ImageSolidarität, starke Organisation, entschlossenes Handeln haben die Zerschlagung des solidarischen Gesundheitssystems vorerst verhindert. Die Werkstatt Frieden & Solidarität ruft zu weiteren Initiativen für ein solidarisches Gesundheitssystem auf.


Regierung, Wirtschaftskammer und eine willfährige ÖGB-Führung wollten die Finanzkrise einiger Krankenkassen, die sie selbst bewusst herbeigeführt haben, dazu benutzen, um unser solidarisches Gesundheitssystem zu zerschlagen. Die Mitsprache der Kapitalvertreter in der Selbstverwaltung sollte zu einem Vetorecht in allen Fragen ausgebaut werden. Über die Holdingkonstruktion hätte die Regierung direkte Durchgriffsrechte auf die Krankenkassen bekommen. Das Verhandlungsmandat der freiberuflichen Ärzteschaft sollte über Einzelverträge ausgehebelt und damit die Angebotsseite für kapitalförmige Organisation  der Gesundheitsleistungen geöffnet werden. Diese Pläne sind vorerst gescheitert.

Geschuldet ist dieser Erfolg im Kampf gegen Zwei-Klassen-Medizin einem breiten Bündnis aus unbotmäßigen GewerkschafterInnen, Krankenkassen, aktiven Versicherten und PatientInnen, vor allem aber der Ärzteschaft. Sie hat gezeigt, dass eine starke Organisation, Solidarität und die Entschlossenheit im Handeln viel wichtiger sind, als ein paar Mandate im Parlament. Die Werkstatt Frieden & Solidarität hat nach Kräften zu diesem Erfolg beigetragen.

Es ist jedoch keine Entwarnung angesagt. Über manchen insbesondere der Wíener Gebietskrankenkasse schwebt das Damoklesschwert der Zahlungsunfähigkeit. Diese Finanzkrise hat zweierlei Ursachen, wie Gerald Oberansmayr, von der Werkstatt Frieden&Solidarität erklärt: "Zum Einen gibt es eine strukturelle Einnahmenerosion bei den Sozialversicherungsbeiträgen seit dem EU-Beitritt Österreichs. Zum anderen wurden die Krankenkassen gezielt geplündert."

Dieses Finanzloch wird mit Sicherheit für weitere Angriffe auf das solidarische Gesundheitssystem genutzt werden. "In dieser Situation ist es völlig verantwortungslos von der ÖGB-Führung, dass die Sozialversicherten nicht zu Aktionen mobilisiert wurden, dass der Protest den ÄrztInnen überlassen wurde. Wir können auf eine derartige ÖGB-Führung nicht mehr warten. Die nächsten Angriffe kommen bestimmt. Wir müssen selbst aktiv werden", meint Stefan Daxner, Werkstatt und Gewerkschaftsaktivist: "Es sollten möglichst überall Initiativen für ein solidarisches Gesundheitssystem wie in Linz entstehen."

"Das solidarische Gesundheitssystem darf nicht zerschlagen werden, sondern muss auf neue Bereiche, wie z. B. die Langzeitpflege ausgedehnt werden. Was Zwei-Klassen-Medizin konkret bedeutet, kann jeder, der sehen und hören will im Bereich der Pflege sehen und hören. Wir sollten eine Urabstimmung darüber durchführen, ob wir die Pflege ín die Sozialversicherung integrieren wollen!"  fordert Tanja Kaizar, Pflegeexpertin und Werkstatt-Aktivistin.

Ein Drittel des österreichischen Sozialprodukts wird über das System der Sozialversicherungen umverteilt. Die Gesundheitsausgaben betragen rund 10% des Bruttoinlandsprodukts, das sind über 25 Mrd. Euro. Davon wird der weit überwiegende Teil, dank Sozialversicherung und freiberuflicher Ärzteschaft nicht kapitalförmig organisiert. Das EU-Binnenmarktregime zielt wesentlich auf die Unterordnung aller gesellschaftlicher Bereiche unter das Organisationsprinzip der Eigenkapitalrendite. Kein Wunder, dass das österreichische System der selbstverwalteten solidarischen Sozialversicherungen zu einem der Hauptangriffspunkte der Eliten geworden ist. Dieses System steht auch der Politik der weiteren Verbilligung des Arbeitskräfteangebots im Wege. Umso verwunderlicher ist deshalb, dass die Stimme jener politischen Akteure, die ihre Hoffnung auf ein soziales und solidarisches Europa allerorten verkünden, in dieser Auseinandersetzung kaum hörbar wurde.  Christoph Leitl, Präsident der Wirtschaftskammer und einer der Architekten der Kassenzerschlagungsreform formuliert in der Kronen Zeitung: "Warum nicht eine Sozialunion Europa?" Lässt sich hinter der Nebelwand vom sozialen und demokratischen Europa das österreichische Sozialsystem und die nationalen demokratischen Institutionen besser zertrümmern?

Boris Lechthaler, Vorsitzender der Werkstatt Frieden & Solidarität, meint deshalb abschließend: "Das vorläufige Scheitern der Krankenkassenzerschlagungsreform ist ein wichtiger Etappensieg für die demokratischen und solidarischen gesellschaftlichen Kräfte. Der breite Widerstand der Menschen in- und außerhalb Österreichs hat das Elitenprojekt EU insgesamt wieder zur Disposition gestellt. Umso wichtiger ist, dass wir uns jetzt nicht von neuen Illusionen einlullen lassen. Die Ärzte haben gezeigt wie's geht: gut organisiert sein, solidarisch handeln und sich nicht ein x für ein u vormalen lassen!"

 

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