Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat im September 2020 die österreichische Klage gegen die von der EU-Kommission genehmigten staatliche Beihilfen für das geplante britische Atomkraftwerk Hinkley Point C abgewiesen. Diese Entscheidung ist alles andere als überraschend. EuGH und EU-Kommission sind die Treibriemen für Konzerninteressen und EU-Militarisierung. Und beides bündelt sich im AKW Hinkley Point C.

Zwei Drittel der prognostizierten Baukosten von rd. 20 Milliarden Euro trägt der französische Atomkonzern EdF. Damit dieses Investment profitabel sein kann, hat die EU-Kommission massive staatliche Beihilfen genehmigt: eine Kreditgarantie von 20 Milliarden Euro und eine garantierte Einspeisevergütung zu einem Abnahmepreis von 10,8 ct/kWh für 35 Jahre. Diese Vergütung liegt weit über dem Marktpreis und soll jährlich an die Inflation angepasst werden. Laut Energy Brainpool, einem unabhängigen Marktspezialisten für die Energiebranche, werden sich diese Subventionen auf unfassbare 108 Milliarden Euro über den gesamten Förderzeitraum aufsummieren. Dazu werden voraussichtlich weitere Kosten für den Steuerzahler für die Endlagerung von Atommüll und den späteren Rückbau der Anlage kommen.

AKW-Subvention = Subvention für Atomwaffen

Wenn solche großen Summen im Spiel sind, die von den sonst so strengen „Wettbewerbshütern“ der EU-Kommission und des EuGH anstandslos durchgewunken werden, müssen ganz große Interessen im Spiel. Mit Hinkley Point C soll einerseits die kriselnde französische Atomindustrie am Leben und am Laufen gehalten werden. Es geht aber um mehr: Denn an der sog. „zivilen“ Nutzung der Atomenergie hängt als siamesischer Zwilling die militärische. Wissenschaftler der britischen Universität Sussex haben Hinkley Point C diesbezüglich unter die Lupe genommen und kommen zu folgendem Befund: Die britische Regierung braucht den neuen Atommeiler weniger für die Energiegewinnung, sondern vor allem für die atombetriebenen U-Boote, die als Abschussbasis für die nuklearen Trident-Raketen dienen. Die Wissenschaftler verweisen auf Dokumente, wonach Rüstungskonzerne wie Rolls-Royce und BAE Systems eine „robuste“ zivile Atomindustrie als wesentlich für die Erneuerung des Atom-U-Boot-Programms sehen. Phil Johnstone, einer der Autoren des Berichts: „Bei Hinkley handelt es sich um denselben Typ, der für den Atom-U-Boot-Antrieb benötigt wird“ (1). Das britische Unterhaus hat beschlossen, 31 Milliarden Pfund in die Erneuerung der Trident-Flotte zu investieren. Nach Expertenschätzungen kann das noch teurer werden. Deshalb wolle man nun die notwendigen Forschungs- und Entwicklungsaufgaben in den zivilen Bereich – also Hinkley Point – auslagern, so der Bericht der Universität Sussex.

Mit der „Ständig Strukturierten Zusammenarbeit“ (EU-SSZ/Pesco) hat die EU 2018 eine Vorstufe zu einer EU-Armee ins Leben gerufen. Die Stimmen aus dem EU-Establishment, dass am Ende eines solchen Prozesses die EU-Atombombe stehen müsse, verdichten sich. So rief zuletzt der französische Präsident Macron die EU-Staaten zu einem „strategischen Dialog“ über die „Rolle der nuklearen Abschreckung Frankreichs“ auf und bot ihnen die Einbindung „in die Übungen der französischen Nuklearkräfte“ an (siehe hier).

EURATOM-Vertrag: „Entwicklung einer mächtigen Kernindustrie“

EU-Kommission und EuGH berufen sich bei ihrer Entscheidung für die Genehmigung der Subventionen für Hinkley Point C auf den EURATOM-Vertrag. Dieser EU-Grundlagenvertrag verherrlicht die Atomenergie als „eine unentbehrliche Hilfsquelle für die Entwicklung und Belebung der Wirtschaft und für den friedlichen Fortschritt“. Und hat deshalb zum Ziel, "die Voraussetzungen für die Entwicklung einer mächtigen Kernindustrie zu schaffen." (Präambel des EURATOM-Vertrags). Auch Österreich ist Mitglied bei EURATOM und zahlt deshalb jedes Jahr über 100 Millionen für die EU-Atomwirtschaft. Die Solidarwerkstatt Österreich ist überzeugt: Das widerspricht dem österreichischen Verfassungsgesetz für eine atomfreies Österreich und konterkariert eine glaubwürdige Antiatompolitik auf internationaler Ebene. Angesichts der immer offener zutage tretenden militärischen Ambitionen, die hinter der Förderung der Atomwirtschaft durch die EU stehen, ist die EURATOM-Mitgliedschaft auch mit einer ernsthaften Friedens- und Neutralitätspolitik Österreichs unvereinbar.

Falsches Spiel

Angesichts der EuGH-Entscheidung gegen die Klage der Republik „reagieren heimische Politikerinnen und Politiker sowie Umweltorganisationen enttäuscht“ (2). Diese Enttäuschung reicht vom Umweltministerium über alle Parlamentsparteien bis hin zu Greenpeace und Global 2000. Aber keiner von ihnen fordert das völlig Naheliegende: den sofortigen Ausstieg Österreichs aus dem EURATOM-Vertrag. Sie alle fordern vielmehr die „Reform des EURATOM-Vertrags“. Sie streuen damit den Menschen in Österreich wissentlich Sand in die Augen. Denn eine Reform des EURATOM-Vertrags erfordert die Einstimmigkeit aller EU-Staaten. Und jeder weiß: Das ist undenkbar. 13 der 27 EU-Staaten betreiben Atomkraftwerke. Wer das Irreale – die umweltfreundliche Reform des EURATOM-Vertrags, fordert, um das Mögliche – den Ausstieg Österreichs aus EURATOM – zu blockieren, spielt ein falsches Spiel. Dass vor Kurzem das Volksbegehren „Raus aus EURATOM!“ faktisch ohne finanzielle und mediale Unterstützung die 100.000er-Hürde überspringen konnte, gibt allerdings Mut zur Hoffnung, dass immer mehr Menschen dieses falsche Spiel durchschauen.

Gerald Oberansmayr
(1.10.2020)


Quellen:
(1) http://sro.sussex.ac.uk/id/eprint/63568/
(2) ORF, 22.9.2020

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