ArbeitsproduktivittNoch liegt die Kollektivvertrag-Dichte in Österreich bei 95 Prozent. Doch diese Errungenschaft der ArbeitnehmerInnenbewegung ist durch Angriffe der EU und der Unternehmerverbände auf die Gewerkschaften in Österreich auf allen Ebenen gefährdet.

„Im Jahr 2010 kam es EU-weit zu einer Stagnation der Reallöhne. Verantwortlich hierfür ist nicht zuletzt die in der Europäischen Union vorherrschende Politik“, so das WSI  2011. Die Krise wird genutzt, um erkämpfte Errungenschaften der Arbeiterbewegung zu schleifen „und Lohnkürzungen als vermeintliche Krisenlösungsstrategie zu propagieren“, so Thorsten Schulten vom WSI1.

ArbeitsproduktivittNoch ist die Mehrheit der Beschäftigten in Europa durch kollektivvertragliche (KV) Regelungen geschützt. Die KV-Dichte in Österreich liegt bei 95 Prozent - ein weltweiter Spitzenwert. Die Grundlage ist der Flächenkollektivvertrag. Der soll EU-weit geschleift werden. Der Abbau, das Unterlaufen und die radikale Dezentralisierung der KV-Systeme in den europäischen Krisenstaaten ist das Rezept, das die Unternehmer bereits in Deutschland nach 1990 erfolgreich erprobt haben. Verbunden mit der Einführung von Hartz IV führte es zur enormen Schwächung der deutschen Gewerkschaften. 

Auf diesen „Erfolg“ aufbauend, forderte 2012 die Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen der Europäischen Kommission die Senkung gesetzlicher Mindestlöhne und der KV-Dichte, die Aufhebung der KV-Verträge, die Kürzung von Arbeitslosenunterstützung, und “weniger zentralisierte Lohnverhandlungssysteme", mit dem Ziel der „Verringerung der gewerkschaftlichen Verhandlungsmacht“. Dieser Angriff auf die Gewerkschaften läuft in Österreich auf allen Ebenen: gegen die KV-Verträge, die gesetzlichen Arbeitnehmerrechte und durch die Kürzungspolitik, schönfärberisch Austeritätspolitk genannt. Ergebnis ist Massenarbeitslosigkeit, die die Kampfkraft der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften enorm schwächt. 

Angriffe auf Kollektivverträge 3

Herzstück der gewerkschaftlichen Verhandlungsmacht2 sind die KV-Verträge, mit denen Lohn- und Gehalt, Urlaubs- und Weihnachtsgeld, Lehrlingsentschädigungen, Zulagen und Zuschläge, Arbeitszeit, Gleichstellung von Arbeiter_innen und Angestellten, Geltungsbereich und Laufzeit vereinbart werden. Beispiele sollen die Mechanismen der Angriffe auf die KV-Vertäge illustrieren.

Atypisch Beschäftigte, EPUs ...

2015 gab es 1,21 Mio atypische Arbeitsverhältnisse - das sind 33,5 Prozent der unselbständig Beschäftigten - darunter 1.02 Mio Teilzeit- und nahezu 78.000 Leiharbeitsverhältnisse sowie 34.000 freie Dienstverträge. 300.000 Menschen, acht Prozent aller Erwerbstätigen, arbeiten als EPUs4, die Zahl der Crowdworker ist unbekannt. Sie alle verdienen weniger wegen verkürzter Arbeitszeit oder weil für sie keiner oder ein ungünstigerer KV als für Stammbeschäftigte gilt.

Splitting KV Metall 2011Aufspaltung von Branchen und Betrieben, Kündigung von KVs

Branchen, wie jüngst die Metallbranche, werden aufgespalten (sh. Grafik Splitting Metall-KV). Nun müssen die Beschäftigten der sechs Fachverbände Metall getrennt gegen die Unternehmerphalanx ihre Forderungen durchsetzen. Statt einer Verhandlung müssen sie sechsmal verhandeln. Bei drei Runden sind das bereits 18 Termine. Die Koordinierung wird schwierig. Die Wirkung ist enorm, kampfstarke Branchen werden von kampfunerfahreneren getrennt. Mit letzteren beginnen dann die Unternehmer die Verhandlungen. Seit der Branchenaufteilung ist die Lohnerhöhung kontinuierlich gesun-ken (sh. Grafik Metallerabschlüsse). 

Weitere Mechanismen sind Betriebsaufspaltungen wie z.B. bei Magna. Dadurch erreichte der Konzern, dass ein Teil der Angestellten nach den schlechteren Handels- bzw. Gewerbe-KVs bezahlt wird. Den gleichen Effekt hat die Kündigung von KVs, wie z.B. bei der AUA. Auch vom KV abweichende Vereinbarungen werden auf Betriebsebene erzwungen oder der KV für alle wird unterlaufen, wie in der Elektroindustrie, wo ein Teil der Lohnsumme zur individuellen Verteilung vorgesehen wurde. 

Metallerabschluss seit 2010

Benya-Formel

Eine Form die Reallohnsenkung durchzusetzen ist die Absenkung der ökonomischen Indices bei den Lohnverhandlungen. Auf der Grundlage der Benya-Formel wurden den Beschäftigten in der Vergangenheit bei Lohnerhöhungen die offizielle (zurückliegende) Inflationsrate und die Hälfte des Produktivitätszuwachses abgegolten. Still und leise wird über die Abgeltung des Produktivitätszuwachses nicht mehr gesprochen. Der Verlust ist enorm. In 14 Jahren ist die Arbeitsproduktivität um 18 Prozent gestiegen, der reale Bruttolohn aber nur um neun Prozent (sh. Grafik Arbeitsproduktivität). Der von den Beschäftigten erarbeitete Wert fließt in die Taschen der Eigner der Betriebe für den persönlichen Reichtum, neue Ausbeutungsinvestitionen oder Finanzspekulationen.

Nulllohnrunde oegb6.745 Euro Verlust bei einer Nulllohnrunde

Zunehmend setzen Dienstgeber Nulllohnrunden oder Einmalzahlungen durch. Der ÖGB rechnete den Einkommensverlust einer einzigen Nulllohnrunde innerhalb von 10 Jahren bei einem Einkommen von 2 200 Euro vor. Er beträgt in 10 Jahren 6.745 Euro (sh. Grafik Nulllohnrunde). Auch eine Einmalzahlung ist auf Zukunft ein Verlustgeschäft. Für die aktuell Beschäftigen fällt sie bei der nächsten und allen folgenden Lohnerhöhung raus – entsprechend der negativen Zinseszinsrechnung. Alle zukünftig Beschäftigten haben gar nichts davon, die Lohnsumme sinkt also auf Dauer. Auch die früher übliche Überzahlung über den KV-Lohn hat abgenommen und die Kalte Progression kappt die Brutto-Löhne zugunsten des Staates.

Laufzeit

Die normale Laufzeit eines KV beträgt ein Jahr. Nun wird die Laufzeit verlängert und ein „Doppel“abschluss durchgesetzt. Dadurch können die ökonomischen Daten nur grob geschätzt werden. Verändern sie sich zu ungunsten der Beschäftigten ist eine Verbesserung durch einen Streik bei einem geschlossenen KV rechtlich nicht möglich.

Entsenderichtlinie

Eine tatsächliche Gleichstellung von Beschäftigten aus anderen EU-Ländern mit niedrigeren Einkommen und Arbeitsstandards sollen mit der Entsende- und Durchsetzungsrichtlinie erreicht werden. Da es aber keine grenzüberschreitende Rechtsdurchsetzung gibt, wie etwa bei Strafmandaten für Verkehrsübertretungen, hat sich hier ein erheblicher Hebel zum Unterlaufen von KV-Verträgen entwickelt.

CETA

Die Freihandelsabkommen TTIP, CETA und TISA wären absolute KV Killer. Ein Konzern könnte einen Staat verklagen, weil ein neu abgeschlossener KV zwischen einer Gewerkschaft und einem Unternehmerverband die geplanten Gewinne in bestehenden oder geplanten Niederlassungen verringert oder einschränkt.

Lohnquote seit 1976Kollektivvertrag – Festschreibung von Machtverhältnissen auf Zeit

Im Ergebnis wird deutlich, dass zwar die Anzahl der Beschäftigten zugenommen hat (die der Erwerbslosen auch), die Lohnquote aber, also der Anteil der Löhne und Gehälter der unselbständig Beschäftigten am gesamten Volkseinkommen, in der gleichen Zeit zurückgegangen ist (sh. Grafik Lohnquote). EU-Vertretern und Unternehmern ist klar, dass KVe eine Festschreibung von Machtverhältnissen auf Zeit ist. Je mehr es gelingt, KVs auszuhebeln, Atypisch Beschäftigte statt Normalbeschäftigte mit kurzer Arbeitszeit und vollen Lohnausgleich zu beschäftigen, Reallohnerhöhungen zu verhindern, um so schwächer werden die Gewerkschaften. 

Streikrecht

Und obwohl es in Österreich kaum Streiks gibt, wird das Streikrecht verbal angegriffen. Wirtschaftsminister Mitterlehner trommelte  2011 vor und während des  Metallerstreiks öffentlich, dass "das Mittel Streik zu früh ergriffen worden“ sei. 

Anne Rieger

Vorstandsmitglied GLB Steiermark

(Dezember 2016)

 


1 Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut der deutschen Hans-Böckler-Stiftung

 2 Labour Market Developments in „Europe 2012“

 3 Teil 1, Teil 2 folgt in der nächsten Ausgabe

 4 Ein-Personen-Unternehmen