Bericht von der Pressekonferenz der Volksbegehrensinitiative Arbeitslosengeld Rauf am Mittwoch, 12. Jänner 2022. Die Initiator*innen des Volksbegehrens „Arbeitslosengeld Rauf“ werden noch im Jänner mit deutlich über 20.000 Unterstützer*innen den Antrag zur Festlegung der Eintragungswoche beim Innenministerium einbringen. Die Eintragungswoche findet voraussichtlich Anfang Mai statt.



Mit dem Volksbegehren soll eine dauerhafte Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf mindestens 70% des letzten Einkommens und eine Entschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen durchgesetzt werden. Die Pläne des Arbeitsministers Kocher zur Einführung eines degressiven Modells, mitunter mit Absenkung unter das derzeitig skandalös niedrige Niveau, sollen so durchkreuzt werden. Eine Reform des Arbeitslosengeldes muss den Sozialstaat stärken.

Norbert Bauer, Zustellungsbevollmächtigter des Volksbegehrens, Betriebsratsvorsitzender einer großen Hotelkette in Wien und Gewerkschaftsfunktionär der FCG erklärte: „Wir brauchen endlich eine dauerhafte Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf mindestens 70% sowie eine Entschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen, weil ein Sozialstaat, welcher dieser Bezeichnung gerecht werden soll auch eine wirkliche Reform des Arbeitslosenversicherungsgesetzes verdient und kein Modell, welches eine Degression bis zur aktuellen Untergrenze vorsieht.  Effektive Armutsbekämpfung, Nachfragesteigerung, sowie Schutz vor Lohndumping und Niedriglöhnen sind nur einige der vielen Argumente, das Volksbegehren „Arbeitslosengeld RAUF!“ zu unterstützen.“

Der Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister argumentiert: „Der Politik der letzten 30 Jahre liegt die Vorstellung zu Grunde: Schuld an der Arbeitslosigkeit sind letztlich die Arbeitslosen selbst, weil sie zu teuer, zu wenig flexibel und zu wenig qualifiziert sind. Daraus wurde abgeleitet: Es brauche Lohnzurückhaltung, Kürzungen des Arbeitslosengeldes und eine Deregulierung des Arbeitsmarktes. Diese Politik hat die Ungleichheit massiv vergrößert, die Zahl der deklassierten Menschen und jener, die dies für sich und ihre Kinder befürchten, nahm immer mehr zu. Der Versuch, die Beschäftigung dadurch zu steigern, dass Arbeitslose verstärkt gezwungen werden, immer schlechter bezahlte Jobs anzunehmen oder sich als scheinselbständige Uberfahrer oder Essenszusteller zu verdingen, würde die Fehlentwicklung der letzten Jahrzehnte fortsetzen. Gemeinsam mit einem Programm zur Erneuerung des Sozialstaats (Bildungswesen, Armutsbekämpfung, Pflege, Gesundheit, etc.) und zum ökologischen Umbau der Wirtschaft, insbesondere im Hinblick auf die Klimakrise, könnten so viele „gute“ Arbeitsplätze geschaffen werde, eine echte Vollbeschäftigungspolitik.“

Karin Stanger, Bundessprecherin AUGE/UG – Alternative, Grüne und Unabhängige Gewerkschafter*innen, AK-Fraktionsvorsitzende und GPA Bundesvorständin, schloss sich dem mit den Worten an: „Als AUGE/UG – Alternative, Grüne und Unabhängige Gewerkschafter*innen unterstützen wir das Volksbegehren Arbeitlosengeld RAUF! Eine Erhöhung der Nettoersatzrate und damit des Arbeitslosengeldes ist eine langjährige Forderung unsererseits. Das Arbeitslosengeld ist eine Versicherungsleistung und muss menschenwürdiges Auskommen, fern von Arbeitslosigkeit und Existenzgefährdung garantieren! Die in Österreich geringe Höhe des Arbeitslosengeldes fördert hingegen materielle Sorgen, Krankheiten und Ausgrenzung. Scham und Druck führen zu sozialer Isolation und zum Rückzug der Betroffenen aus dem politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Leben. Probleme wie Langszeitarbeitlosigkeit, Frauenarbeitslosigkeit und Jugendarbeitslosigkeit müssen endlich klar adressiert und auf allen politischen Ebenen angegangen werden. Dazu braucht es nicht zuletzt eine Job- und Bildungsoffensive, Arbeitszeitverkürzung, Investitionen in Bereichen wie Pflege, Soziales, Klima, Bildung oder Öffentlicher Verkehr, sowie eine Modernisierung der Arbeitslosenversicherung! Darum: Unterschreibt das Volksbegehren Arbeitslosengeld RAUF!“

Auch der Gewerkschafter Georg Erkinger, Arbeiterkammerrat des GLB in der Steiermark und Proponent des Volksbegehrens, betont, dass es einen politischen Willen braucht das Arbeitslosengeld so auszugestalten, dass Betroffene gegen Armut abgesichert werden: „Die Folgen der Corona-Pandemie haben am Arbeitsmarkt tiefe Spuren hinterlassen. Langzeitarbeitslosigkeit hat massiv zugenommen. Die Bundesregierung hat bei den Lockdowns sofort neue Unternehmenshilfen angekündigt. Zur Absicherung der von der Krise betroffenen Arbeitslosen ist ihr jedoch bisher nichts eingefallen. Es braucht daher unverzüglich eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes und ebenso eine Aufstockung der Notstandshilfe.“

Daniela Brodesser (Kolumnistin, Autorin, Lektorin, Aktivistin und Proponentin des Volksbegehrens) unterstrich: „Niemand wacht eines morgens auf und beschließt ab nun in Armut zu leben, weil es so bequem ist. Armut ist ein täglicher Existenzkampf, der dir alles abverlangt. Doch das derzeitige Arbeitslosengeld macht genau das – es bringt Menschen in die Armut. Ein niedriges Arbeitslosengeld (oder gar ein degressives) bedeutet, täglich mit existenziellen Sorgen aufzuwachen. Die Erhöhung des ALG ist längst überfällig. Und nur durch eine Erhöhung können wir einen wichtigen Schritt zur Bekämpfung der Kinderarmut setzen.“

Peter Rosei (Autor und Proponent des Volksbegehrens) betont, bezugnehmend auf die Kampagne des Sommers, in der trotz weiterhin hoher Arbeitslosenzahlen und geringen Stellen Arbeitslose unter den Generalverdacht arbeitsscheu zu sein gestellt wurden: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“, heißt es beim Apostel Paulus. Die aktuelle Version lautet im Moment: „Jeder, der gesund ist, soll arbeiten.“ – Wer wollte diesen Weisheiten widersprechen? Die Frage, wie denn die angepriesene Arbeit ausschaut und etwa, wie sie bezahlt wird und werden soll, geht dabei sang- und klanglos unter. Der Glanz vollmundiger Behauptungen bringt lästige Details taschenspielerisch zum Verschwinden. Eine Gesellschaft, die Erwerbslosen den Brotkorb höher hängen will – unter der freilich unausgesprochenen und damit tatsächlich infamen Anmutung, sie alle wären faul und arbeitsscheu- und die es zugleich in Ordnung findet, dass Manager oft das Hundert-, Zweihundert- oder Dreihundertfache eines Durchschnittsgehalts verdienen, wäre gut beraten, einmal grundsätzlich darüber nachzudenken, was unter dem Begriff Arbeit eigentlich firmiert, wer oder was denn bestimmt, was darunter verstanden wird und wer dabei das Reden hat.“

Irina Vana, Sozialwissenschafterin an der Universität Wien, Aktivistin beim Personenkomitee Selbstbestimmtes Österreich und stv. Zustellungsbevollmächtigte des Volksbegehrens, fasste das Anliegen zusammen: „Eine dauerhafte Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf ein existenzsicherndes Niveau ist ein konkreter Gegenentwurf zu dem von Kocher angekündigten degressiven Modell. Es ist auch zur Abfederung der Pandemiefolgen wichtig, da in deren Folge die Langzeitarbeitslosigkeit besonders gestiegen ist. Diese würden durch ein degressives Modell besonders getroffen. Die dauerhafte Erhöhung würde sie vor dem Abrutschen in Armut sichern. Wir wissen zudem aus einer Studie des WIFO aus dem Jahr 2019, dass durch ein degressives Modell das Budget nicht entlastet wird. Menschen finden durch existenziellen Druck auch nicht eher Arbeit. Ein degressives Modell, wie Kocher es anstrebt, kann mithin nur rein ideologisch begründet sein; es zielt darauf ab, den Druck auf die Löhne weiter zu erhöhen, und den Niedriglohnsektor noch weiter auszubauen, wie es in Deutschland unter Hartz4 passiert ist. Das wollen wir für Österreich verhindern. Wir wollen eine Stärkung des Sozialstaats“

Die Präsidentin der Katholischen Arbeitnehmer*innenbewegung, Anna Wall-Strasser, war aufgrund einer Terminkollision verhindert, unterstrich aber in einer schriftlichen Stellungnahme: „Kein Mensch ist gerne arbeitslos. Das weiß ich aus vielen persönlichen Kontakten mit Betroffenen, und alle Studien bestätigen es. Neben den psychischen Belastungen durch das Herausfallen aus sozialen Beziehungen und dem Verlust der gewohnten Tagesstruktur macht vor allem die Frage der Existenzsicherung großen Stress. Das Bild des faulen Arbeitslosen, der ein schönes Leben auf Kosten der Allgemeinheit führt, ist schlichtweg unschöne Propaganda. Denn das Arbeitslosengeld ist in Österreich mit einer Nettoersatzrate von 55% bei weitem nicht existenzsichernd. Meist sehr abrupt muss man mit etwa der Hälfte des vorherigen Einkommens auskommen. Vor allem wer in Teilzeit oder im Niedriglohnbereich beschäftigt war, rutscht unausweichlich in die Armutsfalle. Das betrifft aktuell viele Frauen sowie Beschäftigte im Gastgewerbe.  Eine menschenwürdige Reform der Arbeitslosenversicherung hat einige Aufgaben zu erledigen. Vor allem langzeitarbeitslose Menschen brauchen Unterstützung, individuelle Begleitung und effektive Schulung. Es gilt, in Beschäftigung zu investieren, auch in gemeinwohlorientierte Arbeitsplätze. Ein armutsfestes Arbeitslosengeld ist ein Gebot der Stunde. Existenzsicherung ist eine Grundvoraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe und Demokratie. Das gilt es allen Menschen zu ermöglichen. Die KABÖ unterstützt daher die Einleitung des Volksbegehrens ‚Arbeitslosengeld RAUF‘.

Boris Lechthaler von der Solidarwerkstatt Österreich, der die Veranstaltung moderierte, machte abschließend nochmals darauf aufmerksam, dass die Eintragungswoche voraussichtlich von 2. bis 9. Mai 2022 stattfinden wird: „Ich rufe alle Gewerkschaften, Betriebsrät*innen, fortschrittliche Parteien, zivilgesellschaftliche Organisationen, KünstlerInnen und andere dazu auf, dafür zu wirken, dass die Eintragungswoche nach dem 1. Mai 2022 zu einem Markstein für eine grundsätzliche Umorientierung in der Sozial- und Wirtschaftspolitik wird. Ich ersuche sie, all ihre Möglichkeiten tatkräftig zu nutzen, damit das Volksbegehren ein Erfolg wird. Ich darf an dieser Stelle den berühmten Wirtschaftstheoretiker und meinen einstigen Lehrer, Kurt Rothschild, zitieren: ‚Es geht nicht ausschließlich darum, die ineffiziente Allokation der Arbeitskräfte zu beseitigen und die Arbeiter gemäß den Bedürfnissen der Wirtschaft umzuverteilen. Denn wir haben es ja hier nicht mit Waren, sondern mit Menschen und ihren Bedürfnissen und Präferenzen zu tun.‘ so Rothschild. Es gilt: Geht’s dem Sozialstaat gut, geht’s uns allen gut.“

Quelle: www.arbeitslosengeld-rauf.at