„Der Geist des Kleinhaltens, Kontrollierens und Beschränkens durchweht das neue Sozialhilfegesetz.“ stellt Josef Pürmayr von der Sozialplattform OÖ, im Interview mit dem neuen Online-Medium der Kommunalgruppe der Solidarwerkstatt, SOLiNZ-Solidarisches Linz, fest. Hier das gesamte Interview.

SOLiNZ: Immer, aber speziell in schwierigen Zeiten, wie uns aktuell die Corna-Krise zeigt, ist ein gut funktionierendes leistungsstarkes soziales Netz wichtig. Mit Anfang 2020 hat die viel kritisierte „Sozialhilfe Neu“ die Bedarfsorientierte Mindestsicherung (BMS) abgelöst. Was sind die wesentlichen Unterschiede im Vergleich zur BMS?

Josef Pürmayr: „Aufgabe ist die Ermöglichung und Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens sowie die damit verbundene dauerhafte Einbeziehung in die Gesellschaft für jene, die dazu der Hilfe der Gemeinschaft bedürfen.“ So lautete der erste Satz im OÖ Mindestsicherungsgesetz. Dieser Satz wurde auch ins neue Sozialhilfegesetz übernommen, den dort enthaltenen Anspruch kann die Sozialhilfe allerdings nicht erfüllen – und sie will ihn auch nicht erfüllen. Das neue Sozialhilfegesetz relativiert das auch gleich im nächstfolgenden Absatz und formuliert nur mehr einen Beitrag zur Abdeckung des Wohnbedarfes und zur Unterstützung des Lebensunterhalts. Das ist eine klare Abkehr von der sozialen Sicherungsprämisse. Dieser Beitrag der neuen Sozialhilfe ist überwiegend auch geringer als es die Leistungen der Mindestsicherung waren. Während die Mindestsicherung den Anspruch hatte, das Mindeste für ein menschenwürdiges Leben und für gesellschaftliche Teilhabe für jene zu sichern, die sich in sozialen Notlagen befinden, durchweht der Geist des Kleinhaltens, Kontrollierens und Beschränkens das neue Sozialhilfegesetz.

Das Gesetz ist seit Jänner in Kraft. Gibt es bereits Erfahrungen, wie sich die Gesetzesänderung auf die betroffenen Menschen in der Praxis auswirkt?

Bestehende Bescheide der Mindestsicherung laufen schrittweise aus, längstens Mitte 2021 muss alles auf Sozialhilfe umgestellt sein. Für neue Anträge seit Jänner 2020 kommt das Sozialhilfegesetz zum Tragen. Die meisten Richtsätze für die Geldleistungen wurden im Vergleich zur Mindestsicherung reduziert. Für Alleinstehende und die zweite erwachsene Person im Haushalt, die Sozialhilfe bezieht, ist die Reduzierung noch relativ gering. Für drei erwachsene Personen gibt es in Summe schon ca. 100 Euro monatlich weniger. Auch die Staffelung der Kinder-Sätze wurde verändert. Ein Haushalt mit nur einem Kind erhält zwar um ca. 13 Euro mehr, bei zwei oder mehr Kindern kippt das allerdings deutlich ins Negative: Haushalte mit zwei Kindern minus 65 Euro, mit drei Kindern minus 236, mit 4 Kindern minus 374 usw. Angesichts der Tatsache, dass kinderreiche Familien schon bisher überdurchschnittlich von Armut betroffen waren, bedeutet das in Zukunft eine weitere Verschärfung und Verfestigung existenzieller Notlagen. Eine Verbesserung gibt es für Alleinerziehende. Sie erhalten einen Zuschlag, der mit der Anzahl der Kinder gestaffelt ist. Mit dem dritten Kind ist dieser Vorteil aber wegen der deutlich geringeren Kindersätze wieder ausgeglichen, ab dem 4. Kind geht‘s wieder ins Minus. Der Anteil des Wohnaufwands wurde im neuen Sozialhilfegesetz auf 25 % der Sozialhilfeleistung erhöht. Wer keinen Wohnaufwand hat bzw. nachweisen kann, erhält demnach weniger Sozialhilfe. Bei obdachlosen Personen beispielsweise verringert sich die Sozialhilfe im Vergleich zur Mindestsicherung dadurch um ungefähr 80 Euro monatlich. Die Wohnbeihilfe muss beantragt werden, wird von der Sozialhilfe aber wieder abgezogen. Der Zuverdienst aus Fähigkeitsorientierter Aktivität (beispielsweise für Menschen mit Beeinträchtigung) oder tagesstrukturierender Beschäftigung wird in deutlich größerem Ausmaß auf die Sozialhilfe angerechnet und damit abgezogen. Es gibt noch weitere Nachteile, die ich aus Platzgründen hier nicht mehr anführe.

Wie treffsicher ist das neue Gesetz?
Unzufriedenstellend, hier gibt es Verbesserungsbedarf. Beispielsweise ist die Gruppe der subsidiär schutzberechtigten Personen völlig aus der neuen Sozialhilfe ausgesteuert, während der Geltung des Mindestsicherungsgesetzes erhielten sie Mindestsicherung.

Wo siehst du/Ihr Schwachstellen/Kritikpunkte?
Im Einzelnen verweise ich auf meine Antwort auf die Frage nach den Auswirkungen in der Praxis. Und generell: Die neue Sozialhilfe ist zu gering, um Armut zu verhindern. Die Armutsgefährdungsschwelle nach EU-SILC lag 2019 für Österreich bei einem Betrag von 1.286 Euro monatlich für einen Ein-Personenhaushalt. Der Sozialhilfe-Richtsatz für eine alleinstehende Person beträgt monatlich 917 Euro. Je mehr Personen in Sozialhilfehaushalten leben, umso weiter geht die Schere auf. Das Nachweis-, Kontroll- und Sanktionierungsregime ist schärfer als bei der Mindestsicherung. Für mich hat es den Anschein, als gäbe es einen ins Gesetz gegossenen Generalverdacht des Sozialbetruges bei Sozialhilfebeziehenden. Hier ist anzumerken, dass es einen Rechtsanspruch auf Sozialhilfe gibt. Staatliche Organe sollten eigentlich tunlichst unterstützen, dass Anspruchsberechtigte zu ihrem Recht kommen.

Als Sozialplattform bekommt ihr bestimmt viele Rückmeldungen aus den Sozialvereinen. Was müsste aus eurer Erfahrung an diesem Gesetz geändert werden?
Dem OÖ Sozialhilfegesetz liegt das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz zu Grunde. Dieses Bundesgesetz gibt im Wesentlichen den Rahmen für die Sozialhilfe-Ausführungsgesetze der Länder vor und ist weitgehend verantwortlich für die oben angeführten Verschlechterungen. Dieses Grundsatzgesetz sollte in Richtung des abgeschafften Mindestsicherungsgesetzes mit besseren Sozialhilfestandards novelliert werden. Die Bundesländer müssten ihre Gesetze dann entsprechend anpassen. Der Sozial- und Gesundheitsminister ist während COVID-19 leider fast ausschließlich Gesundheitsminister, hinsichtlich einer neuen Sozialhilfegesetzgebung ist auf Bundesebene in absehbarer Zeit nichts zu erwarten. Daher wäre es umso wichtiger, dass auf Ebene des oberösterreichischen Sozialhilfegesetzes rasch Verbesserungen erfolgen.
Das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz enthält neben den Muss-Bestimmungen auch Ermessensspielräume und Kann-Bestimmungen, die in oberösterreichischen Gesetz aber nur zum Teil genutzt wurden. Hier sollte durch Gesetzesänderungen nachgebessert werden. Viele Rückmeldungen aus den Sozialvereinen betreffen die Sozialhilfe-Vollzugspraxis der Bezirksverwaltungsbehörden und Magistrate. Demnach gibt es in mehreren Bezirken und Städten überbordende Nachweispflichten bei der Antragstellung und damit lange Wartezeiten auf die Bescheide und die Sozialhilfe-Auszahlung. Von der Möglichkeit der Soforthilfe wird zu wenig Gebrauch gemacht, obwohl es auf Soforthilfe bei Vorliegen einer Notlage einen Rechtsanspruch gibt.

Tipps zum Lesen und hören:
https://sozialplattform.at/aktuelles-ganzer-beitrag/sozialkrise-corona.html
www.armutskonferenz.at/

Werkstatt-Radiosendung:  „Sozialhilfe neu in der Praxis“

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