In der Steiermark wehren sich betroffene BürgerInnen und TierschützerInnen gegen industrielle Massentierhaltung. Ein Beitrag von Franz Sölkner (IST) und David Richter (VGT).
Vor der Volksabstimmung zum EU-Beitritt am 12. Juni 1994 wurde der Bevölkerung Österreichs von den maßgeblichen politischen Kräften (Regierung und Sozialpartner) eine bäuerlich strukturierte, naturnahe Landwirtschaft versprochen. Sie sollte Produkte für “Österreich als Delikatessladen Europas” bereitstellen. Tatsächlich entwickelt sich unsere Landwirtschaft aber in die Richtung einer großstrukturierten, tierquälerischen, umweltbelastenden und arbeitsplatzarmen Agroindustrie. Auch in der Steiermark bestehen bereits zahlreiche Anlagen mit tausenden Schweinen oder zigtausend Hühnern. Weitere werden laufend geplant.
Dagegen entwickelt sich ein zunehmend hartnäckiger Widerstand in wachsenden Kreisen der Bevölkerung. Die Motive dafür liegen im Bedürfnis des Schutzes vor Gestank und Lärm, des Schutzes unserer Nutztiere, des vorbeugenden Gesundheitsschutzes durch Ernährung mit gesunden Lebensmitteln, der Sorge um die Gefahr der dauerhaften Schädigung von Boden, Biodiversität und Grundwasser.
Anfänge des lokalen und kleinregionalen Widerstandes
Örtlich und kleinregional vernetzte Widerstände mit Einzelerfolgen und Bestrebungen zur Verbesserung vor allem bei den Geruchsimmissionen gibt es seit 12 Jahren (etwa rund um Karl Wieser und Elisabeth Zöhrer im Raum Deutschlandsberg/Leibnitz). Versucht wurde bei einzelnen bestehenden Großställen eine Geruchsminderung herbeizuführen, Bestandserweiterungen zu verhindern oder mit Geruchsfiltern auszustatten und in direkten Gesprächen mit LandespolitikerInnen, gesetzliche Verbesserungen zu erreichen. Ein wichtiger Erfolg dabei war die Novellierung des Stmk. Raumordnungsgesetzes (Fläwi-Ausweisung ab Geruchszahl G = 20 und Gemeinderatsbeschluss ab den UVP-Schwellenwerten).
Der VGT als wichtiger Transmissionsriemen eines breit vernetzten Widerstandes
Seit 2006 entfaltet der VGT in der Steiermark eine rege Tätigkeit gegen die industrielle Nutztierhaltung, u.a. durch regelmäßige Medienarbeit und wöchentlich ganztägige Infostände in Graz. Ersuchen um Unterstützung bei lokalen Problemen wurden immer öfter an ihn herangetragen. Beispielsweise war er mit folgenden Einzelprojekten und Ereignissen konfrontiert:
Schwarzbau-Schweinemastbetrieb Zirngast in Lichendorf (seit 2006)
Großstall-Bauvorhaben Grabin für 1400 Zuchtsauen in Labuttenbdorf (2009 – 2011)
„Versehentliche“ Einleitung von ca. 700 m3 Gülle aus der “Ferkelproduktion Hainsdorf GmbH & Co KG” in den Schwarzaubach (2010).
Geplante Tierfabrik der „PIG Ferkel GmbH“ für 2.100 Zuchtsauen und 50.000 Ferkel pro Jahr in der Murau bei Gralla (2010/11) führte kurzfristig zu einer breiteren Vernetzung des Widerstandes auf Schloß Laubegg.
Die Initiative SteirerInnen gegen Tierfabriken / IST
Auch bei der Gründung der IST war der VGT maßgeblich als Geburtshelfer aktiv. Ihre Besonderheit liegt in der engen systematischen Zusammenarbeit von TierschützerInnen mit gestanksgeplagten UmwohnerInnen von Intensivtierhaltungsanlagen. Das Zentrum der vielfältigen Aktivitäten bildet ein jeweils von mindestens 20 Personen besuchtes, monatliches Vernetzungstreffen in Leibnitz. Arbeitsgruppen bestehen zu den Themen Recht, Öffentlichkeitsarbeit, Aktionen und Zukunft der Landwirtschaft. Das IST-Netz erstreckt sich derzeit über 30 Gemeinden. Es gibt kaum mehr ein größeres Bauvorhaben, das nicht öffentlich thematisiert (Kundgebungen, Presseartikeln) und im Bewilligungsverfahren über Einsprüche der Nachbarn bekämpft wird. Bei Projekten in einer Größe jenseits der UVP-Schwellenwerte (700 Muttersauen, 2.500 Mastschweine, 65.000 Legehühner) bringt sich meist der Naturschutzbund Steiermark mit seinen Parteistellungsrechten ein. Bei etwa zehn Projekten konnte damit vorläufig eine Baubewilligung verhindert oder hinausgezögert werden.
Der ökologisch-volksbildnerische Ansatz der IST
Die IST thematisiert die Problematik in ihrer ökologisch-thematischen Vernetzung: Im Zentrum steht das Bewusstsein über das strukturelle Grundproblem, der Entkoppelung der Tierbestände von den zur Verfügung stehenden Eigenflächen und die Existenzvernichtung der letzten Kleinbauern durch eine neoliberal-kapitalistischen Konkurrenzwirtschaft. Um diesen strukturellen Kern des Problems herum geht es um Tierleid (laut Gesetz sind in Österreich erlaubt: 0,7 m2 Fläche für ein 110 kg schweres, auf einem einstreulosen Vollspaltenboden lebendes Schwein, 20 Masthühner auf 1 m2!), Gestank- und Gesundheitsbelastung der UmwohnerInnen, Gefahr der Ausbreitung der Antibiotika-Resistenzen/MRSA über Gülleausbringung und Fleischkonsum, mangelnde Qualität der Fleischprodukte aus Intensivtierhaltungen und statistisch häufige Krankheitsbilder durch Überkonsum von tierischem Eiweiß, KonsumentInnentäuschung durch die geschönt-verschleiernde Darstellung der Lebensbedingungen der Tiere in der Werbung, Unfriedenszustände in den dörflichen Gemeinschaften, Schädigung des Bodens und der Biodiversität durch Maismonokulturen und den Einsatz von Fungiziden, Herbiziden und Pestiziden. Gefährdung der trinkbaren Grundwasserbestände durch Überdüngung der Felder, Import von Gen-Soja aus Übersee, Vertreibung von Kleinbauern in Argentinien und Brasilien zugunsten wachsender Soja-Großbetriebe, Scheitern der globalen Ernährungsgerechtigkeit durch Verfüttern von Ackerprodukten an Tiere.
Konkrete Aktivitäten der IST
Die IST zieht an allen Strängen, die tauglich erscheinen ein Weiterwuchern der industriellen Tierhaltung zu verhindern und bis 2030 eine Agrarkonversion hin zur Erfüllung der Versprechungen von 1994 herbeizuführen: Erstellung von Info-Materialien, lokale Info-Veranstaltungen zu geplanten Bauprojekten, unentgeltliche Beratungen von betroffenen Menschen in den Verwaltungsverfahren, Abhaltung von Kundgebungen und Info-Ständen (Graz und Leibnitz), Lancierung von Presseberichterstattungen, Presseaktionen (z.B. “Zimmer mit Gestank und Frühstück”), Ermutigung zum Schreiben von LeserInnenbriefen, Erstellung einer Petition an den Landtag Steiermark mit 16 Detailforderungen und Unterschriftensammlung, Briefe an verantwortliche RegierungspolitikerInnen (z.B.. mit Gesundheitslandesrat Drexler) oder einflussreiche Sozialpartner-RepräsentantInnen (z.B. AK-Präsident Pesserl), Informationsweitergabe an unterstützende Politikerinnen, Vorbereitung von Anfragen im Landtag und Nationalrat, Werbungskritik und KonsumentInneninformation, usw.
Wenn Bewusstsein wächst …
Das absolut Positive an dieser Vernetzungsarbeit liegt im Wachsen eines gemeinsamen umfassenden Problembewusstseins der bodenständigen Bevölkerung und dem im VGT organisierten TierschützerInnen. Sorgen sich die einen vordergründig um ihre Wohnumfeldqualität, so gilt die Sorge der anderen besonders dem Leid jener Tiere, die in den Tierfabriken ein artfremdes Leben und einen sehr frühen Tod zu erleiden haben. Zunehmend klar steht allen vor Augen, dass die große Mehrheit der Menschen und natürlich die Tiere mehrfach davon profitieren, wenn wir aus der Agroindustrie aussteigen und wir im privaten Konsum auf Produkte aus Tierfabriken zunehmend verzichten.
Das Menetekel im Sommer 2014
Der qualvolle Erstickungstod von 1770 Schweinen in einem von Tierarzt Dr. Höcher betriebenen Großstall in Hof bei Straden, hat in der Steiermark dazu geführt, dass auch die steirische ÖVP erstmals eine Bereitschaft zum Umdenken hat erkennen lassen.
Der in der IST organisierte breite “Widerstand von unten” will sicherstellen, dass es nicht bei bloßen Versprechungen und parteipolitischen Nebelwerfereien bleibt. Im Bereich der Lebensmittelproduktion muss eine neue nutztier- und menschenfreundliche sowie nachhaltig naturverträgliche Politik auch tatsächlich Platz greifen!
Was der Bevölkerung 1994 versprochen wurde, gilt es ab sofort konsequent umzusetzen!
David Richter (VGT)
Franz Sölkner (IST)
Veranstaltungshinweis>>
Themenabend der Solidarwerkstatt "Agrarkapitalismus frisst die Bauern und zerstört unsere Lebensgrundlagen"
Vortrag und Diskussion mit
Franz Sölkner, Initiative SteirerInnen gegen Tierfabriken (IST)
Do, 2. April 2015, 19 Uhr, Solidarwerkstatt (Waltherstraße 15, 4020 Linz)
Bei der Volksabstimmung zum EU-Beitritt wurde uns von unseren politischen Eliten ein “Österreich als Delikatessladen Europas” versprochen. Die Lebensmittel sollten durch eine kleinstrukturierte naturnahe Landwirtschaft bereit gestellt werden. Am konkreten Beispiel der südlichen Steiermark stellt der Vortrag die genau gegenteilige jüngere Entwicklung und den immer breiter werdende Widerstand dagegen vor.