Der Blick auf die landwirtschaftliche Bodennutzung hat sich im Laufe der Nachkriegsgeschichte stark gewandelt. Mit dem Klimawandel, und im Speziellen dem europäischen Green Deal, liegt der Fokus heute stark auf Themen der Nachhaltigkeit. Hinter dem grünen Wohlklang verstecken sich aber einige Misstöne. Ein Beitrag von Priv.-Doz. Dr. Gernot Bodner.
Ein kurzer Blick in die jüngere Geschichte
Gesellschaftliche Prioritäten und technologische Entwicklung hängen eng zusammen, bestimmen doch politische Ziele wohin Innovation gesteuert wird – nicht zuletzt auch Forschung. Die Form der Landnutzung nach dem Zweiten Weltkrieg wird mit dem Begriffen der „industriellen Landwirtschaft“ assoziiert. Nie zuvor in der Geschichte hat sich das Bild des Lebens und Wirtschaftens am Land so stark verändert, wie seit den 1960er Jahren. Kleine geschlossene Betriebskreisläufe gehen über in eine gänzlich auf die Marktnachfrage ausgerichtete Landwirtschaft. Die Familienbetriebe werden weniger, die Flächengrößen wachsen: Von 430.000 Höfen Anfang der 1950er auf 150.000 Betriebe heute, mit einer Verdreifachung der Flächengröße. Spezialisierung nimmt zu und Technisierung hält mit neuen Maschinen und Betriebsmitteln Einzug. Es geht um die Steigerung der Produktion: Zwischen 1960 und heute haben sich etwa die Erträge von Weizen mehr als verdoppelt (+130 %).
Anfang der 1970er Jahre weisen erste kritische Stimmen auf „Grenzen des Wachstums“ hin. Die moderne Biolandbau-Bewegung hat in dieser Zeit ihre Ursprünge. Die Drosselung des Produktivismus in Europas Landwirtschaft ist jedoch vor allem eine Konsequenz der Welthandels-Liberalisierung ab Mitte der 1980er. Mit dem zunehmenden Verbot direkter Marktstützungen geht die EU den Weg der Direktzahlungen und „Agrarumweltprogramme“: Ertragsreduktion und Aufwendungen für Umweltleistungen werden mit Ausgleichszahlungen an die Betriebe honoriert. Es ist im Grunde ein interessanter Widerspruch: die Marktliberalisierung mit ihren unvermeidlichen ökologischen (z.B. Transportwege) und sozialen (verstärkte Konkurrenz bei ungleichen Produktionsvoraussetzungen) Konsequenzen, kommt unter dem Mantel der „Ökologisierung“ der Landwirtschaft daher.
Der Green Deal und der Boden
Mit dem Green Deal von 2019 ist Klimaneutralität aller volkswirtschaftlicher Sektoren ein zentrales Ziel der EU. Für die Landwirtschaft, mit derzeit etwa 10 % der Gesamtemissionen, bedeutet dies weitere Extensivierung. Nach eigenen Berechnungen der EU-Kommission geht dies in offenen Märkten unvermeidlich mit einer Zunahme der Agrarimporte einher.
Die Hebel der Klima-Neutralität in der Landwirtschaft sind ein Schrumpfen der Tierzahlen (Methan; siehe die absurde Debatte um das Schlachten von 200.000 Kühen in Irland), die Reduktion der Stickstoffdüngung (Lachgas) und auch die Einspeicherung von CO2 im Boden (sogenannte Negativemissionen). Die Landwirtschaft soll dies unter anderem durch eine erweiterte Inwertsetzung von Umweltleistungen schaffen. Aktuell werden hier vor allem „Humuszertifikate“ diskutiert: Pflanzen nehmen CO2 aus der Atmosphäre auf und bringen dieses über die abgestorbenen Pflanzenreste in den Boden, wo es als Humus verbleiben kann. Dies „Negativemission“ kann der Landwirt dann als Zertifikat am Markt an Abnehmer verkaufen, die sich ein „grünes Image“ schaffen oder ihre Emissionen „kompensieren“ wollen. Die reale Klimarelevanz dieser Idee ist äußerst fraglich und vieles riecht nach Greenwashing. Steigt erst einmal der Zertifikatspreis, könnte sich selbst ein Anreiz für Bodenspekulation ergeben: Ackerflächen in humusreiche Grünbrache rückführen, um statt durch Lebensmittelproduktion über Zertifikate Gewinn zu lukrieren. Globale „Carbon farmer“, statt regional produzierende Bauern. Ist das der nächste Schritt in der „Nachhaltigkeit“ auf den globalisierten Märkten?
Die Weltenretter …am Papier
Die schnöde Wahrheit der Freihandelsregeln hinter den Umweltauflagen scheint aus dem Bewusstsein der heutigen „wissenschaftsgläubig-umweltbewegten Weltretterbeamten“ in Brüssel verschwunden zu sein, die die Landwirtschaft klimaneutral…zumindest schreiben. Es erinnert irgendwie an die „wertebasierte“ Außenpolitik, wo „friedliebende Demokraten“ den „verrückten Autokraten“ mit Hochrüstung entgegentreten. Jeder realistische Diplomat aus Zeiten des Kalten Krieges wüsste um die Gefahr einer solchen Werteblindheit. In Landwirtschaftsfragen ist es ähnlich. Kommissionsbeamte mit nachvollziehbaren Umwelt- und Klimasorgen dekretieren, wie die Landbewirtschaftung zu erfolgen hat. Unter den Bauern herrscht Frust: immer mehr Bürokratie, immer neue Aufzeichnungspflichten (eine moderne Bürde, die alle Sektoren der Gesellschaft niederdrückt), immer neue Investitionserfordernisse, die kleine und mittlere Betriebe kaum schaffen, und das Gefühl, von aller Welt belehrt zu werden.
Dass die Rahmenbedingungen offener Märkte grundlegende Maßnahmen einer ökologischen Bewirtschaftung verhindern, zeigt ein Beispiel sehr deutlich: Fruchtfolgen mit verschiedenen Nutzpflanzenarten waren in der gesamten Geschichte der Landwirtschaft die Grundlage langfristig ertragsfähiger Böden. Doch heute bestimmt der (Welt)markt, was angebaut wird, und nicht mehr die Regeln der Natur. Ähnlich ist es mit dem Zwang zu immer größeren Flächen, um als Haupterwerbsbetrieb bestehen zu können. Damit geht einher, dass die Landschaft weniger vielfältig und strukturiert wird. Diesen großflächigen Verlust an „Diversität“ kann kein Einzelbetrieb mit irgendwelchen angeordneten Maßnahmen auf seinen Feldern wettmachen.
Nicht zuletzt die Forschung befeuert diese „Politik von oben“: ihre „peer review“-Artikel gelten den Politikentscheidungen als grundlegende Wahrheit. So suhlt man sich auch hier selbstverliebt in ökologischem Aufklärertum, um von Zeit zu Zeit unter dem Stichwort „Dissemination“ der Praxis Weisheiten der Forschung zu verkünden. Die kompliziert (und englisch) verklausulierten Trivialitäten locken aber ohnehin kaum einen Bauern vom Traktor herunter. Kein Wunder, dass in den europäischen Richtlinien zu Boden- und Klimaschutz bei den Umsetzungsideen nicht viel mehr als Allgemeinplätze und seit Jahrzehnten praktizierte Maßnahmen zu finden (z.B. reduzierte Bodenbearbeitung, Anbau von Begrünungspflanzen). Kreativität ist eben kein karriereförderndes Evaluierungskriterium innerhalb der Wissenschaftskaste.
Neue Allianzen
Jede Zeit der Turbulenzen hat aber auch ihre interessanten Seiten. Was den Schutz der Ackerböden betrifft, ist dies heute die „regenerative Landwirtschaft“. Sie erinnert an die Bio-Anfänge. Bauern mit einem Hang zum „Natur nachmachen“ – etwa im Versuch „immergrüne“ Äcker mit vielfältigen Pflanzengesellschaften zu gestalten – beleben ihre Böden, um so ihre Nutzpflanzen gegen die Widrigkeiten der Witterung standhafter zu machen.
„Big buisness“ und die Politik sind natürlich bei einem so wohlklingenden und schwer fassbaren Begriff wie „regenerativ“ nicht weit. Nestle, Syngenta und auch die jüngste Klimakonferenz COP28 in Dubai setzen mittlerweile auf (vermarktbare) regenerative Lösungen.
Die reale regenerative Welt der Bauern ist aber eine andere. Hier tauscht man untereinander Erfahrungen aus, versucht einen Bogen zu den Konsumenten zu spannen und auch Bündnisse mit dem einen oder der anderen Forscherin zu schließen, um auf Augenhöhe und verschiedenen Blickwinkeln das Mysterium Boden besser verstehen zu lernen.
All das wird zwar weder die Landwirtschaft noch die Umwelt retten, solange sich die ökonomischen Rahmenbedingungen nicht ändern und produzierende Bauern, denen die Natur am Herzen liegt, dabei kräftig mitgestalten. Aber die kleinen regionalen regenerativen Allianzen auf dem Boden der Realität helfen zumindest, mehr „Resilienz“ gegen den Frust der globalen Entwicklungen von oben zu entwickeln.
Priv.-Doz. Dr. Gernot Bodner. Er unterrichtet an der Boku am Institut für Pflanzenbau und ist in der Humusbewegung aktiv. Er hielt am 4.12.2024 bei der Solidarwerkstatt Österreich einen Vortrag zum Thema "Sind unsere Böden noch zu retten?". Dieser kann hier nachgeschaut werden.