EU-Richter wollen sektorales Fahrverbot auf der Inntalautobahn kippen. Seit 1994 hat der Alpentransitverkehr auf der Straße 10 Mal so stark zugenommen wie im Nicht-EU-Staat Schweiz. Schwere Atemwegserkrankungen von Kindern im Tiroler Inntal haben sich seit 2002 verdoppelt.
Kurz vor Weihnachten hob der EU-Gerichtshof (EUGH) das sektorale Fahrverbot auf Teilen der Inntalautobahn in Tirol auf. Tirol hatte 2003 zunächst ein Fahrverbot für Lkw über 7,5 Tonnen erlassen, die bestimmte Güter wie Abfälle, Steine, Erden, Kraftfahrzeuge, Rundholz und Getreide auf dem 46 Kilometer langen Streckenabschnitt beförderten. 2005 hob der Europäische Gerichtshof das Fahrverbot auf. Danach ergriff Tirol schrittweise neue Maßnahmen, unter anderem ein variables Tempolimit und ein Fahrverbot für Lastkraftwagen bestimmter Euro-Klassen. Da sich die Luftqualität nicht verbesserte, erließ Tirol erneut ein Fahrverbot für Lkw über 7,5 Tonnen die bestimmte Güter befördern, diesmal auf einem 84 Kilometer langen Autobahnabschnitt. Die EU-Richten haben dieses sektorale Fahrverbot nun wieder für rechtswidrig erklärt, da es mit dem „in der EU geltenden freien Warenverkehr nicht vereinbar“ sei.
"EuGH erklärt Brennerstrecke zur grundrechtslosen Transitstrecke"
Fritz Gurgiser, Obmann des Transitforums Austria, zu diesem EuGH-Urteil: “Für die EU ist der freie Mülltransit wichtiger als das Grundrecht auf Gesundheit durch den sensibelsten Gebirgsraum des gesamten Binnenmarktes. Damit demaskiert sich der EuGH als willfähriger Handlanger einer aus en Fugen geratenen EU, welche die Grundrechte mit den Füßen tritt. Der EuGH erklärt die Brennerstrecke zur grundrechtslosen Transitstrecke.“ (www.transitforum.at)
Unterschiedliche Entwicklung in der Schweiz und in Österreich
Offensichtlich ist die unterschiedliche Entwicklung zwischen dem EU-Staat Österreich und dem Nicht-EU-Mitgliedsland Schweiz. In der Schweiz stieg die Zahl der Transit LKWs zwischen 1994 und 2007 um 280.000 an, in Österreich im selben Zeitraum um 2,92 Millionen, also um mehr als das mehr als 10-fache der Schweiz. Noch deutlicher fällt der Unterschied zwischen 2000 und 2007 aus: Während der alpenquerende LKW-Transit in Österreich um 25% zunahm, sank er in der Schweiz im selben Zeitraum um 12%. Heute queren Österreichs Alpenpasse fünf Mal so viele LKWs wie die der Schweiz, das Transitverkehrsaufkommen auf der Straße hat sich seit dem EU-Beitritt verdoppelt. In der Schweiz werden zwei Drittel der Güter auf der Schiene und ein Drittel mit Lkw´s transportiert, in Österreich ist das Verhältnis genau umgekehrt. Die Schweiz arbeitet an einem ambitionierten Programm zur Halbierung der Lkw-Fahrten, in Österreich ist von einem solchen Programm weit und breit nichts zu sehen; das österreichische Verkehrsministerium geht schicksals- bzw. EU-ergeben davon aus, dass (im Vergleich zu 2005) der Lkw-Straßenstransit bis 2025 weiter um 50 bis 90% zunehmen wird.(1) Nun kommen auch bescheidene Maßnahmen gegen die Transitlawine wie die sektoralen Fahrverbote in Tirol durch die EUGH-Richter unter Beschuss.
Verdoppelung der schweren Atemwegserkrankungen bei Kindern
Die Steigerung des LKW-Verkehrs schädigt die Gesundheit der Menschen, insbesondere entlang der Transitstrecken enorm. 415.000 TirolerInnen, davon mehr als 58.000 Jugendliche bis 15 Jahren, leben heute in „belasteten Gebieten“ - wegen weit überhöhter Stickoxid- und Feinstaub-Grenzwertüberschreitungen. Seit 2002 hat haben sich die schweren Atemwegserkrankungen von Kindern im Tiroler Inntal verdoppelt (2)
Gerald Oberansmayr von der Solidar-Werkstatt zum Brüsseler Urteilsspruch: „Es ist wäre eine Verhöhnung der Demokratie sondergleichen, dass eine Handvoll Richter und Kommissare, die am Klingelbeutel der großen Industrie hängen, den Willen gewählter Parlamente und den übergroßen Mehrheitswillen eines Landes brechen könnten. Das Urteil aus Brüssel gehört umgehend an den Absender retourniert, mit dem Vermerk: Annahme und Umsetzung verweigert. Gesundheit muss mehr wert sein als der freie Warenverkehr. Das Urteil bestätigt freilich einmal mehr: Eine wirkliche Perspektive für eine umwelt- und gesundheitsfreundliche Verkehrspolitik gibt es nur außerhalb der EU. Österreich könnte dann gemeinsam mit der Schweiz eine wirksame Barriere gegen den LKW-Transit errichten, um ein europaweites Umdenken in der Verkehrspolitik zu erzwingen.“
Quellen:
(1) Verkehrsprognose Österreich 2025+, Wien Juni 2009, BMVIT
(2) Wir klagen an – Sonderpublikation Nr. / Transitforum Austria-Tirol zu Gesundheits- und Klimaschutz an der Alpenkonventionsstrecke Rosenheim-Verona.