieren. Selbst die konservative Times rechnete 2005 vor, dass sich in zehn Jahren Bahnprivatisierung das Ausmaß der Verspätungen auf 11.000 Jahre aufsummiert hatte. Bahnfahrten dauern aber nicht nur immer länger, sie wurden auch ziemlich gefährlich. Die privaten Eigentümer ließen das Wartungs- und Reparaturpersonal halbieren, um ihre Gewinnausschüttungen aufzufetten. Innerhalb weniger Jahre nach der Privatisierung verdoppelten sich die Bahnunfälle und verdreifachte sich die Zahl der bei Zugunglücken Getöteten. Das Schienennetz musste schließlich mit Milliardenbeträgen aus Steuergeldern teuer reverstaatlicht werden.
Die britischen Bahnbetreiber blieben jedoch weiterhin privat. Die Folgen: Das Bahnfahren in Großbritannien ist nicht nur sauteuer, sondern auch wirtschaftlich ziemlich ineffizient. In der Schweiz mit seiner staatlichen Bahn kostet der Personenkilometer gerade einmal die Hälfte desjenigen der privaten britischen Eisenbahnen. Der Grund: Durch Liberalisierung und Privatisierung wurde das Gesamtsystem zersplittert und Synergieeffekte, die sich durch Kooperation ergeben, zerstört. Anstelle eines zusammenhängenden Bahnunternehmens, mit einem Management, einem koordinierten Netz und Fahrplan, entstanden 25 konkurrierende Bahnunternehmen, mit 25 Managements und nicht aufeinander abgestimmten Fahrplänen und Infrastrukturen. Anstelle von Zusammenarbeit tritt lähmender Kleinkrieg zwischen den Eisenbahngesellschafen. Network Rail beschäftigt alleine 600 AnwältInnen, deren Aufgabe es ist, sich mit den Bahnbetreibern zu streiten, wer für Verspätungen und Ausfälle verantwortlich ist.

4. Eisenbahnpaket zersplittert Eisenbahnverkehr
Mit den EU-Richtlinien des 4. Eisenbahnpakets, das 2016 beschlossen wurde, soll dieses zersplitterte Eisenbahnsystem EU-weit durchgesetzt werden. Dieses beinhaltet:

  • Infrastruktur und Betrieb müssen getrennt werden.
  • Standardisierte Vergabeverfahren sollen ab Ende 2019 dafür sorgen, dass sich Eisenbahnunternehmen auch in den Nachbarländern bewerben können.
  • Auch sog. „gemeinwirtschaftliche Leistungsverträge“, mit denen die öffentliche Hand gemeinwirtschaftlich erwünschte Leistungen finanziert, die nicht über Tarife abgegolten werden, sollen ab spätestens 2023 EU-weit ausgeschrieben werden. Direktvergaben sollen nur mehr in Ausnahmefällen möglich sein.

Private Rosinenpicker
Durch diese Liberalisierung droht das „Rosinenpicken“ (siehe Westbahn in Österreich) zur Norm zu werden, denn Private bewerben sich in erster Linie um die profitablen Hauptstrecken, unprofitable Nebenstrecken und Tagesrandzeiten sind wenig interessant. „Sie glauben doch nicht, dass wir uns nach den faulen Äpfeln bücken“, brachte ein Manager des französischen Eisenbahnkonzerns Keolis diese Rosinenpicker-Mentalität auf den Punkt (Die Welt, 31.10.2009). Schon die bisherigen Liberalisierungsschritte haben in Österreich zu einem Regionalbahnsterben geführt. Seit Mitte der 90er Jahre ist das österreichische Schienennetz um 15% geschrumpft.

Zerschlagung und Ausverkauf der ÖBB drohen
Durch die völlige Marktöffnung könnte der ÖBB mit der Deutschen Bahn ein übermächtiger Konkurrent entstehen, der mit - anfänglichen - Dumpingangeboten bei Ausschreibungen das Geschäft an den Hauptstrecken an sich zieht. Damit droht die Zerschlagung bzw. der Ausverkauf der ÖBB an ausländische Konzerne. „Die Deutsche Bahn, die französische Staatsbahn SNCF mit Töchtern, die stehen schon in den Startlöchern“, warnt Roman Hebenstreit, Vorsitzender der Gewerkschaft-vida (Die Presse, 26.6.2017). Im liberalisierten Bahnmarkt wird aus dem öffentlichen Monopol rasch ein privates Monopol, auf das kaum mehr demokratischer Einfluss ausgeübt werden kann. Das würden auch die ArbeitnehmerInnen zu spüren bekommen. Fast alle Liberalisierungsschritte zeigen: Die Konkurrenz findet nicht durch attraktivere Angebote, sondern vor allem durch Arbeitsplatzabbau und Druck auf Löhne, Arbeitsbedingungen und Sicherheitsstandards statt.

Kampagne „Sag Ja zur Bahn in Rot-Weiß-Rot!“
Die Solidarwerkstatt war ziemlich alleine, als wir uns 2009 gegen das 3. Eisenbahnpaket wehrten. Wir haben damals einige tausend Unterschriften unter eine Petition gegen dieses Liberalisierungspaket gesammelt und dem Nationalrat überreicht. Es ist erfreulich, dass der Widerstand gegen Ausverkauf und Liberalisierung angesichts des 4. Eisenbahnpakets breiter wird. Gewerkschaft vida und Wirtschaftskammer haben die Kampagne „Für eine Bahn in Rot-Weiß-Rot!“ ins Leben gerufen. Das lässt die Hoffnung aufkommen, dass sich die Interessensvertreter vom Gängelband der Regierungsparteien lösen könnten, die diese EU-Liberalisierungspolitik unterstützen. Die Solidarwerkstatt ruft auf, diese Aktion zu unterstützen (bahninrotweissrot.at).

Mehr Kooperation statt Marktdogmatismus!
Wir sind der Meinung: Wir brauchen im Öffentlichen Verkehr nicht Konkurrenz, Zersplitterung und Privatisierung, sondern starkes öffentliches Eigentum und mehr Kooperation. Nur so können Synergieeffekte im Interesse der KundInnen und des Umweltschutzes optimal ausgeschöpft werden:

  • dichter integriertei Taktfahrplan, in dem Hochleistungsstrecken und Regionalverkehr mit größtmöglichem Umsteige- und Bedienvertrauen aufeinander abgestimmt sind; Vorbild sollte dabei das Nicht-EU-Land Schweiz sein, in der ein Halbstundentakt zwischen allen regionalen Zentren existiert
  • vorausschauende Infrastrukturpolitik: rascher Ausbau von Bahnstrecken (z.B. zweigleisiger Ausbau der Bahnverbindung Linz – Graz); Schluss mit dem Stilllegen von Regionalbahnen; Erschließung auch des ländlichen Raumes durch einen attraktiven Öffentlichen Verkehr;
  • Quersubventionierungen von „produktiven“ und „unproduktiven“ Strecken
  • einheitliche Tarife und Fahrscheine innerhalb von Verkehrsverbünden
  • Ersatzmaßnahmen bei Störungen; Sicherstellung der Möglichkeit zu spontaner Mobilität

Auch für darüber hinausgehende Schritte zur Förderung umweltfreundlicher Mobilität wie z.B. der Einführung eines Nulltarifs ist ein kooperativ organisierter Öffentlicher Verkehr eine unabdingbare Voraussetzung. Die EU-Liberalisierungsdiktate stehen dem diametral entgegen.

Gerald Oberansmayr

(Werkstatt-Blatt 3/2017)


bauer norbert webStatement von Norbert Bauer
Vorsitzender der Solidarwerkstatt Österreich

"Als vida-Funktionär und Aktivist der Solidarwerkstatt Österreich unterstütze ich die Initiative ‚Sag Ja zur Bahn in Rot-Weiß-Rot‘ der Gewerkschaft vida und des Fachverbandes Schienenbahnen in der Wirtschaftskammer Österreich, weil neben den wichtigen inhaltlichen Anliegen auch die politische Stoßrichtung eine bedeutsame ist. Gewerkschaft und Wirtschaftskammer kämpfen gemeinsam (!) gegen die verheerenden Auswirkungen einer EU–Verordnung. Ein erster Schritt in eine politisch wichtige Richtung: eine Art Schulterschluss der Sozialpartner zur Entzauberung gängiger EU-Mythen auf Grundlage einer intensiven Auseinandersetzung mit den Inhalten und Auswirkungen nicht nur dieser speziellen EU- Verordnung, sondern – in Wahrheit – sämtlicher EU–Verträge. In diesem Sinne: ‚Sag Ja zur Bahn in Rot-Weiss-Rot‘“!"

(aus Werkstatt-Blatt 3 September 2017)