ImageDie Sparpolitik trifft auch immer stärker den Gesundheitsbereich. Der Druck auf die Beschäftigten in den Krankenhäusern wächst. Rudi Schober führte für das Werkstatt-Blatt dazu das folgende Gespräch mit Branko Novakovic, Betriebsratsvorsitzender AKH Linz GmbH.

Werkstatt-Blatt: Wie schaut die Personalsituation im Linzer AKH aus?

Branko Novakovic: Wir sind mit einer enormen Arbeitsverdichtung konfrontiert. Tatsache ist, dass das Personal im AKH Linz mit der Zeit gewachsen ist, aber in den letzten fünf bis sechs Jahren – mit der Spitalsreform 1 und 2 - hat man die Bremse beim Personal gezogen. Obwohl die Anzahl der Betten nicht erhöht worden ist, ist die Arbeit mehr geworden. Aus einem einfachen Grund: Die Bevölkerung wird älter und multimorbider. Das heißt, die Menschen kommen nicht mit einer Krankheit, sondern mit mehreren Krankheitsbildern in das Krankenhaus. Gleichzeitig wird die Liegedauer verkürzt. D.h. ein Patient, der vor fünf bis sechs Jahren zehn Tage im Spital war, ist jetzt nur mehr fünf Tage hier. Die Geschwindigkeit, mit der die Patienten durchgeschleust werden, hat sich verdoppelt. Die Personalentwicklung hat damit nicht annähernd Schritt gehalten.

Wie wirkt sich diese Personalknappheit auf die Beschäftigten aus?

Am Anfang ist natürlich eine Kompensation möglich. Wir wissen, dass wir alle 120% erbringen können. Die Frage ist aber wie lange? Eine junge Krankenschwester, die gerade von der Schule kommt, kann 120% erbringen. Ein Arbeitsplatz muss aber so gestaltet sein, dass auch jemand über 60 noch die Leistung erbringen kann. De facto gibt es kaum wen, der in der Lage ist, dieses Tempo und diesen Druck  bis zur Pension auszuhalten.

Wie gehen die Leute damit um?

Die Leute gehen dann auf 30, 25 Stunden runter. Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich sozusagen. Aber was heißt das finanziell, jetzt und für die Pensionen? Oder die Leute kündigen, bevor sie nicht mehr können. Wir bilden in Österreich alle sieben Jahre den gesamten Pflegeberufsstand neu aus. Da stimmt ja was nicht.

Wenn schon jetzt eine solche Überbelastung existiert, wie wird sich dann die weitere Sparparpolitik – Fiskalpakt, Deckelung der Gesundheitsausgaben, usw. – auswirken?

Ich befürchte, dass letztendlich die Patienten die Leidtragenden sein werden. Die Spitäler versuchen jetzt mit diesen nach Vorschrift verringerten Kapazitäten den gesamten Bedarf abzuwickeln. Das Personal versucht zu kompensieren, oft wird auf eigene Kosten eine Stunde anhängt, ohne dass das bezahlt oder aufgezeichnet wird, nur damit der Patient versorgt wird, weil die Leute dieses Leid nicht ertragen können. Denn wer ruft eine Leistung ab? Das ist nicht die Landesregierung, nicht die Gebietskrankenkasse, nicht die Geschäftsführung des Hauses, sondern der Patient, der jetzt, zu diesem Zeitpunkt Schmerzen hat oder in seinen Exkrementen liegt, der muss betreut und gewaschen werden. Und er sagt: Helft mir. Das muss mir wer zeigen: Welcher Mitarbeiter, der sich für einen Sozialberuf entschieden hat, sagt dann: Nein, meine Dienstzeit ist jetzt zu Ende, ich gehe heim. Aber die Grenzen des Machbaren sind erreicht. Ich bin überzeugt, dass sich die Wartezeiten erhöhen werden, in den Ambulanzen, bei Operationen. Deswegen glaube ich, dass sich auch die Patienten auf die Füße stellen müssen und sagen: wir wollen das nicht. Die Wartezeit auf einen Termin beim Augenarzt ist jetzt schon ein Jahr. Wir haben angeblich eines der besten Gesundheitssysteme der Welt, aber eine Wartezeit von einem Jahr!

In Oberösterreich hat es ja mit der Spitalsreform schon einen Abbau der Betten in den Krankenhäusern gegeben. Wie wirkt sich das aus?

Ich habe schon jetzt manchmal die Situation, dass am Gang fünf bis sechs Patienten darauf warten, dass jemand entlassen wird, damit sie sich ins Bett legen können. Mit der Spitalsreform 2 ist zum Beispiel die Dermatologieabteilung im AKH um 50% reduziert worden, d.h. die Hälfte der Betten ist weggekommen. Wo soll das alles gemacht werden, was bisher gemacht wurde? In der Theorie ist das alles schön: Wir bauen Betten in den Krankenhäusern ab und bauen als Begleitmaßnahme den extramuralen Bereich aus, Ärztepraxen usw. Im AKH haben wir fast alle Maßnahmen der Spitalsreform umgesetzt, die als Vorgabe waren. Ich habe nicht viel mitgekriegt, dass sich in Oberösterreich bei diesen Begleitmaßnahmen etwas getan hat.

Was heißt das für deine Arbeit als Betriebsrat?


ImageWir kämpfen gegen diese Überbelastung, wo es geht, jetzt zum Beispiel beim Nachtdienst. Wir sind der Meinung, dass eine Abteilung mit 30 schwer kranken Patienten von zwei Krankenschwestern in der Nacht betreut werden soll. Das sollte Mindeststandard sein. Das durchzusetzen ist ein Riesenproblem, wegen der Personalressourcen, die dafür erforderlich wären. Man stellt Gott sei Dank nicht in Frage, dass die Feuerwehr im Dienst sein soll, auch wenn es nirgendwo brennt. Bei uns aber gilt: Jetzt ist nichts los, jetzt kannst du nach Hause gehen; was passiert aber, wenn in 20 Minuten ein Patient kommt? Das kann man ja gar nicht verantworten. Da ist der Druck so groß, dass manche nachgeben und dann freiwillig nach Hause gehen. Egal was wir tun, wir werden auf Dauer nicht in der Lage sein, diese mangelnden Kapazitäten zu kompensieren, da rede ich sicher nicht nur vom AKH, sondern vom gesamten Gesundheitsbereich. Die Leute brennen aus. Es gibt Studien dazu, z.B. in NÖ, dass zwei Drittel in der Pflege schon massive Probleme mit der Wirbelsäule haben. Das ist ganz klar eine Folge der Überlastung. 12 bis 12 ½-Stunden Dienste sind ja üblich in der Pflege.

Ein anderes Beispiel: Die Pflege hat jetzt zusätzliche Aufgaben von den Ärzten übernommen: z.B. das Infusionsmanagement. Die Pflege hat kein Problem mit dem Infusionsmanagement, die PflegerInnen machen das gern, die können das sehr gut. Das Problem ist: Das ist eine zusätzliche Aufgabe und die Frage ist: Was können wir abgeben oder bekommen wir mehr Personal? Sonst geht sich das nie und nimmer aus.


Wo müsste da deiner Meinung angesetzt werden, damit wir aus diesem Teufelskreis herauskommen?

Wir haben derzeit das sog. LKF-Punktesystem. Grundsätzlich heißt das: Wer mehr macht, kriegt mehr. Aber das Ganze ist gedeckelt. Es gibt einen gewissen Finanzierungstopf. Die Anzahl der Punkte wird durch die Anzahl der Euros geteilt, da haben wir dann einen Punktewert, d.h. insgesamt wird es nicht mehr, sondern jeder kämpft um den Anteil gegen den anderen. Eine solche Konkurrenz ist verrückt. Wichtig wären stattdessen Qualitätskriterien. Ich bin schon zweimal daran gescheitert, diese Qualitätskriterien in Bezug auf die Personalerfordernisse in das Krankenanstaltengesetz hineinzubekommen. Im Krankenanstaltengesetz steht ja nirgends, wie viel Personal ein Träger zur Verfügung stellen muss, um eine Leistung zu erbringen. Das ließe sich machen, Methoden existieren bereits. Durch lange Studien ist das bereits ausgearbeitet; z.B. für die Betreuung von 30 Patienten braucht man mindestens 16 Pflegepersonaleinheiten. Der Arbeitgeber aber sagt, 14 reichen. Wo ist da die Qualität? Wir unterschreiten den untersten Level. Das ist die Situation, mit welcher wir jahrelang kämpfen.

Ein Arzt verbringt durchschnittlich 220, 240 Stunden monatlich im Krankenhaus, das ist normal. Nein das Wort „normal“ muss ich zurückziehen, das ist die Tatsache. Die Fehlerhäufigkeit steigt bei diesen langen Dienstzeiten unweigerlich. Ärzte haben eine maximale Arbeitszeit von 32 Stunden am Stück. Mann muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Wer will von einem Arzt operiert werden, der bereits 31 Stunden im Dienst ist? Und es gibt keine Garantie, dass er da während dieser Zeit auch nur eine Stunde geschlafen hat.

Damit betreibt man Raubbau an den Menschen, das geht auf Dauer nicht. Ist dieses Sparen nicht extrem kurzsichtig?

Ja, ich glaube, dass sich das Sparen im Gesundheits- und Sozialbereich volkswirtschaftlich rächt. Mittel- und langfristig ist das für ein Land eine Katastrophe. Unter Margaret Thatcher wurde der britische Gesundheitsbereich massiv abgebaut. Was war die Folge: Die Briten haben die europäischen Krankenhäuser angeschrieben, ob sie gegen Kostenersatz britische Patienten behandeln können, weil sie die Kapazitäten nicht mehr haben. Kapazitäten, die einmal zerstört sind, sind schwer wieder aufzubauen. Das ist eine Frage der gesellschaftlichen Prioritäten. Kaum wer stellt in Frage, dass die Automechanikerstunde 110/120 Euro kostet. Und in der mobilen Hilfe diskutieren wir derzeit über einen Stundensatzwert, in dem alle Kosten abgedeckt sind, von 50 Euro. Für hoch qualifiziertes Personal, das direkt am Menschen arbeitet, wo ein Fehler fürs Leben bleiben kann. Das geht, das ist eine Frage der Verteilung. Dazu gehört auch, dass die Reichen entsprechende Steuern zahlen. Österreich ist ja eines der reichsten Länder der Welt, aber im Gesundheitsbereich merken wir von diesem Reichtum nicht sehr viel. Bei der Anzahl der Ärzte pro tausend Einwohner liegt Österreich derzeit nicht so schlecht, wir sind auf Platz 4 in Europa. Was natürlich nicht heißt, dass wir nicht in den nächsten zehn bis 15 Jahren ein Problem bekommen, weil viele Ärzte in Pension gehen. Was aber ist in der Pflege der Fall? Wir sind auf Platz 16! Um den europäischen Durchschnitt in der Pflegeversorgung zu erreichen, müssten wir morgen 11.000 zusätzliche Pflegestellen schaffen.

Ist es in dieser Situation nicht besonders absurd, von Seiten der Politik ständig „Kostendämpfungen“ im Gesundheitsbereich zu fordern? Gibt es Überlegungen, sich dagegen krankenhausübergreifend zu wehren?

Befragungen im AKH haben ergeben, dass die Mitarbeiter extrem unter Druck sind. Auf Antrag des Betriebsrates hat der AKH-Aufsichtsrat – einstimmig den Beschluss gefasst: Wir stimmen der Spitalsreform nur dann zu, wenn es eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für alle AKH-Mitarbeiter gibt. Aber die Geschäftsführung ist in der Zwickmühle. Einerseits müssen sie die Spitalsreformvorgaben erfüllen, andererseits hat sie offiziell den Auftrag, dass es eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen geben muss. Im Bereich der Organisation bzw. Dokumentation hat man schon etwas getan. Aber ich befürchte, dass am Ende des Tages trotzdem die Personalfrage übrig bleiben wird. Es wird nicht anders gehen. 60% der Kosten in den Krankenhäusern sind Personalkosten. Das betrifft ja nicht nur das AKH. Wir werden uns daher mit den anderen Spitälern zusammenschließen und gemeinsam auftreten, damit wir uns Gehör verschaffen. Die Arbeitsgruppe ist schon konstituiert, wir arbeiten fest daran.

Unser Gesundheitssystem ist in der Grundüberlegung gut. Wir wollen eine gesunde Bevölkerung, wo jeder eine Magnetresonanz(MR)-Untersuchung bekommt, wenn er sie braucht. Wo ich nicht überlegen muss, über 70 kein MR mehr, zahlt sich nicht aus, über 75 kein Stent (Gefäßstütze) mehr, zahlt sich nicht aus. Ich werde mich mit aller Kraft dafür einsetzen, dass das System, das vor 10, 15 Jahren gut funktioniert hat, bevor sich die Spirale nach unten zu drehen begonnen hat, erhalten bleibt. Man soll den österreichischen Weg von damals fortsetzen. Es ist nicht zu spät.

Wir danken für das Gespräch.


Interview mit Branko Novakovic und anderen in Gesundheitsbereich Arbeitenden im Werkstatt-Radio (Radio FRO) hier zum Nachhören
Informationen zur "Gesundheitsreform" hier