Image Schienennetz minus 15% /Autobahn- und Schnellstraßen plus 15%

 

ImageAb 2007 wurde der Güterschienenverkehr, ab 2010 der Personenschienenverkehr durch EU-Richtlinien für den „freien Markt“ geöffnet. Profitmaximierung bei der Eisenbahn bedeutet: Rosinenpicken und Konkurrenz um die profitablen Hauptstrecken (siehe Westbahn); Regionalbahnen, die früher in einem kooperativen System über die profitablen querfinanziert werden konnten, werden stillgelegt oder ausgedünnt. Auf der Strecke bleiben die Menschen und die Umwelt. Die ÖBB-Zugkilometer schrumpften von über 152 Millionen Kilometer (2008) auf 143 Mio. Km (2013). Dieser Rückgang um mehr als 9 Millionen km seit 2008 entspricht einer Eisenbahnfahrt 230 Mal um den Äquator. Die ÖBB-Rail-Cargo hat seit 2012 österreichweit 10% der Güterverladestellen zugesperrt. Allen Lippenbekenntnissen zu mehr Klimaschutz zum Trotz ist seit 1997 österreichweit das Schienennetz um fast 15% geschrumpft, während gleichzeitig das Autobahn- und Schnellstraßennetz um knapp 15% ausgebaut worden ist, was einem Zuwachs um 295 Kilometer entspricht (sh. Grafik).

Im Hintergrund dieses Straßenbaueifers stehen die sog. „Transeuropäischen Netze“, mit denen dem „freien Warenverkehr“ im EU-Binnenmarkt Transitschneisen geschlagen werden (sh. unten). Welche grotesken Auswirkungen das hat, kann derzeit im oberösterreichischen Mühlviertel studiert werden. Ursprünglich war von der Politik versprochen worden, dass der Ausbau von Straße (S10) und Schiene (Summerauerbahn) gleichzeitig erfolgen solle. Doch während für den Bau der S10, einer TEN-Strecke, sofort über 700 Millionen Euro lockergemacht werden konnten und diese Schnellstraße noch 2015 fertig gestellt wird, ist mit dem Ausbau der Summerauerbahn noch nicht einmal begonnen worden. Die Gelder für den Bahnausbau – obwohl mit 350 Millionen nur halb soviel wie der Bau der S10 – können nicht bewilligt werden, „weil sie den strengen EU-Stabilitätskriterien widersprechen würden“ (Kurier, 22.7.2014).

ImageSeit dem EU-Beitritt ist der Transitverkehr durch Österreich massiv angestiegen. Zwischen 1994 und 2008 hat sich der LKW-Transit durch Österreich verdoppelt, im Ost-West-Transit sogar verdreifacht. Seit der Wirtschaftskrise 2008/09 ist der Güterverkehr zwar teilweise rückläufig (sh. Grafik), der Unterschied zwischen dem EU-Staat Österreich und dem Nicht-EU-Staat Schweiz zeigt aber, wie sehr der „Modal-Split“ – also die Verteilung zwischen Schiene und Straße - von den politischen Rahmenbedingungen abhängt. In der Schweiz stieg die Zahl des LKW-Güterverkehrs zwischen 1994 und 2012 um 229.000 an. Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der LKWs durch Österreich um 2,358 Millionen an, also um das mehr als 10-Fache der Schweiz. Noch deutlicher fällt der Unterschied zwischen 2000 und 2012 aus: Während die Anzahl der alpenquerenden LKWs in Österreich um 13% zunahm, sank sie in der Schweiz im selben Zeitraum um 14%. Heute queren Österreichs Alpenpässe 5-mal so viele LKWs wie die der Schweiz. Beim gesamten alpenquerenden Güterverkehrstransport entfallen in der Schweiz zwei Drittel auf die Schiene und nur ein Drittel auf die Straße; in Österreich ist das Verhältnis ziemlich genau umgekehrt. Noch extremer sind die Unterschiede beim reinen Transitverkehr: Schweiz: 75% auf der Bahn, 25% auf der Straße. Österreich: 29% Bahn, 71% Straße (Quelle: Alpeninfo 2012, Bundesamt für Verkehr, Schweiz).

Regierungsvertreter selbst geben zu, was den Unterschied zwischen Österreich und der Schweiz in der Verkehrspolitik ausmacht. Der damalige Verkehrsstaatssekretär Kukacka: „Eine Verkehrspolitik nach dem Vorbild der Schweiz ist für Österreich jedenfalls nicht möglich, weil wegen der EU-Mitgliedschaft die entsprechenden Richtlinien akzeptiert werden müssen, denen zufolge die Verkehrsfreiheit eines der Primärrechte darstellt.“ (Parlamentskorrespondenz Nr. 562 vom 09.07.2003). Selbst bescheidene Maßnahmen gegen die Transitlawine wie sektorale Fahrverbote in Tirol sind durch den EUGH wieder gekippt worden. 

ImageFragt man sich, warum die Auto- und Öllobby ihre Interessen auf EU-Ebene so effektiv durchsetzen kann, so ist ein Blick in den Wirtschaftsatlas hilfreich. Unter den 10 größten EU-Industrie und Transportkonzernen machen jene, die dem Komplex „Auto – Erdöl“ (also Auto-, Erdöl-, Straßenbaukonzerne) zuzurechnen sind, einen Umsatz von rd. 78% aus. Unter den 50 größten Industrie- und Transportkonzernen kommt dieser Auto-Erdöl-Komplex auf 54% (sh. Grafik 3). Im Lobbyparadies Brüssel können diese Industrien ihre Interessen besonders wirksam durchzusetzen. Eine der wichtigsten Lobbyorganiationen ist der „European Round Table of Industrialists“ (ERT). Er umfasst die Chefs der rd. 50 wichtigsten europäischen Industriekonzerne, darunter BMW, Daimler Benz, Fiat, Total, Repsol, Shell, Renault, BP, Pirelli, Volvo, MOL, Statoil, Volkswagen, Eni, OMV. Der ERT hat vor drei Jahrzehnten den Regierungchefs das „Missing Links“-Projekt vorgegeben, das massive Verkehrsinvestitionen vorrangig in den Autobahnausbau forderte, um die „Lücken“ im europäischen Verkehrsnetz zu schließen. 2003 klopfte sich der ERT selbst auf die Schultern, dass das von ihm in Auftrag gegebene „Missing Links“-Programm weitgehend abgearbeitet worden war. Die Folgen: Allein zwischen 1990 bis 2002 verlängerte sich das Autobahnnetz auf dem Gebiet der EU-15 von 39.000 auf 53.000 Kilometer, während die Schienenwege von 162.000 auf 152.000 Kilometer schrumpften. Trotz vieler Beteuerungen zu einer ökologischen Wende, setzt sich diese Irrweg seither fort: In den EU-27 schrumpfte das Schienennetz im Zeitraum 2000 – 2011 um 2%, während das Autobahnnetz um 27% wuchs (Quelle: www.allianz-pro-schiene.de ).



 Zurück zum Dossier: EU-Beitritt und seine Folgen