Interview des Werkstatt-Blatts mit Andreas Kollross, Bürgermeister in der niederösterreichischen Gemeinde Trumau und Vorsitzender des sozialdemokratischen Gemeindevertreter-Verbandes, über Finanznot und Zukunftsaussichten der Gemeinden.

Werkstatt-Blatt: Sie sind Bürgermeister der NÖ Gemeinde Trumau und Vorsitzender des sozialdemokratischen Gemeindevertreter-Verbandes. Sie haben wiederholt kritisiert, dass die hohe Teuerung die Gemeinden an die Belastungsgrenze bringt. Wie bekommen die BürgerInnen diese kommunale Finanznot konkret zu spüren?

KollrossAndreas Kollross: In welcher Höhe die BürgerInnen diese Belastung genau zu spüren bekommen, kann aus heutiger Sicht noch nicht korrekt beantwortet werden. Fakt ist, die Teuerung, vor allem im Energiebereich, schlägt sich auf die Daseinsvorsorge nieder. Also konkret in der Wasserversorgung, Abwasser- und Müllentsorgung. Diese Bereiche werden mittels Gebühren auf die BürgerInnen umgelegt. Steigen die Energiekosten, was im Moment bekanntermaßen der Fall ist, steigen die Gebühren für all diese Bereiche. Meiner persönlichen Einschätzung nach sind hier Gebührenerhöhungen von mindestens 20 Prozent zu erwarten. In manchen Gemeinden und Regionen wahrscheinlich weit mehr. Zweiter Punkt in diesem Bereich ist die Lebensqualität im Allgemeinen. Wir alle leben in einer Gemeinde oder Stadt und konsumieren die Leistungen dieser Kommunen. Ob das jetzt die Schulerhaltung ist, die Kinderbetreuung, Pflege- und Altenbetreuung, die Sanierung von Straßen, der Bau von Radwegen, das Rettungs- und Feuerwehrwesen, Freizeiteinrichtungen wie Eislaufplätze, Hallen- oder Freibäder, Spielplätze, das Vereinswesen und vieles mehr. Wird es in den Gemeindekassen enger, bedeutet das automatisch Leistungskürzungen und somit in weiterer Folge weniger Lebensqualität vor Ort, als wir es bisher gewohnt sind.

Die Regierung hat nun eine Milliarde für Gemeindeinvestitionen versprochen. Sie bezeichnen das als „Mogelpackung“. Warum?

Weil die Regierung denselben Fehler wie bereits 2020 macht. Sie schütten zwar Geld aus, begreifen jedoch nicht, dass die Form der Unterstützung ungeeignet ist. Das Gemeindeinvestitionspaket bedeutet, dass Investitionen zum Beispiel im Straßenbau, im Kindergarten für die Umrüstung der Straßenbeleuchtung auf LED und so weiter mit bis zu 50 Prozent mit diesem Investitionspaket gefördert werden. Genau darin liegt aber das Problem. 50 Prozent müssen die Kommunen selbst aufbringen. Für viele Gemeinden in der momentanen Situation eine unlösbare Aufgabe, weil die Liquidität in den Gemeindekassen nicht gegeben ist. Viele werden somit die Förderung nicht abrufen können. Das war auch 2020 so, als die Gemeinden aufgrund der Coronakrise in finanzielle Nöte gelangten. Die Regierung musste dann ein weiteres Paket schnüren, damit die Gemeinden in die Lage versetzt werden, das erste Hilfspaket überhaupt abrufen zu können. Ich gehe davon aus, dass das auch nun wieder passieren wird. Wer keinen finanziellen Spielraum hat, kann keine Förderung in Anspruch nehmen, die man nur dann bekommt, wenn man selbst 50 Prozent dafür aufwenden kann. Das wäre eigentlich keine Raketenwissenschaft. Die Regierung begreift es aber trotzdem nicht.

Wie versuchen Sie in Ihrer Gemeinde Trumau – unter den gegebenen Rahmenbedingungen – den vielfachen Krisen entgegenzuwirken?

Gemeinden finanzieren sich im Großen aus zwei Einnahmenquellen. Das erste sind die sogenannten Ertragsanteile. Also ein Anteil des Gesamtsteueraufkommens der Republik. Der zweite große Bereich ist die Kommunalsteuer. Jeder Betrieb, der Beschäftigte hat, muss bei den Lohnnebenkosten einen Teil an die Gemeinde abliefern. Je mehr Betriebe und je mehr Beschäftigte, desto höher der finanzielle Spielraum der Gemeinde. Trumau ist in der glücklichen Lage, weit über 1.000 Arbeitsplätze im Gemeindegebiet zu haben, was unseren Spielraum weit größer macht als in Gemeinden, die 5 bis 20 Beschäftigte haben und keine Betriebe vor Ort.
Als ich vor knapp 10 Jahren Bürgermeister wurde, war ich sofort damit konfrontiert, dass ein Betrieb mit weit über 100 Beschäftigten in Konkurs ging, was sofort Auswirkungen auf das Gemeindebudget hatte. Als Gemeinde hast du darauf keinen Einfluss, was für mich bedeutet hat, dass ich in den letzten Jahren ganz bewusst Rücklagen gebildet habe, damit ich nicht sofort darüber nachdenken muss, was ich in Zukunft für meine BürgerInnen nicht mehr anbieten kann, wenn ich mit so einer Situation konfrontiert werde. Diese geschaffenen Rücklagen geben uns in der jetzigen Zeit Sicherheit, werden aber natürlich geringer. Viele Gemeinden haben aber gar nicht die Möglichkeit, Rücklagen zu bilden. Die kommen nun doppelt zum Handkuss und dann wird ihnen noch mit dem Gemeindeinvestitionsgesetz eine Karotte vor die Nase gehalten. Sie werden, wie in einem solchen Fall üblich, die Karotte allerdings nicht zu Fassen bekommen.

Der Anteil der Gemeindeinvestitionen am BIP (ohne Wien) lag Mitte der 90er Jahre bei 1,4 Prozent, jetzt bei ca. 0,7%, also der Hälfte. Bräuchten wir nicht eine völlige Umkehr in Richtung massiver Erhöhung der Gemeindebudgets und Gemeindeinvestitionen, gerade um die großen sozialen und ökologischen Herausforderungen zu stemmen? Was wären Ihrer Meinung nach die wichtigsten Schritte, um die Gemeindebudgets nachhaltig zu erhöhen? Welche kommunalen Investitionen wären aus ökosozialer Perspektive besonders dringend?

Ja, die Gemeinden wurden in der Vergangenheit finanziell ausgehungert und gleichzeitig wurden ihnen mehr Aufgaben übertragen. Hier braucht es mit Sicherheit einen Kurswechsel. Die anstehenden Finanzausgleichsverhandlungen, also jene Verhandlungen, bei denen beschlossen wird, wer wie viel vom Gesamtsteuerkuchen erhält, bieten hier eine Chance, es wiederum in die richtige Richtung zu drehen. Es würde jedoch schon ein großer Wurf sein, wenn die zuvor erwähnten Ertragsanteile direkt an die Gemeinden ausbezahlt werden und nicht auf Umwegen über die einzelnen Bundesländer ausbezahlt werden, denn hier gibt es eine weitere Ungerechtigkeit. Die Länder behalten sich einen Teil der den Gemeinden zustehenden Gelder ein und verteilen diese dann mittels sogenannter Bedarfszuweisungen. In manchen Bundesländern, wie zum Beispiel in Niederösterreich werden das dann politische Gelder. Bist du als Gemeinde brav und huldigst die Landeshauptfrau, bekommst du die Gelder, die dir eigentlich gehören; bist du nicht artig oder einfach der falschen Partei zugehörig, schaust du durch die Finger. Diese Ungerechtigkeit gehört abgestellt.

Für die Zukunft wären aus meiner Sicht alle Investitionen wichtig, die in Richtung Energieunabhängigkeit und erneuerbarer Energie gehen. Die Energiewende findet in den Gemeinden statt, ob Windräder aufgestellt werden, Gebäude thermisch saniert werden, Photovoltaikanlagen auf Dächern oder auf Freiflächen gebaut werden, die Straßenbeleuchtung auf LED umgerüstet wird, Heizsysteme ausgetauscht werden, usw. Hier bräuchte es einen bundesweiten Plan und natürlich auch Finanzmittel, um Schritt für Schritt diese Projekte umzusetzen. Weil wir allerdings eine Bundesregierung haben, die seit über 800 Tagen kein Klimaschutzgesetz auf den Weg gebracht hat und sich somit selbst Ziele gibt, werden zwar Finanzmittel zur Verfügung gestellt, es fehlt allerdings der Plan und die Strategie dazu.

In der Verfassung werden die Gemeinden als autonome Körperschaft hervorgehoben. In der Praxis beschließen Bund und Länder Gesetze und Verordnungen, die die Gemeinden umzusetzen haben, ohne dabei mitwirken zu können. Wäre es nicht an der Zeit, die demokratische Mitbestimmung der Gemeinden auf Bundesebene zu stärken, z.B. durch einen Bundesgemeinderat, in den die Gemeinden gewählte VertreterInnen schicken, um bei wichtigen Bundesgesetzen und Budgetentscheidungen, die die Gemeinden betreffen, mitzuwirken?

Ich denke nicht, dass es hier eine neue bürokratische Plattform braucht. Es wäre auf der einen Seite wünschenswert, dass Gesetze dahingehend einer Prüfung unterzogen werden müssen, welche Auswirkungen diese auf die darunter befindlichen Körperschaften haben und was parallel somit zu passieren hat, damit diese Gesetze ihre Rechtsgültigkeit erlangen. Wer auf Bundesebene Aufgaben und Auswirkungen auf die Gemeindeebene beschließt, hat auch für die finanzielle Deckung zu sorgen. Ein verpflichtender Gemeindecheck diesbezüglich würde da schon genügen.
Auf der anderen Seite bin ich immer ein Fan davon, über die Rolle und Aufgaben des Bundesrates zu diskutieren. Ich gehöre nicht zu jenen, die diesen abschaffen wollen, sondern zu jenen, die dem Bundesrat mehr Kompetenzen geben möchten. Es ist zwar die Länderkammer und somit nicht von vornherein für die beschriebene Aufgabe am besten geeignet, aber man könnte hier durchaus über eine Umwandlung und eine Rollenverteilung nachdenken. Der Gemeindecheck könnte da zum Beispiel eine zusätzliche Aufgabenstellung sein.

(Interview aus Werkstatt-Blatt 4/2022)


Sag mir, wo die Milliarden sind?

Gemeindeinvest

Die Gemeinden zählen zu den wichtigsten öffentlichen Investoren. Seit dem EU-Beitritt ist der Anteil der Gemeindeinvestitionen deutlich zurückgegangen. Der Tiefpunkt wurde in den Jahren unmittelbar nach der großen Wirtschafts- und Finanzkrise erreicht. Seither sind die kommunalen Investitionen wieder leicht gestiegen. Mit Covid- und Energie-Krise droht nun erneut ein Rückschlag. 2020 war der Anteil der Gemeindeinvestitionen am BIP bei 0,72%. Zum Vergleich: Im Jahr 1994 lagen sie mit 1,42% fast doppelt so hoch. Ein Gedankenexperiment: Wären die Gemeindeinvestitonen auf diesem Stand verblieben, wären in den letzten drei Jahrzehnten rd. 46 Milliarden Euro mehr für Gemeindeinvestitionen ausgegeben worden. Diese Milliarden fehlen bitter – von der Pflege bis hin zum Klimaschutz.