ImageAb 2010 gilt das sog. „3. Eisenbahnpaket“ der EU, d.h. der grenzüberschreitende Personenverkehr auf der Schiene muss für den Wettbewerb geöffnet werden. Diese Liberalisierung im Personenverkehr ermöglicht es vor allem den ganz Großen die kleineren Bahnunternehmen auf den profitablen Hauptstrecken niederzukonkurrieren. Man könnte diese EU-Richtlinie daher auch als eine „Lex Deutsche Bahn“ bezeichnen, denn die Deutsche Bahn (DB) ist das mit Abstand größte Bahnunternehmen; insbesondere im Personenverkehr (mit über 52% der EU-weiten Schienenpersonenkm), allenfalls gefolgt von der französischen Bahn SNCF (knapp 20%).



Derzeit haben nur zwei europäische Bahnen die Ausgangsbedingungen
 

Jens Röder, Leiter des Internationalen Fernverkehrs bei der DB: „Es gibt in jedem Land immer eine Art Netzlogik. Daher kostet es enorm viel Ressourcen und Geld, ein komplettes Netzgeschäft anzugreifen. Eigentlich haben derzeit nur zwei europäische Bahnen die Ausgangsbedingungen, das Know-how und die finanzielle Kraft für eine europaweite Expansion: die SNCF und die Deutsche Bahn. Und beide wollen die Nummer eins werden.“ Nachsatz: „Die Deutschen scheinen da im Vorteil. Immerhin hat die DB AG trotz Krise und Problemen im Güterverkehr im ersten Halbjahr schwarze Zahlen geschrieben.“ (Die Welt, 31.10.2009). Um die DB fit für Privatisierung und EU-weite Übernahmen zu machen, herrscht bereits seit Jahren ein enormer Renditendruck im Unternehmen, den nicht zuletzt die KundInnen teuer bezahlen müssen. Die Berliner S-Bahnen, eine DB-Tochter, baute 40% des Werkstatt-Personals ab; infolge von Sicherheitsmängel fielen zwischen Jänner und August 2009 55.000 Zugfahrten im Berliner Nahverkehr aus. Bis zu drei Viertel der Garnituren konnten wochenlang nicht ausfahren. Der Geschäftsführer des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg Hans-Werner Franz: „Die S-Bahn ist aufgrund der Renditevorgaben des Mutterkonzern innerhalb weniger Jahre vom Vorzeigeunternehmen zum Sanierungsfall herabgewirtschaftet worden.“ (jw, 17.9.2009) 

Ein Drittel des derzeitigen österreichischen Schienennetzes steht vor dem Aus 

Ein französischer Bahnmanager, der ebenfalls bereits Ausschau nach lukrativen Bahnverbindungen in anderen EU-Staaten hält, bringt die Stoßrichtung der Bahnliberalisierung auf den Punkt: „Sie glauben doch nicht, dass wir uns nach den faulen Äpfeln bücken“ (Manager der SNCF-Tochter Keolis, in: Die Welt, 31.10.2009) D.h. Volle Konzentration auf die profitablen Hauptstrecken, der unlukrative Flächenverkehr – die „faulen Äpfel“ – müssen dann entweder teuer staatlich finanziert oder stillgelegt werden. Die Vorteile eines kooperativen Eisenbahnsystems – Verlustausgleich zwischen profitablen und nicht-profitablen Verbindungen, Integration von Hauptstrecken und Flächenverkehr, gemeinsame Fahrpläne, Fahrkarten, Info-Systeme, usw. – gehen verloren. Deshalb ist es kein Zufall, dass im Vorfeld der Bahnliberalisierung umfassende Streckenstilllegungspläne der ÖBB an die Öffentlichkeit gedrungen sind, die von der Unternehmensberatungfirma Roland Berger ausgearbeitet wurden. Diese umfassen 56 sog. „Nebenbahnen“ mit rd. 1.600 Kilomter Schienennetz, d.h. fast ein Drittel des derzeitigen österreichischen Schienennetzes steht vor dem Aus (sh. Liste unten). 

AUA auf Rädern?

Unter den Bedingungen der EU-Liberalisierung könnte bald der Druck der Deutschen Bahn in Richtung ÖBB übermächtig werden. Schon im Frühjahr warnte Eisenbahngewerkschafter Haberzettel, dass bei Fortsetzung des derzeitigen Kurses der ÖBB das Schicksal einer „AUA auf Rädern“ (Standard, 2.3.09) drohen könnte. Bei der Veranstaltung der Werkstatt Frieden & Solidarität am 17.12. „Höchste Eisenbahn: Alternativen zur EU-gesteuerten Zerschlagung der Öffentlichen Verkehrs“ betonte Heinz Högelsberger von der Gewerkschaft vida: „80% der Einsparungen im Öffentlichen Verkehr gehen zu Lasten der Beschäftigten durch Arbeitsplatzabbau, steigenden Arbeitsdruck, Lohndumping und Dequalifizierung“. Gerald Oberansmayr (Werkstatt Frieden & Solidarität) rief dazu auf, die Petition Höchste Eisenbahn  zu unterstützen: „Gerade angesichts der Klima- und Umweltkatastrophe brauchen wir nicht Streckenstilllegungen sondern den Ausbau des Schienennetzes und viel dichtere Taktverbindungen. Vorbild dafür kann die Schweiz sein, wo zwischen allen regionalen Zentren ein Halbstundentakt existiert.“


Geplante ÖBB-Streckenstilllegung gemäß der Studie der Unternehmensberatungsfirma Roland Berger:

Kategorie Z (332 km)

Mank - Wieselburg an der Erlauf, Weißenbach-Neuhaus - Hainfeld, Freiland - Türnitz, Mürzzuschlag - Neuberg Ort, Göpfritz - Raabs, Waidhofen an der Thaya - Fratres, Weitersfeld - Drosendorf, Bad Pirawarth - Gaweinstal - Mistelbach, Ernstbrunn - Mistelbach, Dobermannsdorf - Poysdorf, Zistersdorf - Dobermannsdorf, Zellerndorf - Sigmundsherberg, Pernhofe - Wulzeshofen - Zellerndorf, Siebenbrunn- Leopoldsdorf - Engelhartstetten, Breitstetten - Orth an der Donau, Bruck an der Leitha - Petronell-Carnuntum, Engelhof - Gmunden Seebahnhof, Feistritz im Rosental - Rosenbach, Trofaiach - Vordernberg, Wietersdorf - Hüttenberg, Neukirchen bei Lambach - Haag am Hausruck.

Kategorie Y (293 km)

St. Pölten Hauptbahnhof - Mariazell, Ober Grafendorf - Mank, Waidhofen an der Ybbs - Lunz am See, Gmünd NÖ - Litschau, Gmünd NÖ - Groß Gerungs, Puchberg am Schneeberg - Hochschneeberg, Zell am See - Krimml.

Kategorie W (1189 km)

Leobersdorf - Weißenbach-Neuhaus, Hainfeld - Traisen - Freiland, Pöchlanr - Scheibbs, Wien Zentralverschiebebahnhof - Felixdorf, Wiener Neustadt - Gutenstein, Wiener Neustadt - Puchberg am Schneeberg, Wiener Neustadt - Friedberg - Gehring, Friedberg - Oberwart, Deutschkreutz - Neckenmarkt-Horitschon, Krems an der Donau - St. Valentin, Hadersdorf am Kamp - Sigmundsherberg, Gänserndorf - Groß Schweinbarth - Obersdorf, Neusiedl am See - Wulkaprodersdorf, Attnang-Puchheim - Ried im Innkreis, Ebensee - Stainach-Irdning, Neumarkt-Kallham - Simbach (Inn), Wels - Sattledt - Grünau im Almtal, Linz Urfahr - Aigen-Schlägl, Steindorf bei Straßwalchen - Braunau am Inn, Ehrwald - Schönbichl, St. Veit an der Glan - Feldkirchen - Villach, St. Paul - Bleiburg - Klagenfurt, Arnoldstein - Kötschach-Mauthern, Zeltweg - St. Paul, Spielfeld-Straß - Bad Radkersburg.