Gestützt auf den EURATOM-Vertrag will die EU-Kommission der Atomenergie zu einem Wiedererstarken verhelfen. Bis zu 450 Milliarden Euro sollen bis 2050 in den Neubau von AKWs fließen. Der Zusammenhang zum Aufbau einer – auch nuklearen – EU-Militärmacht drängt sich auf. Über EURATOM finanziert Österreich die Atomlobby mit. Die Forderung „Raus aus EURATOM!“ ist sowohl umwelt- als auch friedenspolitisch aktueller denn je!


Der EURATOM-Vertrag ist heuer 60 Jahre alt geworden. EURATOM ist ein Grundlagenvertrag der Europäischen Union. Dieser EU-Vertrag verherrlicht die Atomenergie als „eine unentbehrliche Hilfsquelle für die Entwicklung und Belebung der Wirtschaft und für den friedlichen Fortschritt“. Und hat deshalb zum Ziel, "die Voraussetzungen für die Entwicklung einer mächtigen Kernindustrie zu schaffen.“ EURATOM ist ein wichtiges Instrument zur einseitigen Förderung der Atomkraft und der Atomindustrie in der EU. EURATOM finanziert die Erforschung der Atomenergie und gewährte Milliarden von Euro als Kredite für die Errichtung und Modernisierung von Atomkraftwerken.

450 Milliarden für Neubau von Atomkraftwerken

Als es 2011 zum Supergau im japanischen AKW Fukushima kam, dachten viele, dass nun der Einstieg in den Atomausstieg gekommen sei. Nicht die EU-Kommission, die als „Hüterin der EU-Verträge“ – also auch von EURATOM – als klare Pro-Atomlobby agiert. Wenige Monate nach Fukushima ging die EU-Kommission bereits wieder in die Atomoffensive und legte einen „Energiefahrplan 2050“ vor, der der nationalen Energiepolitik „ein europäisches Gerüst geben soll.“  Deklariertes Ziel: Ausbau der Atomenergie. So berichtet die Süddeutsche Zeitung über den EU-Fahrplan: „Unterhändlern zufolge sehen die Details der Szenarien den Neubau von 40 Kernkraftwerken allein bis 2030 vor. […] Auch eine finanzielle Förderung der Atomenergie in Mitgliedsstaaten […] hält die Kommission Unterhändlern zufolge für möglich. Sie könnte demnach Subventionen für Neuinvestitionen in Atomkraftwerke, zum Beispiel in Großbritannien, erlauben.“ (1) Drei Jahre später war es soweit: Die EU-Kommission genehmigt 2014 die staatliche Subventionierung des britischen Atomkraftwerks Hinkley Point C. Die Gesamtkosten werden auf 43 Milliarden geschätzt, die staatlichen Subventionen auf 19 Milliarden.

„Die Atomkraft in Europa soll wieder erstarken“

Im April 2016 hat die EU-Kommission in einem „hinweisenden Atomprogramm“ (PINC) sich erneut für den Erhalt bzw. Ausbau der Atomenergie in der EU ausgesprochen. Für die Hälfte der Reaktoren in der EU befürwortet die EU-Kommission eine Verlängerung von 40 auf bis zu 60 Jahre. Dazu kommt noch das PINC-Ziel von 80 Gigawatt neuer Nuklearkapazität (80 AKWs mit 1.000 Megawatt Leistung) in der EU bis 2050. Wörtlich heißt es im PINC-Papier der EU-Kommission: „Europa kann die Technologieführerschaft in der Nuklearenergie nur erhalten, wenn es eine lebendige heimische Nuklearindustrie erhält und entsprechend gut finanzierte und diversifizierte Fähigkeiten zur Forschung“ (2). Bis 2050 sollen demnach – so das Kommission-Papier - zwischen 350 und 450 Milliarden in den Neubau von Atomkraftwerken investiert werden. Weitere 253 Milliarden fallen für Stilllegung und Entsorgung des radioaktiven Abfalls an.

Auch wenn die konkrete Ausgestaltung der Energiepolitik in der EU nationale Kompetenz ist, leistet die Kommission damit den Bestrebungen der Atomstaaten Vorschub, ihre Nuklearwirtschaft mit öffentlichen Subventionen aufrechtzuerhalten und auszubauen. Das Umweltinstitut München analysiert: „Der Bericht legt den Schwerpunkt auf Investitionen im Zusammenhang mit dem sicheren Betrieb laufender Reaktoren. Hierzu sollen die Rahmenbedingungen verbessert werden, dass z.B. schnellere (positive) Förder-Entscheidungen herbeigeführt werden können. Auch die Forschung soll vorangetrieben werden. Unter anderem ist der Bau von Mini-Atomreaktoren geplant … Die augenscheinliche Absicht des Programms: Die Atomkraft in Europa soll wieder erstarken.“ (3)

Hinkley Point C für Trident-Flotte

Die Atomenergie ist mittlerweile die teuerste Energieform geworden, die nur mit horrenden staatlichen Subventionen am Leben gehalten werden kann. Warum hat die EU-Kommission, die sonst so strikt auf „Wettbewerbsfähigkeit“ pocht, kein Problem mit Milliardensubventionen für eine Energieform, die extrem gefährlich ist und nachfolgenden Generationen unverantwortbare Umweltprobleme aufbürdet? Ein Bericht der britischen Universität Sussex (4) hat das geplante Atomkraftwerkt Hinkley Point C näher unter die Lupe genommen. Der Befund der Wissenschaftler: Die britische Regierung braucht den neuen Atommeiler weniger für die Energiegewinnung, sondern vor allem für die atombetriebenen U-Boote, die als Abschussbasis für die nuklearen Trident-Raketen dienen. Die Wissenschaftler verweisen auf Dokumente, wonach Rüstungskonzerne wie Rolls-Royce und BAE Systems eine „robuste“ zivile Atomindustrie als wesentlich für die Erneuerung des Atom-U-Boot-Programms sehen. Phil Johnstone, einer der Autoren des Berichts: „Bei Hinkley handelt es sich um denselben Typ, der für den Atom-U-Boot-Antrieb benötigt wird“ (5). Das britische Unterhaus hat beschlossen, 31 Milliarden Pfund in die Erneuerung der Trident-Flotte zu investieren. Nach Expertenschätzungen kann das noch teurer werden. Deshalb wolle man nun die notwendigen Forschungs- und Entwicklungsaufgaben in den zivilen Bereich – also Hinkley Point – auslagern, so der Bericht der Universität Sussex.

Auch bei den EU-Forschungsgeldern für die Atomenergie kann man davon ausgehen, dass ein militärischer „Kollateralnutzen“ generiert wird. Der EU-Gipfel im Dezember 2013 hat die EU-Staaten sogar dazu aufgerufen, zivile und militärische Forschung miteinander zu verschränken („dual use“). Die EU-Forschungsförderungsprogramme wurden mit „Horizon 2020“ (2014 – 2020), in dessen Rahmen auch viel Geld in die Atomforschung fließt, erstmals auch offiziell für militärische Zwecke geöffnet.

„Atom-Supermacht“ EU

Welche Auswirkungen der Brexits auf diese atomaren Perspektiven haben wird, ist noch ungewiss. Gewiss ist aber: Das EU-Establishment will den Brexit nutzen, um eine „Rüstungsrevolution“ (O-Ton der EU-Außenbeauftragten F. Mogherini) in der EU zu entfachen. In Frankreich läuft bereits seit Jahren eine umfassende Modernisierung des eigenen Atomarsenals. Nach offiziellen Angaben werden dafür jährlich 4,6 Milliarden Euro aufgewendet; unabhängige Quellen sprechen von 6 Milliarden. Das deutsche Establishment, dem ein direkter Zugriff auf Atomwaffen durch den Atomwaffensperrvertrag verwehrt ist, orientiert strategisch auf den Aufbau einer EU-Armee, die über eigene Atombomben verfügt. Der Druck in diese Richtung nimmt zu. So forderte der Obmann für Außenpolitik der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag , Roderich Kiesewetter, die EU brauche einen "eigenen nuklearen Schutz zu Abschreckungszwecken" (6). Jarosław Kaczyński , Vorsitzender der rechtskonservativen polnischen Regierungspartie PiS, setzte in einem Interview mit einer deutschen Tageszeitung nach: Er würde eine "Atom-Supermacht Europa begrüßen". „Die Schlagkraft muss der Russlands gleichen“, so Jarosław Kaczyński. Dafür müsse „man zu gewaltigen Ausgaben bereit sein.“ (7)

Vor diesem Hintergrund wird es klar, warum die EU-Kommission sowohl ein Hauptmotor der weiteren EU-Militarisierung als auch der Förderung der Atomenergie ist. Kommissionspräsident Jean Claude Juncker hatte bei seinem Amtsantritt angekündigt, die neue Kommission werde „die großen Dinge groß machen“. Eines dieser „großen Dinge“ nannte er bei seiner offiziellen Inauguration: die „Europäische Energieunion“. Ein anderes wärmt Juncker seither im Jahresrythmus auf: die Schaffung einer EU-Armee. Beide Projekte könnten viel miteinander zu tun haben und im Griff nach der EU-Atombombe ihren unausgesprochenen Zielpunkt haben.

2. Republik versus EURATOM und EU-Militarisierung

Österreich hat eine Verfassung, die dem diametral entgegensteht: Die Verfassung der 2. Republik enthält eine Friedenspflicht in Form des Verfassungsgesetzes über die immerwährende Neutralität, und Österreich verpflichtet sich zur zivilen und militärischen Atomenergiefreiheit in Form des „Bundesverfassungsgesetzes für eine atomfreies Österreich“.

Seit dem EU-Beitritt wird sowohl die Neutralität ausgehöhlt - zB über die Teilnahme an den EU-Battlegroups - als die Glaubwürdigkeit einer klaren Antiatompolitik untergraben – z.B. über die Mitfinanzierung von EURATOM. Atomkraftkritiker gehen davon aus, dass Österreich jährlich über 100 Millionen Euro in die EU-Atomtöpfe einbezahlt. Nicht nur die Regierungsparteien sägen systematisch an den Grundlagen der 2. Republik. Augenscheinlich wurde das wieder, als der frisch gewählte Bundespräsident Alexander van der Bellen Anfang Jänner 2017 den Entwurf für eine neue EU-Verfassung „ausdrücklich befürwortete“, die sowohl den Aufbau einer EU-Armee mit einem globalen Interventionsauftrag als auch die Förderung der Atomenergie festschreiben soll. Gleichzeitig macht rechtsaußen FPÖ-Frontmann HC Strache Stimmung für eine „EU-Armee einschließlich von Atomwaffen“.

Die Solidarwerkstatt ist der Überzeugung: Wir brauchen das Gegenteil, nämlich den Ausstieg Österreichs aus der EU-Militärpolitik und aus EURATOM. Damit wird nicht nur viel Geld frei, das sinnvoller z.B. in die Förderung erneuerbare Energien investiert werden kann, damit gewinnen wir auch Freiraum für eine Politik, die sich – basierende auf der Verfassung der 2. Republik – glaubwürdig für internationale Abrüstung und Atomenergiefreiheit einsetzen kann. Neutrale Staaten, die beim Aufrüstungswahnsinn nicht mitmachen, sondern sich international für zivile Konfliktregelung und Demilitarisierung engagieren, sind jetzt wichtiger denn je! Wer dafür ein Zeichen setzen will, ist herzlich zu unserer Kundgebung anlässlich des Jahrestages der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages eingeladen. Diese findet heuer am 14. Mai beim Denkmal der Republik (vor dem österreichischen Parlament) statt.

Gerald Oberansmayrraus aus euratom logo
(Mai 2017)

Weitere Informationen:

Österreich - Raus aus Euroatom! http://www.raus-aus-euratom.at/

Bereits 325 Gemeinden haben eine Resolution zum Ausstieg aus dem EURATOM-Vertrag beschlossen
http://www.raus-aus-euratom.at/gemeinden.php

Quellen:
(1) Süddeutsche Zeitung, 9.12.2011
(2) https://ec.europa.eu/transparency/regdoc/rep/1/2016/DE/1-2016-177-DE-F1-1.PDF
(3) http://www.umweltinstitut.org/themen/radioaktivitaet/internationale-atompolitik/euratom.html
(4) http://sro.sussex.ac.uk/63568/
(5) TAZ, 23.11.2016
(6) www.reuters.com 16.11.2016
(7) Die Zeit, 6.2.2017