Die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat zu einem „European Green Deal“ aufgerufen, durch den die EU bis 2030 die CO2-Emmissionen um 50 bis 55% senken und bis 2050 CO2-neutral werden soll. Das sei Europas „Man on the moon“-Moment, so Van der Leyen euphorisch. Doch die Lektüre des 29-seitigen EU-Papiers lässt erhebliche Zweifel aufkommen.

Man findet in diesem EU-Papier viele vernünftige Überschriften. Vieles bleibt jedoch vage. Und dort wo es konkret wird, ist etliches beunruhigend. Im Verkehrsbereich etwa will die EU vor allem auf die Förderung von Elektroautos setzen. Der Verkehrsexperte Winfried Wolf hat ausführlich dargelegt, warum das ein Weg in die Sackgasse ist – klimapolitisch wie aus vielen anderen Gründen. Statt endlich eine echte Verkehrswende weg vom Automobilismus anzutreten, würde damit der Autoindustrie ein zweiter Frühling verschafft.

Blinde Flecken…

Konsequenterweise wird im EU-Green Deal mit keiner Silbe der Ausbau der „Transeuropäischen Netze“ (TEN) der EU in Frage gestellt. Laut EU-Verordnung sollen bis 2030 einige tausend TEN-Autobahn-Kilometer errichtet werden, bis 2050 einige zehntausend Zubringerstraßen zu diesen TEN-Autobahnen. In Österreich zählen einige Megaprojekte (z.B. Lobau-Autobahn, Osttangente Linz, 3. Piste am Flughafen Schwechat) zu diesen TEN. Ebenfalls nicht in Frage gestellt wird die Initiative der EU-Kommission „Überwindung der Wachstumsgrenzen im europäischen Flugverkehr“ (Juni 2017), die dem klimafeindlichen Flugverkehr Flügel verleihen soll. Das Credo dieser EU-Initiative: Mehr Flüge bedeuten mehr Wachstum und mehr Arbeitsplätze“ (EU-Kommission, 8.6.2017). Es mutet daher absurd an, dass im EU-Green-Deal die Herstellung eines „Einheitlichen Europäischen Luftraums“ als wirksame Maßnahme gegen den Klimaschutz gepriesen wird, obwohl dieser „Einheitliche Europäische Luftraum“ das ausdrückliche Ziel hat „die Luftraumkapazitäten zu verdreifachen“ (https://www.europarl.europa.eu).

Mit keiner Silbe werden auch der neoliberale EU-Binnenmarkt und Freihandelsverträge wie etwa das EU-Mercosur-Abkommen im „Green Deal“ hinterfragt. Im Gegenteil: Diese Handelspolitik wird im EU-Papier als Chance verklärt, „den ökologischen Wandel in der EU zu unterstützen.“ Dabei zeigt sich: EU-Binnenmarkt und Freihandelsverträge heizen dem Klima ein – durch das Ankurbeln von fossilen Verkehrsströmen, Zerstören regionaler Wirtschaftskreisläufe, Förderung von Agrokonzernen und Massentierhaltung, Vernichtung von Regenwäldern usw. Ebenso sucht man im „Green Deal“ vergeblich eine Absage an die Energiecharta. Dieser Vertrag ermöglicht es Konzernen, gegen Staaten vor privaten Schiedsgerichten zu klagen, wenn sie sich durch staatliche Vorgaben zum Ausstieg aus fossilen Energien in ihren Profiterwartungen enttäuscht sehen. Sowohl alle EU-Staaten als auch die EU selbst und die EU-Atomgemeinschaft EURATOM sind Mitglieder dieses Energiecharta-Vertrags.

… und gefährliche Drohungen

Auch die derzeit in der EU massiv vorangetrieben Aufrüstung („Ständig Strukturierte Zusammenarbeit“) wird im EU-Green Deal totgeschwiegen, obwohl man weiß, dass gerade das Militär einer der größten Klimakiller ist. Das EU-Papier betont vielmehr, dass „die Auswirkungen der Klimapolitik zu einem integralen Bestandteil … auch im Kontext der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) werden soll“. Das ist eine gefährliche Drohung, denn in der EU-Globalstrategie von 2016 wird als eine wesentliche Aufgabe dieser GASP genannt, die „Aufrechterhaltung des Zugangs zu Rohstoffen“ – wenn nötig auch durch Militär - abzusichern. Globale EU-Militäreinsätze in Zukunft für Lithium, Kupfer und Kobalt, um die E-Car-Motoren am Laufen zu halten?

„Green Deal im Keim erstickt“

Wer anstelle einer echten Verkehrswende auf die Förderung von Elektroautos setzt, dem muss klar sein: Damit wird der Hunger nach Strom enorm angekurbelt. Neben der Autoindustrie könnte daher eine weitere Industrie zu den großen Gewinnern des „Man on the moon“-Projekts der EU gehören: die Atomindustrie. Denn die Atomenergie, die in der EU durch den EURATOM-Vertag ohnehin privilegiert ist, wurde in der EU-Gipfelerklärung als möglicher Teil eines „Green Deals“ der EU anerkannt und damit ein Persilschein als „grüne Energie“ ausgestellt. Die Initiative „Atomstopp – atomkraftfrei leben“ empört sich darüber zu Recht:

"Das klägliche Einknicken vor der Atomlobby beim gestrigen Klimakompromiss kann nur als Katastrophe und absolut jenseitiger Einstand für Kommissions-Präsidentin Ursula Von der Leyen und Rats-Präsident Charles Michel bezeichnet werden […] Die Einstufung von Atomkraft als grüne Energie wird sich als nachhaltiger Fehler herausstellen, egal wie die Atomstaaten mit dem neuen Persilschein weiterverfahren: Der ausnehmend teure und vollkommen unwirtschaftliche Neubau von AKWs dauert lang und ist auf abenteuerliche Finanzierungsmodelle angewiesen – auf diese Weise werden hohe Summen an Steuergeldern auf Jahrzehnte gebunden. Setzen Frankreich, Tschechien & Co andrerseits auf Laufzeitverlängerung alter Reaktoren, wird neben der Klimakrise gleich noch ein zweites Bedrohungsszenario eröffnet, weil mit jedem Jahr das Risiko schwerer Unfälle drastisch ansteigt […] Kapital- und Zeitvergeudung, atomverstopfte Netze, Energiewende vertagt, Gefahr verlängert – das sind die fatalen Ergebnisse des gestrigen Gipfels. Statt auf eine visionäre, zukunftsfähige Ausgestaltung der europäischen Energieversorgung zu setzen, lassen sich EU-Kommission- und Rat unter Von der Leyen und Michel von Bremsern erpressen und auf Stillstand einbetonieren. Die Chance auf einen Green Deal, der den Namen verdient, haben beide damit im Keim ersticken lassen!" (www.atomstopp.at, 13.12.2019)

In der Tat: Wer nach Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima die Welt mit Atomkraftwerken retten will, die jahrtausendelang zukünftigen Generationen radioaktiven Giftmüll hinterlassen, schickt - auch sprichwörtlich - keinen Mann (und keine Frau) auf den Mond, er belegt damit eher, dass er hinter selbigem lebt.

Gerald Oberansmayr
(21.12.2019)