aerzteEindrücke von der beeindruckenden Demonstration der Wiener ÄrztInnen am 12. September 2016 gegen das Kaputtsparen der Gemeindespitäler.



Nicht nur die Temperaturen kletterten am Vormittag des 12. Septembers in die Höhe, auch die Stimmung unter den demonstrierenden ÄrztInnen der Wiener Gemeindespitäler war heiß. 2.000 von rd. 3.000 ÄrztInnen kamen zur Demonstration – angesichts der massiven Einschüchterung seitens des Managements des Krankenanstaltenverbunds (KAV) der Stadt Wien ein großer Erfolg. Thomas Szekeres, Präsident der Wiener Ärztekammer, selbst Sozialdemokrat, der aber aus Protest gegenüber der Ratshauspolitik sein Parteibuch zurückgelegt hatte: „Streik ist ein fundamentales Recht der ArbeitnehmerInnen, für das die Sozialdemokratie lange gekämpft hat. Die sozialdemokratischen Gründungsväter würden im Grab rotieren, wenn sie wüssten, dass eine rote Stadträtin toleriert, dass ein Krankenanstaltenverbund facto einen Streik untersagt.“

Anlass für den Warnstreik und die Demonstration, die am Dr. Karl Lueger-Platz begann und mit einer Kundgebung vor dem Stephansdom endete: die immer härtere Spar- und Kürzungspolitik des KAV, aktuell die Streichung von 40 Nachtdiensträdern.

750 ÄrztInnen weniger

Man müsse eben die Nachtarbeit in den Tag verlegen, ließ die zuständige Stadträtin Wehsely den ÄrztInnen ausrichten lassen. Stefan Ubel, Vorsitzender der Sektion Turnusärzte in der Ärztekammer, antwortete unter dem Beifall der DemonstrantInnen: „Frau Stadträtin, unsere Patientinnen und Patienten sind auch in der Nacht krank.“

Doch auch am Tag fehlt es an allen Ecken und Ende. Basierenden auf einer EU-Arbeitszeitrichtlinie wird die wöchentliche Arbeitszeit der ÄrztInnen von 55 bis 60 auf 48 bzw. 40 Stunden pro Woche reduziert. Wolfgang Weismüller, Personalvertreter der KAV-Ärzte, rechnete vor: Die bisherige Reduktion der wöchentlichen Arbeitszeit entspricht umgerechnet auf Vollzeitäquivalente einem Abbau von 750 ÄrztInnen. Die geplante Reduktion auf 40 Wochenstunden dem Abbau von 1.000 ÄrztInnen. Ohne die dringend notwendige Aufstockung beim Personal muss das zu einer extremen Arbeitsverdichtung bzw. Reduktion der Leistungen für die PartientInnen führen.

„Wir wollen unsere PatientInnen nicht warten lassen!“

Hier hakt auch der Wiener Ärztekammer-Chef Szekeres in seiner Rede ein: „Wien wächst jedes Jahr um 40.000 Menschen, die Menschen werden immer älter. Gleichzeitig soll ein Drittel der Ärzte-Arbeitsstunden gekürzt werden. Das geht so nicht! Wir brauchen mehr Personal! Wir wollen unsere PatientInnen nicht warten lassen, Gangbetten müssen endlich der Vergangenheit angehören!“ Wenn momentan in der Nacht ein Arzt auf 100 PatientInnen kommt, dann sei das „eine Gefährdung unserer Patienten“, wurde bei der Abschlusskundgebung Harad Rosen zitiert, der nach 15 Monaten das Handtuch als Vorstand der Chirurgischen Abteilung im SMZ Floridsdorf warf - aus Frustration über die unverantwortliche Sparpolitik des KAV.

Immer wieder kritisierten RednerInnen die unverschämten Lügen, die der KAV in der Öffentlichkeit verbreitet, etwa dass die ÄrztInnen 30 bis 50% mehr Gehalt bekommen würden. Romana Ortner, Personalvertreterin am Otto-Wagner-Krankenhaus: „Das ist eine Lüge! Jeder, der auf seinen Gehaltszettel schaut, sieht das!“

„Produktions- und Technokratenlogik“

Karl Heinz Kornhäusl, Obmann der Turnusärzte in der Ärztekammer, rief dazu auf, endlich die Bedingungen für die Ausbildung von JungärztInnen zu verbessern: „Wer den Jungen die Ausbildung raubt, raubt den Patienten die gute Versorgung.“ Johannes Steinhart (Vizepräsident der Wiener Ärztekammer) übermittelte die „volle und kompomisslose Solidarität der niedergelassenen Ärzte.“ Er verurteilte, dass „die Politik, die Wertschätzung für die ärztlichen Leistungen verloren hat“, und den Gesundheitsbereich nur mehr aus einer „Produktions- und Technokratenlogik“ betrachtet. "Das gehört abgeschafft!", forderte Kornhäusl.

„Es wird bald eine Gewerkschaft geben, die uns vertritt“

Peter Polussny, Herz- und Gefäßchirurg am Herzzentrum Hietzing: „Wenn der KAV seine Pläne verwirklicht, dann bricht meine Abteilung zusammen. Das hat Auswirkungen weit über Wien hinaus.“ Abschließend stellte er zwei spannende Fragen: „Es geht heute um die PatientInnenversorgung. Wo ist die Wiener Patientenanwältin?**) Es geht heute um die Arbeitsbedingungen von ArbeitnehmerInnen. Wo ist die Gewerkschaft Younion?“ Nachsatz: „Es wird bald eine Gewerkschaft geben, die uns vertritt, die KV-fähig sein wird, wie auch immer sie heißen wird.“ Tobender Applaus.

Auch wenn sich die Gewerkschaftsführung, der offensichtlich wieder einmal das Parteihemd näher war als der Gewerkschaftsrock, nicht blicken ließ, so gab es doch viel gewerkschaftliche Solidarität für den Streik von der Basis, etwas von den Betriebsräten des Wissenschaftlichen Personals der Meduni Wien und der Wiener Vinzenz-Gruppe.

„Jeden Tag eine Messe im Stephansdom“

Bemerkenswert war auch die via Videowall zugespielte Grußbotschaft von Harald Mayer (Ärztekammer OÖ): „Diese Politik des Kaputtsparens treibt die PatientInnen in die Privatspitäler. Die Wiener Sozialisten unterstützen die Zweiklassenmedizin. Diese Politik ist der Totengräber des hervorragenden österreichischen Gesundheitssystems.“ Dazu passend erwähnte der Moderator der Schlusskundgebung ein Gespräch mit einem Manager eines privaten Versicherungskonzerns, der ihm gesagt habe, dass seine Branche „jeden Tag eine Messe im Stephansdom lesen lässt, damit die Wiener Stadtpolitik ihre derzeitige Gesundheitspolitik fortsetzt, weil ihnen das die Privatkunden zutreibt.“

Freilich müsste man ergänzen: Alle Parteien – egal ob rot-grün in Wien, schwarz-blau in Oberösterreich oder schwarz-rot in der Steiermark betreiben diese Kaputtsparpolitik. Auf die Ursachen dieser Gleichschaltung der Budgetpolitik – vor allem die Sparvorgaben des EU-Fiskalpakts und andere EU-Verordnungen – ging ein Flugblatt ein, das die Solidarwerkstatt an die demonstrierenden Ärztinnen und Ärzte verteilte.

„Tief beeindruckt“ von der Größe und der Solidarität der Kundgebung zeigte sich auch der Arzt Gernot Rainer, dessen Arbeitsvertrag vom KAV – trotz fachlicher Bestbeurteilung - nicht mehr verlängert wurde, weil er es wagte, im „roten Wien“ eine Ärztegewerkschaft zu gründen. Auch hier würden die sozialdemokratischen Gründerväter wohl wieder ein paar Umdrehungen machen.

Mit großem Beifall wurden abschließend zentrale Forderungen des Warnstreiks von den Streikenden angenommen: Keine Streichung von Nachtdiensten, keine flächendeckende Schichtdienste ohne Einwilligung, ein Ja zur Ausbildung in den Wiener Gemeindespitälern, kein Herunterfahren des öffentlichen sozialen Gesundheitssystems.

Resümee: Die Stimmung war bestens, der Kampf gegen das Kaputtsparen der Spitäler wird weitergehen. Weil es um eine gute Versorgung der PatientInnen geht, weil es um gute Arbeitsbedingungen für die in den Gesundheitseinrichtungen Arbeitenden geht - und weil es einfach gesünder ist, sich gemeinsam zu wehren statt vereinzelt depressiv zu werden. Romana Ortner ermutigte dazu sowohl in ihrer Funktion als Personalvertreterin und als auch als Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie: „Wut ist gesünder als Depression!“
(12.9.2016)

Fotos von der Demonstration am 12.9.2016 in Wien siehe hier: https://www.facebook.com/solidarwerkstatt/photos/?tab=album&album_id=1410427058972566


Anmerkungen:

*) Das KAV-Management drohte streikenden ÄrztInnen de facto mit dem Rauswurf und forderte sie auf, „außerhalb der Arbeitszeit zu streiken“.

**) Die von den Grünen gestellte Wiener Patientenanwältin Sigrid Pilz ist in der Vergangenheit immer wieder dadurch aufgefallen, dass sie die Sparpolitik der Bundesregierung und der Wiener Stadtregierung verteidigt. Statt sich mit sich mit ÄrztInnen zu solidarisieren, die sich für eine bessere Versorgung der PatientInnen einsetzen, lässt sie kaum eine Gelegenheit aus, diese offen zu attackieren. Offensichtlich ein kleines Dankeschön der Patientenanwältin, die nie von den PatientInnen gewählt, sondern von der rot-grünen Stadtregierung 2011 in diesen Job gehieft wurde, der ihr monatlich 12.753 Euro einbringt.