ImageAb Dezember 2010 wird der Bahntransport jährlich um 1,8 Millionen Zug-Streckenkilometer geschrumpft. Durch Auflassen bzw. Verteuerung von 135 Güterverladestationen rechnet man mit jährlich mehr als 400.000 zusätzliche LKW-Fahrten. Die Warnungen des Chefs der Eisenbahngewerkschaft vor der EU-Liberalisierung im Schienenverkehr bewahrheiten sich dramatisch. Die Solidarwerkstatt setzt die BürgerInnen-Initiative Höchste Eisenbahn fort.



Mit dem ÖBB-Fahrplanwechsel am 12. Dezember 2010 wird es zu einem beispiellosen Kahlschlag im Personen- und Güterverkehr auf der Schiene kommen. Der Personentransport der Bahn wird pro Jahr österreichweit um unglaubliche 1,8 Millionen Zug-Streckenkilometer geschrumpft. Das entspricht einer Eisenbahnfahrt, 45mal rund um die Erde. (Quelle: www.oekonews.at). Zwischen Graz und Linz, also der zweit- und drittgrößten Stadt Österreichs, wird es keine direkten Intercity-Züge mehr geben. Fahrpläne werden ausgedünnt, Strecken stillgelegt. Als zusätzliche Kundenvergraulungsaktion soll es ab Dezember nicht mehr möglich sein, Fahrkarten im Zug zu kaufen. Menschen ohne Ticket drohen Strafen bis zu 95 Euro.

Auch im Güterverkehr geht es an das Eingemachte. Die ÖBB-Rail-Cargo wird österreichweit 135 der 540 Güterverladestellen auflassen oder nur gegen hohe Tarife weiter betreiben. Zahlreiche Anschlussbahnen, die Betriebe an das Eisenbahnnetz anbinden, sollen stillgelegt werden. Experten rechnen jährlich mit mehr als 400.000 zusätzlichen LKW-Fahrten. Alleine diese Maßnahme wird den Anteil der Schiene am Güterverkehr von 37% auf 32% senken. Während Österreichs Politiker auf internationalen Konferenzen vom Kampf gegen den drohenden Klimawandel schwadronieren, wird zu Hause eines der umweltfreundlichsten Verkehrsmittel kaputtgespart.

Warnungen der Eisenbahnergewerkschaft bewahrheiten sich

Diese Maßnahmen sind ebenso verantwortungslos wie sie vorhersehbar waren. Ab 2007 wurde der Güterschienenverkehr, ab 2010 der Personenschienenverkehr durch EU-Richtlinien für den „freien Markt“ geöffnet. Niemand geringerer als der damalige Chef der Eisenbahnergewerkschaft Wilhelm Haberzettel hat bereits im März 2007 in einem Standard-Kommentar eindrucksvoll darauf hingewiesen, dass diese EU-Liberalisierungspolitik im Schienenverkehr genau jene fatalen Konsequenzen haben werde, die wir jetzt erleben:

„Es gibt einen gewichtigen Grund, warum die Liberalisierung des Personenverkehrs die Qualität nicht verbessern wird: Der Wettbewerb wird dort kommen, wo wir ihn nicht brauchen, denn Private gehen dorthin, wo ein Markt ist. Das sind die jetzt schon stark befahrenen Strecken und die Tagesrandverbindungen. Dort sind die Trassenkapazitäten jetzt schon knapp, und zusätzliche Züge verdrängen andere. Mehr Züge dort schaffen mehr Probleme. Nur längere Züge würden sie lösen. Auf der anderen Seite ist evident: In Schwachlastzeiten untertags und auf wenig frequentierten Strecken wird der Verkehr zurückgehen, denn die Bahn ist ein Netz, das sich nur im Gesamten rechnet: Die Westbahn bezahlt die Tauern- und Pyhrnbahn. Wenn nun durch die Konkurrenz Deckungsbeiträge auf der Westbahn wegfallen, müssen die ÖBB ihre Züge in Schwachlastzeiten und auf den Niederfrequenzstrecken einstellen. Das Ergebnis ist ein Stückwerk, bei dem alle verlieren. Diese Analyse entstammt nicht den ängstlichen Hirnen von Gewerkschaftern, sondern einer Studie der britischen Liberalisierungsbefürworter von Steer Davies Gleave im Auftrag der EU-Kommission. Kein Wunder, dass Brüssel diese Studie nicht an die große Glocke hängt. Wer der Studie nicht glaubt, muss nur den Bahngüterverkehr betrachten: Die Liberalisierung hat das ergeben, was schon vor Jahren Ed Burkhardt, Chef der damals weltgrößten Eisenbahn Wisconsin Central, sagte: "Wettbewerb auf der Schiene bringt keinen einzigen Lkw von der Straße: Er lässt nur dieselben Züge mit anders bemalten Lokomotiven ziehen." Genau das ist auch der Fall. Die "neuen Privaten" kümmern sich um das schmale Segment des profitablen Ganzzugverkehrs. Dort purzeln zur Freude der Großindustrie die Frachtpreise.

Genau diese Profite wurden aber bisher dazu verwendet, den Einzelwagenverkehr zu ermöglichen - jenes "Kleingeschäft", in dem die Hälfte aller Güter in Europa auf der Bahn fahren. Eine Studie von McKinsey sagt, dass dieser Einzelwagenverkehr in zehn Jahren weitgehend verschwunden sein wird und der Bahngüterverkehrs um 30 bis 40 Prozent zurück gehen wird. Die Deutsche Bahn fängt schon an und stößt sukzessive alle Kunden mit weniger als drei Zügen pro Woche ab.“ (Standard, 28.03.2007)


Den Aussagen Haberzettels ist wenig hinzuzufügen, außer dass es ihm heute, wo sich seine Warnungen vor der EU-Liberalisierung dramatisch bewahrheiten, selbst die Rede verschlagen hat. Seine EU-gläubige Partei ist ihm ohnehin nie gefolgt. 

Absurd, gefährlich, undemokratisch – EU-konform 

Einmal mehr zeigt sich auch die aberwitzig undemokratische EU-Konstruktion. Selbst wenn in Österreich alle gewählten VolksvertreterInnen, selbst wenn sich in einer Volksabstimmung 99% der Menschen dafür aussprechen würden, diese Richtlinien zu ändern oder rückgängig machen möchten, es ginge nicht mehr: die EU-Kommission bzw. eine Sperrminorität von Staatschefs (z.B. von Deutschland, Frankreich und wenige kleinen) können diesen Weg auf ewig verbauen. Mitgehangen, mitgefangen. Ein völlig inkompetenter blau-oranger Verkehrsminister und Autonarr (zur Erinnerung: Tempo 160 km/h), von dem wohl nur mehr in Erinnerung bleiben wird, dass „the world in Vorarlberg too small“ für ihn ist, hat vor etlichen Jahren im Namen Österreichs für die EU-Liberlisierungsrichtlinie gestimmt. Mit einer Mehrheit seiner Amtskollegen. Deshalb gibt es kein Zurück mehr – möglicherweise auf Generationen. Absurd, gefährlich, undemokratisch - EU-konform.  Die Profiteure dieser Entwicklung sind die Autokonzerne, die Frächterlobby und die großen Bahnunternehmen, allen voran die Deutsche Bahn, die nun Schritt für Schritt auf den profitablen Hochleistungsstrecken die kleineren Unternehmen wegkonkurrieren können. Wenn die wenig verbliebenen, gewinnträchtig herausgeputzten Bahnunternehmen in der EU dann – wohl weit unter Wert - privatisiert werden, dürfen auch bei den Aktionären nochmals die Sektkorken knallen.  

Höchste Eisenbahn!

Dass es ganz anders geht, zeigt das Nicht-EU-Mitglied Schweiz. Die Schweizer Bahn ist das einzige Bahnunternehmen in Europa, wo das Streckennetz noch ausgebaut und nicht zurückgefahren wird.  Die Anzahl der Pro-Kopf gefahrenen Eisenbahn-Kilometer in der Schweiz übertreffen den Durchschnitt der EU-Staaten um mehr als das Doppelte. Die Solidarwerkstatt erneuert deshalb die Forderungen, die wir in der Petition „Höchste Eisenbahn“ erhoben haben:

- Stopp der Streckenstilllegungen und Nicht-Umsetzung der EU-Liberalisierungsrichtlinien

- Ausweitung des ÖV-Netzes und Taktfahrplan nach dem Muster der Schweiz
- solidarische Finanzierung über einen Mobilitätsbeitrag anstelle teurer Einzelfahrscheine (d.h. Nulltarif auf allen öffentlichen Verkehrsmitteln)
- Volksabstimmung über eine Änderung der Verkehrspolitik.  

Auch im Güterverkehr müssen wir endlich aus dem neoliberalen, frächterfreundlichen EU-Korsett ausbrechen. Seit dem EU-Beitritt hat sich der LKW-Transport über Österreichs Alpenpässe verdoppelt, im Ost-West-Verkehr sogar verdreifacht. Das ist nicht zuletzt der Preis für das EU-Dogma der „Freiheit des Warenverkehrs“. Mit diesem Dogma muss gebrochen werden, wenn wir eine lebenswerte Zukunft haben wollen. Laut einer Studie der Weltgesundheitsorganisation WHO sterben doppelt so viele Menschen an den vom Verkehr verursachten Abgasen wie durch Verkehrsunfälle. Anstatt für den LKW-Verkehr ständig weitere Transitautobahnen zu bauen (sh. Westring), muss der Gütertransport sowohl durch eine entsprechende Preispolitik als auch durch direkte Reglementierungen mit dem entsprechenden Nachdruck auf die Schiene verlagert werden – egal, ob EU-Kommission und EUGH dazu ihr Placet geben oder nicht.  Wer meint, dass wir dann ja sowieso aus der EU austreten könnten, wenn wir die grotesken Spielregeln dieser Union nicht zu akzeptieren bereit sind, dem oder der wollen wir nicht widersprechen.

Gerald Oberansmayr 


Wir lassen nicht locker!

Am 10. Dezember  gab es bereits in einigen Städten Aktionen gegen das Kaputtsparen des Öffentlichen Verkehrs.  Dieser Widerstand ist wichtig und muss weitergehen. Auch die Solidarwerkstatt wird die Aktion Höchste Eisenbahn – Für eine Verkehrswende!“ fortsetzen. 2.500 Unterschriften haben wir zwar bereits an den Bürgerinitiativen-Ausschuss des Parlaments übergeben. Angesichts der dramatischen Entwickung, die in die ganz gegenteilige Richtung geht, werden wir aber weiter sammeln, um den Abgeordneten zu siganalisieren: WIR LASSEN NICHT LOCKER!
Für unsere Umwelt, für unsere Gesundheit, für die Verbesserung unserer Lebensqualität! Mehr Bahn, weniger LKW Transitverkehr! Freifahrt auf den Öffis durch solidarische Finanzierung!

ONLINE hier unterschreiben: Höchste Eisenbahn 
Auf Wunsch schicken wir gerne auch Unterschriftslisten per Post zu Bestellung an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!