
Die Diskussionen zum Thema Zentralmatura umfassen die verschiedensten Aspekte: Fragen der fachspezifischen Umsetzung und der schulinternen Vorbereitung. Die Sorge, dass kritische Reflexion und Lehrfreiheit zugunsten von „teaching for the test“ zurückgedrängt werden. Fragen, wer „formal und informell“ den zu lehrenden „Kanon“ definieren wird.
Wir möchten hier eine weitere Problematik in die Debatte einbringen, die unserer Meinung nach bislang zu wenig Aufmerksamkeit gefunden hat: die Frage nach dem Zusammenhang von Zentralmatura und Zugangsbeschränkungen an den Universitäten.
BefürworterInnen der Zentralmatura argumentieren gerne, dass diese mehr Gerechtigkeit bringen würde: das Niveau würde einheitlicher werden, die Maturazeugnisse damit vergleichbarer und die Matura „gleichwertiger“. Auch würde die Ungerechtigkeit beseitigt werden, dass manche LehrerInnen die Matura quasi herschenken, während andere extrem rigid prüfen würden.
Dazu ist festzustellen, dass extreme Ungerechtigkeiten in die eine oder andere Richtung („Herschenken“ versus „Killerlehrer“) auch jetzt schon durch Maßnahmen der Schulaufsicht abzustellen wären. Das ist eine Frage des entsprechenden Willens. Und was das „Niveau“ betrifft - da wäre eine inhaltliche Diskussion in den jeweiligen Fächern spannend, was genau darunter zu verstehen ist.
Zentral für alle SchülerInnen vergebene Aufgaben schaffen zudem nur so viel „Gerechtigkeit“, wie die Vorbereitungen auf diese Prüfungen vergleichbar verlaufen. Die Qualität von Unterricht sowie das Engagement und die Fähigkeiten von Lehrpersonen werden sich jedoch mit der Einführung der Zentralmatura nicht automatisch angleichen.
Gleichzeitig stimmt es natürlich, dass das (wie auch immer zu definierende) „Niveau“ an den einzelnen Standorten sehr unterschiedlich ist. Aber das war es immer schon und das hat jahrzehntelang keinen Bildungspolitiker sonderlich aufgeregt. Eher im Gegenteil: Im Rahmen der Schulautonomie wurden in den letzten Jahren unterschiedliche Schwerpunktsetzungen und Vorstellungen von „guter Schule“ formuliert in standortspezifischen Schulleitbildern von der Politik ausdrücklich befürwortet.
Die Frage ist also: Warum jetzt? Warum entdecken BildungspolitikerInnen der verschiedensten Couleurs gerade jetzt, dass die Niveauunterschiede unerträglich groß seien und dringend mittels Zentralmatura reguliert gehörten?
Wir möchten zur Diskussion stellen, ob es dabei wirklich um „Gerechtigkeit“ geht oder doch auch um die angestrebte EU-weite Vereinheitlichung der universitären Ausbildungsrichtlinien (Stichwort Bologna-Prozess) - sowie um die schrittweise Einführung von Zugangsbeschränkungen an den Universitäten. In den meisten EU-Staaten sind diese Zugangsbeschränkungen bereits stärker ausgeprägt als in Österreich. Bei uns gibt es sie gegenwärtig in einigen Fächern (wie Medizin, Psychologie...), aber es könnten leicht mehr werden, wie viele Wortmeldungen von PolitikerInnen im Zuge der „Audimax-Bewegung“ vor Weihnachten gezeigt haben. Nachdem die Unis seit Jahren finanziell an der kurzen Leine gehalten werden, das objektiv nötige Geld von der Politik nicht ausreichend zur Verfügung gestellt wird, erscheinen Zugangsbeschränkungen als „unumgängliche“ Lösung für die angeblich zu vielen jungen Menschen, die eine universitäre Ausbildung anstreben. (Quasi nach dem Motto: „Erst aushungern, dann die Überfüllung beklagen, schließlich einschränken!“ Zur Illustration: 1995 wurden in Österreich noch 6,2 % des BIP für Bildung ausgegeben (damaliger OECD-Schnitt 5,4 %). 2006 waren es nur noch 5,5, % - und damit weniger als der OECD-Schnitt von nunmehr 5,7 %.)
Ein universitärer Numerus-Clausus, der (wie bereits in vielen EU-Ländern) wesentlich auf den Maturanoten aufbaut, kann aber nur effizient sein, wenn die Matura gleichgeschaltet („zentral“) ist. Ansonsten kann ja nicht „gerecht“ verglichen werden, wer die kostbaren Studienplätze bekommen soll. Die Frage dabei ist allerdings, ob die „SiegerInnen“ dann auch wirklich die „Besten“ sind oder nur die am besten Angepassten?
Der Verdacht drängt sich auf: Es geht um Effizienz in der Selektion, nicht um „Gerechtigkeit“ in der Bildung. Die Zentralmatura wäre derart ein wesentlicher Schritt zur Einschränkung des freien Hochschulzugangs. Und das, obwohl der Akademikeranteil in Österreich mit 18 % deutlich unter dem OECD-Schnitt liegt. Wir bräuchten mehr Studierende, nicht weniger. Und wir sollten Kritikfähigkeit, eigenständiges Denken und Freude am selbständigen Lernen fördern, nicht Anpassung und „teaching for the test“. Derart verstandene, auf die Person des Schülers, der Schülerin bezogene Förderung - Individualisierung also - steht im Gegensatz zur Zentralisierung durch die geplante Maturareform.
Und was das notwenige Geld - für die Verbesserung der Schulen wie der Universitäten - betrifft: Für die Rettung der Hypo Alpe Adria war binnen sehr kurzer Zeit sehr viel Geld da. Die Bank war ja bekanntlich „systemrelevant“.
Bildung ist auch systemrelevant.
Dienststellenausschuss und Gewerkschaftlicher Betriebsausschuss des BRG Bertha von Suttner, Donauinselplatz 1, 1210 Wien