ImageAm 2. Februar 2016 veranstaltete die Bildungsinitiative OÖ eine Demonstration unter dem Motto "Gemeinsame Schule! Demokratische Schule! Mehr Geld für Bildung!" Einer der RednerInnen war Renate Brunnbauer (Personalvertreterin der Kritischen unabhängigen LehrerInneninitiative kuli-UG). Wir bringen hier ihre Rede.

 

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Renate Brunnbauer

Aus der Perspektive der PflichtschullehrerInnen ist zu diesem Zeitpunkt im Schuljahr der Stress der Volksschulkinder besonders im Vordergrund. Für die Kinder in der 4. Klasse Volksschule, für ihre Eltern, aber auch ihre LehrerInnen ist der Druck enorm. Die SchülerInnen bekommen im Februar ein Blatt Papier, das unter Umständen enorme Auswirkungen auf ihre weitere Bildungskarriere haben wird. Es ist richtig, dass an vielen NMS außerordentlich viel geleistet wird. Dennoch sind die Neuen Mittelschulen gegenüber der AHS im Nachteil. Sie sind im Nachteil wenn sie leistungsstarke Kinder aus bildungsnahen Familien gewinnen wollen. Sie haben gegen die AHS-Unterstufe keine Chance und werden – besonders in Städten - schnell zu Schulen zweiter Wahl. Bisweilen hat man auch von außerhalb der gymnasialen Unterstufe noch Chancen in weiterführende Schulen einzusteigen. Im städtischen Gebiet ist das aber ohne Gymnasialreife meist nicht sehr aussichtsreich.

Es ist das sogenannte Semesterzeugnis, die Schulnachricht, die bestimmt, ob man berechtigt ist in ein Gymnasium zu gehen oder nicht. Und alle Jahre wieder wird über diesen Sortiermodus gejammert. Es wird gejammert und zwar auch und besonders von denen, die dieses Auslesesystem aufrecht  erhalten wollen. Die Vorschläge, die von konservativen Gesamtschulgegnern kommen, sind geradezu unerträglich. Der Präsident des Bundesverbands der Elternvereine an mittleren und höheren Schulen (BEV), Gernot Schreyer hatte überhaupt eine sensationelle Idee: Er empfahl den LehrerInnen der Volksschulen, in den 4. Klassen "gerechtere Noten" zu geben. Der Vorsitzende der Pflichtschullehrergewerkschaft,  Paul Kimberger hat empfohlen, die AHS-Berechtigungen mit einer Potentialanalyse zu ermitteln. Aber das wird auch nicht funktionieren!

Weil das Auswählen von 9 ½-jährigen Kindern für gymnasiale Schulkarrieren ein völlig überholtes Relikt aus dem ständischen 19. Jahrhundert darstellt. Eine solche Selektion beruht ja nicht auf verlässlichen Prognosen über die zukünftige Leistungsfähigkeit der Kinder, das ist ja gar nicht möglich. Die moderne Entwicklungs- und Schulpsychologie geht davon aus, dass sich für die meisten Kinder im Alter von 9 ½ Jahren überhaupt keine verlässlichen Schulerfolgsprognosen treffen lassen. Begabungen und Neigungen konsolidieren sich weitestgehend nach (den Turbulenzen) der Pubertät. Kinder vorher schon auszuschließen ist eine Verschwendung von Talenten. Und das sollten wir uns nicht leisten.

Wir kennen das Argument, es sei kein Geld für Bildung da. Leere Kassen, nicht leistbar – das lassen wir uns nicht einreden. Denn eines ist sicher:

Was wir uns definitiv nicht leisten können ist ein Bildungssystem, das Talente verschwendet. Wir brauchen eine echte gemeinsame Schule. Die NMS wird die ungerechte frühe Selektion nicht verhindern können. Denn: auch wenn sie häufig so bezeichnet wird – die NMS ist keine gemeinsame Schule.

Und es genügt nicht, wenn Herr Mitterlehner erklärt, dass er intellektuell verstanden hat, dass Bildung wichtig ist. Wir brauchen eine reale Finanzierung, wir brauchen echtes Geld keine leeren Worte.

Wir können es uns nicht leisten die Chancen, die eine Gemeinsame Schule bietet nicht zu ergreifen.

Wir können es uns nicht leisten, die Förderung und Integration von Schwächeren in den Schulen zu vernachlässigen. Wir dürfen ihnen keine Unterstützung vorenthalten, ungeachtet dessen aus welchen Gründen sie Unterstützung brauchen. Egal ob irgendwelche Beeinträchtigungen oder Migrationshintergrund die Ursache sind. Jede Art von Entfremdungserfahrung unserer Gesellschaft gegenüber ist zu vermeiden. Es kann sich fatal auswirken, wenn wir fortfahren, einigen jungen Menschen wesentliche Perspektiven wegzunehmen. Jugendliche, die sich keine Chancen sehen, bringen uns in der Zukunft nicht weiter.

Wir können es uns nicht leisten, unseren Heranwachsenden eine demokratisch, hochqualitative schulische Erfahrung vorzuenthalten. Die Schüler und Schülerinnen von heute sind die Entscheidungsträger von morgen. Gerade in schwierigen Zeiten setzen wir unsere Hoffnung auf  Menschen, die eine hochwertige, nicht ausgrenzende demokratische Schule erlebt haben. Wir brauchen Erwachsene, die als Kinder an die Möglichkeiten der Partizipation herangeführt worden sind. Wir werden Menschen brauchen, die imstande und willens sind, sich an einer Gesellschaft der Zukunft zu beteiligen.

Und genau aus diesen Gründen können wir uns die derzeit geplante Bildungsreform nicht leisten.

Das sogenannte Reformpapier ist geprägt von Minimalkonsens, Rückschritten und Verhinderungsklauseln.

Die Chancen, die mit diesem Papier verschenkt werden, lassen sich hier gar nicht aufzählen. Zumindest dann nicht, wenn wir noch vor Mitternacht zu Hause  sein wollen ... Diese Problemlagen sind im Laufe der Veranstaltung angesprochen worden. Ich danke fürs Zuhören und Danke fürs Mitmachen!


Aufruf der Demonstration "Gemeinsame Schule! Demokratische Schule! Mehr Geld für Bildung!" siehe http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&view=article&id=1410&Itemid=80

Fotos von der Demo siehe https://www.facebook.com/media/set/?set=a.1012725942144474.1073741826.171412246275852&type=3