ImageAm 19. Oktober finden in allen österreichischen Uni-Standorten Warnstreiks und Vollversammlungen der Lehrenden und Studierenden statt, um gegen den Kahlschlag an den Universitäten zu protestieren. Die Regierung will ab 2012 die Uni-Budgets einfrieren, real bedeutet das 10 Prozent minus jährlich. Trotz der niedrigen Akademikerquote in Österreich soll die Zahl der Studierenden gedrosselt werden - durch flächendeckende Zugangsbeschränkungen in Form einer „Studierendenrausprüfphase“ im ersten Semester. Eine neue Studie aus dem Wissenschaftsministerium zeigt: Der Anteil von Kindern aus unteren sozialen Schichten hat an den Hochschulen deutlich abgenommen.

 

Der Aufstand der Studierenden im vergangenen Herbst gegen die katastrophalen Studienbedingungen hat den materiellen Notstand im Bildungsbereich endlich zu einem Thema gemacht. Selbst die Regierung versprach, in den Ausbau der Bildung zu investieren. Doch seit EU-Kommission und EU-Rat den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein eisernes Sparkorsett verordnet haben, ist wieder alles anders. Ab 2012 sollen die Uni-Budgets bis 2014 eingefroren werden. Der Rektor der Linzer Universität Richard Hagelauer warnt, dass ein Einfrieren der Gelder für die Unis angesichts wachsender Personal- und Materialkosten eine reale Budgetkürzung von jährlich 10% bedeuten würde (OÖN, 12.10.2010). D.h. trotz steigender Studierendenzahlen müsste Hochschulpersonal abgebaut und Investitionen zurückgestellt werden; ganze Institute sind von Schließungen bedroht.

Schon seit vielen Jahren verschlechtert sich das Betreuungsverhältnis an den Hochschulen stetig. Kamen in den 80er Jahren noch 66 Studierenden auf eine/n Professor/in, so sind es jetzt bereits 127 (1). An manchen Universitätsstandorten kommen bis zu 300 Studierende auf eine/n Professor/in. Seit Mitte der 90er Jahre ist der Anteil der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) kontinuierlich zurückgegangen. Wäre der Anteil der Bildungsausgaben am BIP aus dem Jahr 1995 konstant geblieben (und nicht gesunken), wären seither 13 Milliarden Euro mehr für die Bildung in diesem Land ausgegeben worden.
 

„Studieneingangsphase als Studierendenrausprüfphase“. Auch die Antwort der Regierung auf diesen Notstand zeichnet sich ab: Noch mehr Zugangsbeschränkungen, noch mehr soziale Selektion. So haben sich SPÖ und ÖVP mittlerweile geeinigt, dass die sog. „Studieneingangsphase“ eine „Studierendenrausprüfphase“ werden soll, um die Studierendenzahlen den universitären Sparkurs anzupassen. Was das heißt, zeigt sich am Beispiel der Wirtschaftsuni in Wien, wo von 7.000 NeuinskribentInnen 1.300 nach diversen „Knock-out“-Prüfungen zu Studienbeginn übrig bleiben sollen. Auch die Ausweitung der Studiengebühren rückt wieder auf die politische Tagesordnung. Äußerungen der Salzburger LH Gabi Burgstaller deuten darauf hin, dass die SPÖ auch hier zum Salto-rückwärts ansetzt. TU-Rektor Skalitzky forderte im Frühjahr bereits Studiengebühren in der Höhe von EUR 10.000,- jährlich. Eine Vorstellung, die den Plänen der EU-Kommission entspricht, die sich bereits 2006 für hohe Studiengebühren nach dem Vorbild US-amerikanischer Eliteuniversitäten ausgesprochen hat.(2)

Verschärfte soziale Selektion. Dabei zeigt die jüngst erschienene Sozialerhebung des Wissenschaftsministerium (3) schon jetzt, dass sich die soziale Selektion an den österreichischen Hochschulen im letzten Jahrzehnt verschärft hat. Der Anteil von Kinder aus unteren sozialen Schichten an den Studierenden hat deutlich abgenommen; ihr Anteil ist von 26% (1999) auf 19% (2008) abgesunken. 61% der Studierenden müssen auch während des Semesters jobben gehen. Sie arbeiten im Durchschnitt knapp 20 Stunden pro Woche. Die Unvereinbarkeit von Studium und Berufstätigkeit zählt zu den wichtigsten Gründen für die hohe Studienabbrecherquote an den österreichischen Hochschulen.

 

Immer klarer zeichnen sich auch Tendenzen der Selektion innerhalb des Studiums ab. Bei etlichen Studienrichtungen ist es bereits üblich, dass die erfolgreiche Absolvierung eines Bachelor-Studiums nicht mehr ausreicht, um ein weiterführendes Master-Studium beginnen zu können. Immer öfter werden hier zusätzliche Ausleseverfahren eingezogen, um die Zahl jener zu begrenzen, die sich universitär weiterbilden dürfen. Es ist allerdings den Kämpfen der „uni-brennt“-Bewegung seit Herbst 2009 zu verdanken, dass an vielen Studienrichtungen solche Selektionshürden beim Übertritt vom Bachelor zum Master bislang verhindert werden konnten. 

„Stiller Putsch“. Mit dem Bologna-Prozess und dem sog. „Lissabon-Prozess“ der EU soll die europäische Hochschullandschaft neoliberal umgestaltet werden. Zentrales Ziel dieser Prozesse ist es, die Errungenschaften der 70er Jahre – mehr Chancengleichheit, offener Hochschulzugang, Demokratisierung der Unis – zurückzurollen und ein Zwei-Klassen-Studium zu implementieren: Schmalspurausbildung für die Masse, höchste Qualifikation nur mehr für eine kleine Eliten, die sich wieder vorwiegend aus den oberen Schichten der Bevölkerung rekrutieren. Dazu gehört auch der immer direktere Zugriff der „Wirtschaft“ auf die Entwicklung von Lehre und Forschung. So hat mit dem Universitätsgesetz (2002, novelliert 2009) an den österreichischen Hochschulen ein stiller Putsch stattgefunden, der die studentische Mitbestimmung massiv zurückgedrängt und die Vertreter von Konzernen und Banken an die Schalthebel der Universitäten gehievt hat. Ermöglicht wurde das durch die Einrichtung der machtvollen Universitätsräte, die seither die Entwicklung der Universitäten steuern. Von den 79 Uni-Rats-Mitgliedern kommen 33, also fast 42% direkt aus den Führungsetagen von Großunternehmen wie Raiffeisen, Siemens, Bank Austria, Sony, IBM, Generali, Voestalpine, Hoffman-La Roche. Den 33 KapitalvertreterInnen steht eine (!) Vertreterin einer Gewerkschaft gegenüber. 8 von 11 Vorsitzende der Uni-Räte kommen aus Konzernetagen.(4)  

„Gemeinsam dem Bildungsabbau entgegentreten!“

Als Zeichen des Protests gegen die materielle Aushungerung der Hochschulbildung werden am 19. Oktober an allen österreichischen Unis Universitätsvollversammlungen stattfinden, zu denen alle Studierenden und Lehrenden eingeladen sind. Gleichzeitig findet ein Warnstreik statt, der Lehrveranstaltungsbetrieb wird eingestellt. Die "Uni-brennt-Bewegung" nimmt wieder Fahrt auf. Stefan Daxner, Aktivist der Werkstatt Frieden & Solidarität: „Sparen bei Bildung ist schlichtweg dumm. Wir müssen diese Vollversammlungen nutzen, um gemeinsam dem Bildungsabbau der Regierung entgegenzutreten. Die Kämpfe der 'Uni-brennt-Bewegung' haben gezeigt: Nur durch Druck von unten, durch das Engagement und Solidarität der Betroffenen kann diese zukunftsfeindliche Rotstiftpolitik durchkreuzt werden.“ Für die Werkstatt sind Investitionen in Bildung, freier Hochschulzugang und die Demokratisierung der Unis wichtige Bestandteile einer solidarischen, ökologischen und demokratischen Wende, um aus der neoliberalen Sackgasse rauszukommen und in Richtung eines Solidarstaat Österreich umzusteuern. 

Die Werkstatt Frieden & Solidarität fordert für die Hochschulen: 

  • Eine Hochschulmilliarde sofort – Anhebung des öffentlichen Hochschulbudgets auf 2% des BIP!
  • Freier Hochschulzugang – keine Zugangsbeschränkungen zu den Universitäten bzw. während des Studiums.
  • Demokratisierung der Unis – gleichberechtigte studentische Mitbestimmung auf allen Ebenen – Abschaffung der undemokratischen Uni-Räte!
  • Keine prekären Arbeitsverhältnisse - Überwindung von Diskriminierungen auf allen Ebenen!
  • Ausstieg aus dem Bologna-Prozess!
  • Nein zum sozialen Numerus Clausus – Abschaffung aller Studiengebühren – Wirtschaftliche Absicherung für Studierende unabhängig vom Elterneinkommen! (Siehe dazu Reiche Eltern für alle!)

Alle Vollversammlungstermine für den 19. Oktober 2010 an den verschiedenen Uni-Standorten auf http://www.vollversammlung.at/

Anmerkungen:
(1) Zahlen siehe Statistik Austria auf www.statistik.at
(2) EU-Kommission; Effizienz und Gerechtigkeit in den Europäischen Systemen der allgemeinen und beruflichen Bildung, 8.9.2006, Brüssel
(3) Studierenden-Sozialerhebung 2009; Bericht zur sozialen Lage der Studierenden, IHS, im Auftrag des BMWF.
(4) siehe auch guernica 4/2010