Geht es nach den finnischen Stadtplanern soll sich Finnlands Hauptstadt Helsinki bis zum Jahr 2050 zu einer Metropole mit ca. zwei Millionen Menschen entwickeln. Im Zuge dessen wird der Nahverkehr völlig neu gedacht – weg vom autozentrierten Denken. Autobahnen werden rückgebaut, Straßenkreuzungen verkehrssicherer gestaltet, Öffis ausgebaut und Smartphone-Sharing-Apps programmiert.

Nahverkehr ausbauen

Helsinki hat es sich zum Ziel gesetzt, bis 2025 eine Infrastruktur aufzubauen, die Privat-PKWs überflüssig macht. Um dem durch den Bevölkerungsanstieg höheren Mobilitätsbedürfnis gerecht zu werden, hat die Stadtregierung den Nahverkehr stark ausgebaut. Die Metro wurde bis in die Nachbarstadt Espoo verlängert, 2015 eröffnete eine Regionalbahn, die den internationalen Flughafen an das Stadtzentrum anbindet. Ein Außenring, der von einer Straßenbahn bedient wird soll, ist ebenfalls im Entstehen.

Autobahnteile abreißen

Und auch das andernorts unantastbare Straßennetz ist den Stadtplanern in Helsinki nicht heilig. Bisher ist es gelungen, für drei der sieben Hauptverkehrsadern Finnlands, die bis tief in die Stadt führen, einen Teilabriss durchzusetzen. Die Stadtplaner wollen stattdessen breite Boulevards errichten, mit jeder Menge Platz für Freizeitaktivitäten, neue Straßenbahnlinien und Fahrradwege. Auf den frei werdenden Flächen sind neue Wohnviertel mit Platz für bis zu 250.000 Menschen geplant, aber möglichst wenig Raum für Autos.

Vorfahrt für Radfahrer

Helsinki ist bereits jetzt ein Paradies für RadfahrerInnen, mit Fahrradschnellwegen sogenannten „Baanas“ und 1200km Fahrradnetz in der Stadt. Bereits 2012 eröffnete Helsinki die erste "Baana“ und eine weitere vom Zentrum in die östlichen Stadtteile ist bereits in Planung. Der Radverkehr genießt seit einigen Jahren Vorfahrt. Schon vor einigen Jahren wurde eine der wichtigsten Ausfallstraßen, die Hämeentie, grundlegend umgestaltet. Im Teilabschnitt durch den Stadtteil Kallio herrscht seither ein Durchfahrverbot für Autos. Ausnahmen gibt es für Anrainer. Breite, baulich getrennte Radwege auf beiden Straßenseiten und mehr Platz für Straßenbahnen, Busse und Fußgänger findet man jetzt dort, wo vorher die Verkehrslawinen stauten.

Lebenswerter, sicherer

Auch kleine Korrekturen sollen Helsinki lebenswerter und vor allem sicherer machen. Tempolimits wurden bereits 2018 auf Hauptstraßen von 50 auf 40 km/h und auf Nebenstraßen von 40 auf 30 km/h reduziert. Nun werden besonders gefährliche Straßenkreuzungen adaptiert, indem die Fahrspuren für Autos verengt und die Gehsteige verbreitert werden.

App verbindet

Die erfolgreiche finnische App Whim bietet Autobesitzenden Anreize, den privaten Pkw abzuschaffen und auf öffentliche und geteilte Verkehrsmittel umzusteigen, wodurch Staus reduziert und Flächen für Parkplätze gespart werden. Gut für das Klima und die Lebensqualität der in der Stadt Lebenden und für Gäste. Die App integriert alle Verkehrsmittel (Bus, Bahn, Taxi, Leihrad, Mietwagen), und zeigt den schnellsten multimodalen Weg an. Über die App können alle Tickets gebucht werden. Erste Untersuchungen zeigen, dass 95 Prozent der Wege mit Whim mit dem öffentlichen Nahverkehr zurückgelegt werden.

Damit die Nutzung gut funktioniert, war es wichtig, dass neben einem bereits gut ausgebauten öffentlichen Verkehrsnetz und verfügbarer digitaler Infrastruktur auch ein gesetzlicher Rahmen zur Förderung geschaffen und öffentliche Verkehrsnetze verpflichtet wurden, ihre Fahrpläne und Echtzeitdaten öffentlich zu machen.

Soziale Aufgabe

Das Modell bleibt aber bisher beschränkt auf Menschen mit den entsprechenden finanziellen Mitteln. Mobilität soll aber für alle Einkommensgruppen leistbar sein. Um Mobilitätsarmut und „technologischen Gentrifizierung“ von Mobilität entgegenzuwirken, braucht es Rahmenbedingungen, die leistbaren Zugang zum ÖPNV - auch für Menschen ohne Smartphone, Bankkonto oder digitalen Kenntnissen - möglich machen. Dann profitieren alle Menschen von weniger Autoverkehr, mehr ÖPNV, Fuß- und Radinfrastruktur und mehr Raum für Begegnungen.

Eveline Steinbacher
(Werkstatt-Blatt 2022)