In der Woche von 18. bis 22.11.2019 referierte der deutsche Verkehrsexperte und Buchautor Dr. Winfried Wolf auf Einladung der Solidarwerkstatt und einer Reihe weiterer Organisationen zum Thema „Mit dem Nulltarif zur Verkehrswende, statt mit dem Elektroauto in die Sackgasse“ in Wels, Linz, Steyr, Wien und Salzburg. Ein kurzer Rückblick.

Eine zentrale Aussage von Winfried Wolf: Der derzeitige Elektroautoboom dient nicht der Klimarettung, sondern dazu, der Automobilindustrie einen zweiten Frühling zu verschaffen. Wenn wir eine Klimakatastrophe verhindern wollen, brauchen wir eine echte Verkehrswende, die den Autoverkehr unabhängig von der Antriebsart dramatisch reduziert. 

Winfried Wolf führte sieben Gründe an, warum der Hype um das Elektroauto ein Weg in die Sackgasse ist:

  1. Elektroautos verbrauchen bei der Produktion 3 bis 6 Tonnen mehr CO2 als Diesel oder Benzin-PKWs, da insbesondere die Batterieherstellung enorm energieaufwändig ist. Man muss mit einem E-Auto daher zuerst einmal zwischen 40.000 und 100.000 km fahren, bis diese treibhausintensive Produktion ausgeglichen ist.
  2. Auch beim Betrieb von E-Cars werden – je nach Abhängigkeit vom Strommix – Treibhausgase ausgestoßen. Österreich ist da aufgrund des hohen Anteils erneuerbarer Energien zwar in einer besonders günstigen Situation, aber alleine in Europa wird noch 50% der Energie fossil hergestellt, weltweit sind es 70%.
  3. Millionen neuer Elektroautos führen zu einem enormen Anstieg des Energieverbrauchs. Kohleimporteure und -explorateure sehen daran bereits eine jahrzehntelange Garantie für Fortführung ihres Geschäfts. Die Atomwirtschaft begründet den Bau neuer Atomkraftwerke (z.B. Hinkleypoint C in GB) mit dem Anstieg von E-Cars. In China sind zur Bewältigung des Elektroautobooms 20 neue AKWs in Bau und weitere 30 geplant.
  4. Elektroautos lösen „Bumerangeffekte“ aus: Aufgrund geringer Reichweite, langer Ladezeit und höherem Preis sind Elektroautos vor allem Zweit- und Drittwagen für die höhere Mittelschicht. Dort wo E-Cars bereits besonders weit verbreitet sind, kann festgestellt werden, dass viele Leute vom ÖV oder Rad wieder aufs e-Auto umsteigen, was ökologisch kontraproduktiv ist.
  5. Die Strategie von Politik und Autoindustrie läuft derzeit darauf hinaus, den Anteil der Elektroautos zu erhöhen, aber keineswegs die Anzahl der Autos selbst zu deckeln. Unter dem Strich führt das dazu, dass absolut die Anzahl auch von Benzin- und Dieselautos weiter enorm zunimmt. Für Österreich heißt das, dass derzeit die Zahl der Elektroautos jährlich um 6.000 (netto) steigt, die der Diesel- und Benzin-PKW aber um 80.000 (netto, d.h. Neuanmeldungen minus Abmeldungen).
  6. Der Elektroautoboom ergänzt die Abhängigkeit von Erdöl durch die Abhängigkeit von weiteren Rohstoffen wie Kupfer, Kobalt, Lithium und seltene Erden – mit all den Folgen, die damit verbunden sind: Krieg, Kinderarbeit, hemmungslose Ausbeutung von Mensch und Natur.
  7. Die Systemnachteile des Motorisierten Individualverkehrs existieren unabhängig von der Antriebsart:
    • Ein Auto verbraucht 4-mal soviel Fläche wie Bus oder Straßenbahn, 20-mal soviel Fläche wie ein Fahrrad und 100-mal mehr Fläche wie ein/e Fußgänger/in.
    • Der Autoverkehr fordert einen enormen Blutzoll: 1,2 Millionen Menschen fallen ihm jährlich zum Opfer, 27.000 in der EU.
    • Hohe Feinstaubbelastung, der in hohem Maß durch den Reifenabrieb entsteht.
    • Je mehr Autos wir haben, desto langsamer ist die Fortbewegung: In Berlin beträgt die Durchschnittsgeschwindigkeit 22 km/h, in Los Angeles 14 km/h, in Jarkarta 7 km/h. Mehr Straßen helfen dem nicht ab, im Gegenteil: Je mehr Straßen gebaut werden, desto mehr wächst die Autoflut.

Anteil des Autoverkehrs auf 10% reduzieren!

Winfried Wolf verteufelt nicht das Elektro-Auto, er fordert eine echte Verkehrswende, die die Zahl der Autos insgesamt dramatisch reduziert. Derzeit laufe der Politik jedoch gerade in die gegenteilige Richtung: Das Elektroauto dient als Feigenblatt, um ungehindert Automobilismus und Autobahnausbau voranzutreiben. Das ist aber der gerade Weg in die Klimakatastrophe.

Der Verkehrsexperte skizzierte daher eine Reihe von Vorschlägen für eine echte Verkehrswende:

  1. Absoluter Vorrang für die umweltfreundlichen Formen der Mobilität (Öffentlicher Verkehr, Radfahren, Fußgehen) und Zurückdrängen von Auto- und Flugverkehr. Dazu gehört der sofortige Stopp des Baus neuer Autobahnen und Flugpisten ebenso wir die Senkung der Tempolimits z.B. Tempo 100 auf Autobahnen, 80 auf Bundesstraßen und 30 in den Städten
  2. Einführung des Nulltarifs auf Öffentlichen Verkehrsmitteln, da Erfahrungen in Städten und Regionen, in denen der Nulltarif eingeführt wurde, zeigen, dass dadurch viele Menschen zum Umstieg auf Bahn, Bus und Bim angeregt werden. Eine deutliche Verbilligung des ÖVs (z.B. 365 Euro-Jahres-Tickets für den gesamten ÖV) ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung.
  3. Die Eisenbahn muss vor allem in der Fläche mit einem dichten Takt – siehe Schweiz - ausgebaut werden, statt Milliarden in riesige Tunnelprojekte zu investieren. E-Mobilität muss heißen, dass die Bahn vollständig elektrifiziert wird.
  4. Ausbau des Radverkehrs auf einen Anteil von zumindest 20 bis 30% in den Städten. Wie das geht, zeigt Kopenhagen mit einem Radfahranteil von über 50%.
  5. Stadt der kurzen Wege, d.h. eine Raumplanung, die Wohnen, Arbeit, Ausbildung und Freizeit wieder räumlich näher zusammenbringt, um unnötigen Verkehr zu vermeiden.
  6. Bevor der Güterverkehr auf die Schiene gebracht wird, muss er um Zwei Drittel reduziert werden. Das erfordert klare Regulierungen. Denn die Politik des hemmungslosen Freihandels und der „freien Marktwirtschaft“, wie sie in der EU sogar in den Grundlagenverträgen verankert ist, hat zu der absurden Entwicklung geführt, dass jährlich Dutzende Millionen Tiere und Unmengen landwirtschaftlicher Produkte über tausende Transportkilometer verfrachtet werden, obwohl diese regional genauso erzeugt werden könnten.
  7. Es braucht eine öffentliche Kontrolle der Autoindustrie, um die Konversion – also die Umstellung auf neue umweltfreundliche Produkte – zügig und sozial verträglich organisieren zu können.

Winfried Wolf: „Wenn wir diese Ziele ins Zentrum rücken und verwirklichen, dann kann der Anteil des PKW-Verkehrs auf 5-10% in den Städten und am Land auf 15-20% reduziert werden; unter dem Strich heißt das: maximal 10% österreichweit. Dieser verbleibende Rest kann dann gerne auf E-Autos, auf 3-L-Auto, Brennstoffzelle und Carsharing umgestellt werden.“

Winfried Wolf appellierte abschließend, trotz dieser enormen Herausforderungen nicht zu verzagen: „Wer hätte vor einem Jahr prognostiziert, dass heuer Millionen von vor allem jungen Menschen für Klimaschutz und Klimagerechtigkeit streiken und auf die Straße gehen!“

Das Buch von Winfried Wolf "Mit dem Elektroauto in die Sackgasse" (Promedia-Verlag, 2019) kann bei der Solidarwerkstatt bestellt werden (EUR 17,90). Bestellung an: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Bitte unterstützen: Parlamentarische Bürgerinitiative für die Einführung des Nulltarifs im Öffentlichen Verkehr => hier nähere Informationen