Christian Leckschmidt zeigt auf, dass es auch in der treibhausgasintensiven Bauwirtschaft Alternativen zum Beton gibt. Gerade Stroh hat aus seiner Sicht echte Gamechanger-Qualitäten, um zu einer klimafreundlichen und nachhaltigen Bauweise zu kommen.
Die Baubranche steht in Verruf massiv zu den wachsenden Treibhausgasemissionen beizutragen. Und das nicht ohne Grund entstehen doch 38% der weltweiten Emissionen in der Bauwirtschaft. Für rund 7% ist allein die Herstellung von Zement, der im Beton gebraucht wird, verantwortlich. Die kurze Nutzungsdauer von modernen Gebäuden befeuert dieses Problem noch. Viele Gebäude werden nach wenigen Jahren oder Jahrzehnten schon wieder abgerissen. Dieser Irrsinn gipfelt in Sportstadien, die manchmal nur für ein Event gebaut werden.
Mit rund 30 Milliarden Tonnen pro Jahr ist Beton der meistverwendete Stoff gleich nach Wasser. Beton besteht aus Zement, Kies und Wasser, sowie Stahl als Bewährung. Allesamt sehr energieintensive Rohstoffe. Aufgrund staatlicher Regulierungen, die oftmals sehr die Interessen der Baustoffindustrie bedienen, und der einfachen Verarbeitung wird sehr oft auch bei einfachen Gebäuden auf diesen schädlichen Baustoff zurückgegriffen. Dabei ist Beton bei schlechter Verarbeitung nicht einmal besonders haltbar.
Während sich in Europa oftmals intakte Gebäude abgerissen werden, weil der Errichtungsgrund weggefallen ist oder kein Wille zu anderweitiger Nutzung besteht, ist vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern die schlechte Qualität der Bauwerke ein Grund für kurze Nutzungsdauer.
Sechsstöckige Mehrparteienhäuser in Holzständerbauweise
Doch sowohl bei der Wahl der Baustoffe als auch bei der Gebäudeplanung gibt es nachhaltige Lösungen. Ein Wandaufbau aus Naturmaterialien kombiniert mit einer Mehrzweck-Planung kann hier eine maßgebliche Rolle spielen. Es ist klar, dass komplizierte Fundamente und Wolkenkratzer weiterhin auf Stahlbeton angewiesen sind, doch in vielen Fällen wären Konstruktionen aus Holz und anderen Naturmaterialien ebenso gut oder besser.
In der materialsparenden Holzständerbauweise wurden schon sechsstöckige Mehrparteienhäuser errichtet. In Kombination mit einem ökologischem Wandaufbau und Dämmmaterial kann hier ein großer Unterschied im CO2-Fußabdruck erreicht werden.
Naturmaterial als Dämmstoff
Nicht nur bei den Konstruktionselementen gilt es auf Naturmaterial zu setzten, Als Wandfüll- und Dämmstoff können Papierabfälle oder Pflanzenfasern gute Ausgangsstoffe sein. Allen voran liegt hier Stroh. Als Ballen gepresst kann es sowohl Wandelement als auch Wärmedämmung sein. Bei genauerer Betrachtung zeigt das Nebenprodukt aus der Getreideproduktion echte Gamechanger-Qualitäten. Äußerst geringe Anschaffungskosten, geringer Energie Einsatz machen es zum Helden in der Klimakrise. Sogar der Hauptnachteil, die zeitintensive Verarbeitung, kann zum Vorteil werden, weil so kleine Handwerksbetriebe konkurrenzfähig werden können. Mit einer sich verschärfenden Klimakrise und dem entgegenstehenden, wachsenden Komfort- und Platzbedarf der Menschen, nicht nur in der westlichen Welt, sollte eine nachhaltige Bauweise von Wohn- und Arbeitsstätten diese Bedürfnisse befriedigen.
Seit je her gilt das Massivhaus als dauerhaft und wertbeständig, deshalb wird es noch immer als Standard angestrebt. Über die Jahrhunderte hatte diese Sicht eindeutig Berechtigung, wurden die Gebäude doch über viele Generationen hinweg genutzt. Die Verwendung von Bauwerken sieht heute jedoch anders aus. Es wird zweckoptimiert, modisch und nach aktueller Technik gebaut und saniert. Entspricht jedoch ein Gebäude nicht diesen Parametern wird oft nicht ein Kompromiss mit der Nutzung eingegangen, sondern das Gebäude als Ganzes getauscht. Funktionierende Wohnhäuser werden nach ein bis zwei Generationen abgerissen und neu gebaut. Der Komfort, die Raumaufteilung, die Ausstattung oder der Energieverbrauch sind nur einige Gründe warum intakte Häuser gegen neue getauscht werden. Bei Gewerbebauen ist die Lebensdauer oft nochmal kürzer. Sie werden für einen Zweck geplant und sobald dieser nicht mehr gewinnbringend ist, bleibt eine Betonwüste zurück. Ein „gutes“ Beispiel hierfür ist die „Uno-City“ in Leonding.
Bei den Altbauten, die nicht abgerissen werden, wird nun meist thermisch saniert. Die Ertüchtigung der Fester und Türen in Altbauten ist sicherlich richtig und wichtig. Auch eine Verbesserung der Wärmedämmung an den Mauern ist ein wichtiger Schritt zur Reduktion der notwendigen Heiz- beziehungsweise Kühlenergie.
Schnell und günstig hat oft Nachteile
Beim Tausch von Fenstern und Türen ist mit dem Wechsel zu moderneren Materialien wie Aluminium und, allen voran, Kunststoff eine günstige Ertüchtigung der Bauteile mit wenig Eingriff in die Bausubstanz möglich. Sehr verbreitet ist jedoch auch der großflächige Einsatz von Kunststoff als Fassadendämmstoff. Diese billige und schnelle Lösung ist sowohl im Alt- als auch im Neubau weit verbreitet. Doch wie viele schnelle, günstige Lösungen hat auch diese einige Nachteile. Bei der Altbausanierung handelt es sich meist um ein Ziegelmauerwerk, im Neubau öfter auch Beton oder Blähtonbaustoffe. Diese Baustoffe sind in ihrer Herstellung alles andere als ökologisch nachhaltig, doch zumindest sind sie nach der „modernen“, kurzen Nutzungsdauer zumeist mehr oder weniger recyclingfähig.
Um den Dämmwert dieser Baustoffe auf ein zeitgemäßes Maß zu erhöhen, wird vom Gewerbebau bis zur Luxusvilla billiger geschäumter Kunststoff, meist Polystyrol und XPS auf die Mauern geklebt. Eigentlich ist auch der sortenreine Kunststoff leicht und hochwertig zu recyceln, jedoch die Kombination aus Klebstoff, Dämmstoff, dem eingesetzten Verputz und der Kunststoffarmirrung machen aus solch einer Wand, Sondermüll. Bislang wird werden die Materialien mehr oder weniger mechanisch getrennt und als Problemstoff in Müllverbrennungsanlagen zudosiert. Auch diese Entsorgungsvariante scheint wenig zukunftsreich, da ein Verbot wegen freiwerdender chemischer Verbindungen immer wieder diskutiert wird.
Einmal mehr werden billiger Luxus und Annehmlichkeiten auf kommende Generationen abgeladen, dabei sind diese Bauweisen keineswegs alternativlos. Es gibt eine Vielzahl von Materialien und Materialkombinationen, die weit nachhaltiger, recyclingfähiger und/oder ressourcenschonender sind. Manche der Materialien würden sogar Umweltgifte neutralisieren oder speichern. So kann Lehmputz, welcher nur aus Lehmerde, Sand, und Wasser besteht, nicht nur eine große Menge an Wasserdampf aufnehmen und diesen dosiert an den Raum wieder abgeben, er bindet auch Schadstoffe aus der Luft, während klassische Silikat oder Zementputze eher Schadstoffe an die Raumluft abgeben.
Stroh hat hervorragendes Dämmvermögen…
Die Verwendung von organischen Baustoffen konserviert sogar CO2, welches in den Materialien gebunden ist. Man bedenke, dass Bäume das CO2 aus der Luft aufnehmen und mittels Photosynthese in Zucker umwandeln, welcher wieder als Baustoff für die Zellstruktur dient. Soll heißen: Solange ein Holzhaus steht, so lange bleibt auch das CO2 gebunden, gleiches gilt für einen einfachen, wie genialen Dämmstoff: Stroh.
Früher als Einstreu in Stallungen, Ergänzung zum Viehfutter, Einmulchen, als Dachdeckung und sogar als Schlafunterlage verwendet, wurde es in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr zu einem ungenütztem Nebenprodukt der Landwirtschaft. Auch wenn mittlerweile dieser Rohstoff für wieder an Bedeutung gewinnt, ist seine wahre Größe noch immer verkannt. Stroh als Ballen gepresst, wie es bis heute üblich ist, ist schwer entflammbar, brandhemmend, ist formstabil und hat eine gute Dämmwirkung (λ-Wert 0,049–0,051 W/mK ).
Die einzelnen Strohhalme liegen nach dem Drusch auf dem Acker, dort werden sie mit einer Ballenpresse aufgelesen und zu runden oder quaderförmigen Ballen gepresst. Für den Einsatz im Gebäudebau eignen sich nur die quaderförmigen Ballen. Diese gibt es in zwei Hauptgrößen, den Kleinballen, der am Bau sicher die größte Rolle spielt, und den Großballen, der eine für Gebäude interessante Option bereit hält.
Der Kleinballen ist, je nach Presse, meist 35 x 45 x 70 cm, wobei der Ballen eine eindeutige Einbaulage hat. Das Pickup der Presse richtet einen Großteil der Strohhalme in ein Richtung aus und deshalb liegt jeder Halm direkt neben dem nächsten. Diese Halme formen unzählige Luftkammern und daraus ergibt sich die gute Wärmedämmung von Strohballen. Verglichen mit modernen, energieaufwendig hergestellten Dämmstoffen bedeutet das, dass 20cm Polystyrol oder Mineralwolle dieselbe Wärmedämmung haben wie 30 cm Strohballen von guter Qualität. Diese 20cm sind, in etwa die Dämmdicke die für ein Passivhaus notwendig ist. Das heißt mit der Dicke von ca. 35 bis 36 cm hat der Kleinballen Stroh das Dämmvermögen welches für den Passivhausstandard notwendig ist.
Freilich ist dies nicht der einzige Faktor, aber doch ein wichtiger. „Mit Stroh kommen doch Ungeziefer und Mäuse in mein Haus.“ Dieser Glaube ist weit verbreitet, lässt sich jedoch leicht entkräften. Moderne Dreschmaschinen lassen eine Restkornbestand von weniger als 0,2% im Stroh was zu wenig ist, um irgendwelche Mitbewohner anzuziehen. Freilich ist wie bei jedem anderen Haus eine Barriere für Insekten, Mäuse und Vögel zu errichten, denn der Witterungsschutz und die Wärme lockt diese an, egal ob aus Polystyrol oder Stroh.
… .gibt sich auch beim Brandschutz keine Blöße
Das ein Strohballen schwer brennt könnt ihr selbst ausprobieren. Nehmt einen Bund trockenes Gras, dreht den fest zusammen und geht an einen brandsichern Ort, zum Beispiel ein Supermarktparkplatz nach Feierabend. Die fest verdrillten Halme werden sich kaum entzünden lassen. Wichtiger noch als die Nicht-Entflammbarkeit ist die Brandhemmung bezüglich der Ausbreitung. Stroh bildet wie Holz eine verkohlte Schicht, die ein Weiterbrennen verhindert.
Die Universität Innsbruck machte einen Brandtest an einer klassischen Riegelwandkonstruktion, die mit Strohballen als Dämmung ausgefüllt war und mit Kalkputz direkt verputzt. Die Prüfflamme nach ISO mit 2000°C wurde 30 Minuten auf die Wand gerichtet und ergab eine Brandbeständigkeitsklasse F30, weitere 30 Minuten – F60, nach weiteren 30 Minuten war die Wand immer noch tragfähig das bedeutet F90, 180 Minuten kein Problem und nach 270 Minuten musste der Test abgebrochen werden da die neu errichtete Prüfkammer zu brennen begann. Der Baustoff Stroh schneidet beim Brandschutz sogar besser ab als die meisten Dämmstoffe.
… ist gut atmungsaktiv und schallisolierend
Weitere Vorteile des Baustoffs sind der vorstellbar gute Feuchtetransport . Das Material ist so atmungsaktiv, dass die beste GoreTex neidisch wird. Ein Umstand der sich auf gut gedämmte Häuser ausgesprochen positiv auswirkt, da der Taupunkt, also der Bereich, in dem der Wasserdampf zum Wassertropfen wird, an die äußerste Schicht der Wand verschoben wird. Solche diffusionsoffenen Werkstoffe ermöglichen erst einen Dämmwert, der für Passivhausstandard notwendig ist.
Es gibt noch eine Eigenschaft die Strohballen überlegen machen: die Schalldämmung. Da die Halme zwar aneinander liegen, jedoch nicht - wie andere Baustoffe - miteinander verbunden sind, ergibt sich eine sehr gute Schallisolierung; die Weitergabe von Schallwellen ist so erschwert.
Nachteile, Wermutstropfen, oder Chance für regionale Gewerbe
Doch bei so vielen Vorzügen gibt es natürlich auch Nachteile. Die Strohballen sind nicht maßgenau, die Längen der Ballen sind unterschiedlich, da auf Kleinballenpressen der Pesskanal zwar vorgegeben ist, das Abbinden der Ballen aber nach Druck erfolgt. Auch die Strohqualität variiert, wie das bei Naturprodukten üblich ist. Strohballen sind vergleichsweise günstig zu kaufen sind, die Verarbeitung benötigt jedoch sehr viel Zeit, da die Kanten und Ecken eines jeden Ballen penibel „nachgestopft“ werden müssen, um die Eigenschaften über die komplette Wand gleichmäßig zu halten.
Das sind die Gründe, warum die Baubranche und Bauherren das alte, neue Material trotz Ökotrend links liegen lassen. Kaum jemand ist bereit den hohen Zeitaufwand für die Montage bereitzustellen, geschweige zu bezahlen, solange mit industriell hergestellten Naturfasermatten oder Einblasdämmungen das ökologische Gewissen, bei geringer Bauzeit und Personalaufwand, beruhigt werden kann.
Einfach gedacht und fachkundig gemacht: der lasttragende Strohballenbau
Eine besonders interessante Variante ist der lasttragende Strohballenbau. Bei dieser Bauform werden die Strohballen nur wie Ziegelsteine übereinandergelegt, bis alle Mauern eines Geschoßes errichtet sind. Dann wird die ganze Mauer nach unten gespannt, um Setzungen zuvorzukommen. Darauf wird die Geschossdecke gelegt und dann wieder Mauern aus Stroh errichtet. Hierfür werden meist Großballen verwendet. Diese sind, je nach Presse, ca. 120 x 70 x 220cm groß und wiegen ungefähr 400kg / Stück. Da die Halme in diesen Ballen nicht ausgerichtet sind haben sie zwar weniger Wärmedämmwert, aber das wird durch die Dicke der Wand wieder mehr als kompensiert. Es wurden in dieser Bauweise schon dreistöckige Gebäude errichtet. Der Nachteil dieser Bauform ist der große Flächenbedarf, der aus den dicken Mauern resultiert.
Baustoff für eine nachhaltige Baubranche
Stroh dämmt nicht nur hervorragend, es ist ein regionales Abfallprodukt, das mit hoher Schalladsorption ohne Umweltgifte und direkt verputzbar, der Baustoff für eine nachhaltige Baubranche wäre. Doch solange Wohn- und Arbeitsräume für nur wenige Jahre geschaffen werden, wird dieser nachhaltige Rohstoff mit seiner personalintensiven Verarbeitung wohl weiterhin ein Nischendasein führen.
Christian Leckschmidt