Die EU-Kommission startet einen Neuanlauf, um Liberalisierung und Privatisierung im Eisenbahnbereich zu erzwingen. Gewerkschaft und AK machen dagegen mobil. Ein Vergleich zwischen Österreich und der Schweiz zeigt bemerkenswerte Unterschiede auf.


Wie in vielen Bereichen ist die EU-Kommission auch im Eisenbahnbereich ein Motor von Liberalisierung und Privatisierung. In mittlerweile vier „Eisenbahnpaketen“, wurde das Eisenbahnwesen zunehmend dem Diktat einer kurzsichtigen Marktorientierung untergeordnet. Gerade aber die Eisenbahn kann ihre Stärke nur dann ausspielen, wenn sie als kooperatives Gesamtsystem entwickelt wird, in dem die Synergien von Hauptachsen und Regionalstrecken bewusst gefördert werden, statt sie durch kurzfristige Renditemaximierung zu zerstören – zu Lasten der Umwelt, der Fahrgäste und der Beschäftigten. In einem kooperativen System können auch unprofitable Regionalstrecken, die für die Attraktivität des Gesamtsystems unentbehrlich sind, querfinanziert werden. In einem liberalisierten Schienenverkehr, in dem die öffentliche Hand noch dazu unter einem ständigen Austeritätsdruck leidet (EU-Fiskalpakt!) werden regionale Schienen oftmals stillgelegt.

Rückwärtsgewandet EU-Verkehrspolitik

Die Folgen dieser fehlgeleiteten Verkehrspolitik: Laut einer Greenpeace-Studie schrumpfte in den letzten  drei Jahrzehnten in der Europäischen Union das Schienennetz um über 15.000 Kilometer, 2.500 Bahnhöfe gingen dem Personenverkehr vorübergehend oder dauerhaft verloren; das Autobahnnetz dagegen wuchs um 30.000 Kilometer. Auch in Österreich geht die Entwicklung seit dem EU-Beitritt in diese triste Richtung: Seit 1995 Österreich wurde das Schienenstrecke um 655 Kilometer reduziert – ein Minus von 12 Prozent, während gleichzeitig das Straßennetz massiv ausgebaut wurde (sh. Grafik).

SchienennetzAutobahnen

„Rosinenpicken“

Trotz dieser fatalen Bilanz droht nun von Seiten der EU-Kommission der nächste neoliberale Angriff auf den Eisenbahnverkehr. Bereits 2016 wollte die EU-Kommission die Möglichkeit der staatliche Direktvergabe von Zugstrecken an Eisenbahnunternehmen unterbinden und die Verpflichtung zum EU-weiten Wettbewerb erzwingen. Damit ist die Kommission seinerzeit gescheitert, nun probt sie einen Neuanlauf. Im Juni dieses Jahres publizierte die EU-Kommission Auslegungsleitlinien für die PSO-Verordnung (Public Service Obligation), die unter anderem die öffentliche Personenbeförderung auf der Schiene regelt. Damit sollen erneut die Möglichkeiten der öffentlichen Hand zur Direktvergabe stark eingeschränkt und EU-weite Ausschreibungen erzwungen werden. Diese Konkurrenz würde zwar die Divendenausschüttungen beleben, aber die Strukturen ruinieren. Denn große EU-weite Anbieter könnten „Rosinenpicken“ betreiben, also mit Dumpingangeboten sich die lukrativen Hauptstrecken unter dem Nagel reißen (Modell „Westbahn“), weniger lukrative Strecken oder Beförderungen zu Tagesrandzeiten würden dagegen verschlechtert bzw. ausgedünnt.

Da der Wettbewerb vor allem über die Kosten ausgetragen wird, kommen Unternehmen mit niedrigen Löhnen und schlechten Arbeitsbedingungen „zum Zug“. In Großbritannien, wo diese Entwicklung schon früh auf die Spitze getrieben wurde, haben Liberalisierung und Privatisierung zur Verlotterungen der Infrastruktur und einer Vielzahl tödlicher Unfälle geführt, während die Aktionäre gemästet wurden.

Gewerkschaft und AK kündigen Widerstand an

Die Gewerkschaft vida und die Arbeiterkammer haben deshalb den Vorstoß der EU-Kommission zur Liberalisierung des Eisenbahnwesens scharf kritisiert und die Kampagne „Unsere Bahnen – Zukunft auf Schiene“ gegen den EU-Liberalisierungswahn und für Qualitätssicherung gestartet. In einer gemeinsamen Aussendung von vida und AK heißt es: „Die Erfahrungen aus Ländern wie dem Vereinigten Königreich, Griechenland oder Deutschland zeigen, dass die Liberalisierung des Eisenbahnsektors aufs Abstellgleis führt. Die Bahnen werden nicht effizienter. Vielmehr führt Liberalisierung zu einem schlechteren Angebot, höheren Ticketpreisen für die Fahrgäste sowie zu Lohn- und Sozialdumping für Beschäftigte. Darüber hinaus blieb oftmals die Sicherheit zu Gunsten von Gewinnoptimierungen auf der Strecke. Insgesamt zeigen die Erfahrungen mit liberalisierten Eisenbahnen auch gesamtwirtschaftliche und ökologische Abwärtstrends.“

Darüber hinaus heben Gewerkschaft und AK hervor: „Ein Blick über die Grenze zur Deutschen Bahn zeigt die Folgen von Liberalisierung: Mehr Markt bedeutet weniger Verlässlichkeit und Planbarkeit. Das können wir uns angesichts der Klimakrise nicht leisten: In Österreichs Klimabilanz, in der allerdings der Flugverkehr weitgehend ausgeklammert wird, gehen 99 Prozent der verkehrsbedingten Treibhausgas-Emissionen auf den Straßenverkehr zurück. Die Direktvergabe hilft hier rasch, neue und dichtere Zugverbindungen zu schaffen. Ausschreibungen hingegen dauern lange und verzögern die dringend notwendige Mobilitätswende.“

Schweiz – so schaut Zukunft im Öffentlichen Verkehr aus

Die Solidarwerkstatt Österreich engagiert sich schon lange für eine klimafreundliche und sozialverträgliche Verkehrswende. Der Ausbau des öffentlichen Verkehrs ist das Rückgrat einer solchen Verkehrswende. Wir freuen uns daher über die Initiative von Gewerkschaft und AK und werden diese nach Kräften unterstützen.

Wir verweisen in diesem Zusammenhang auch auf die Schweizer Eisenbahn, die – befreit vom ständigen Damoklesschwert der liberalisierungwütigen EU-Kommission – zum erfolgreichsten Bahnunternehmen Europas aufgestiegen ist. Die Schweiz hat das dichteste Schienennetz der Welt. Während in Österreich das Schienennetz seit 1995 um über 12 Prozent schrumpfte – von 5.672 auf 4.962 Kilometer – wuchs das Schweizer Schienennetz in diesem Zeitraum um 5,6 Prozent – von 5.155 auf 5.443 Kilometer (sh. Grafik unten). Trotz geringerer Fläche hat die Schweiz mittlerweile ein deutlich längeres Bahnetz als Österreich und einen beispiellos dichten Taktverkehr. So schaut Zukunft aus.

Gerald Oberansmayr
(November 2023)

Grafik Schienennetz Schweiz Oesterreich