ImageDie Werkstatt Frieden & Solidarität lehnt die sog. Gesundheits“reform“ von Sozialpartnern und Regierung entschieden ab. Unter dem Vorwand der „Sanierung“ soll die solidarische Selbstverwaltung des österreichischen Gesundheitswesens demontiert werden. Unter aktiver Mithilfe der ÖGB-Führung wollen Regierung und Konzernverbände das Gesundheitswesen privatisieren und kapitalisieren. Resultat ist der Weg in die Zwei-Klassen-Medizin. Die Werkstatt ruft zu Solidarität und Widerstand auf.

Werkstatt-Video von der Protestdemo gegen die Gesundheitsreform am 3. Juni 2008 in Wien auf http://de.youtube.com/user/werkstattfrisol

1. Zentralisierung bringt Leistungsreduktion:
Durch die geplante Zentralisierung will sich die Regierung einen direkten Zugriff auf die Krankenkassen sichern, um eine Nivellierung der Leistungen nach unten durchzusetzen. Gerade in Bundesländern wie Oberösterreich, wo etliche Verbesserungen gegen den Widerstand des Hauptverbandes durchgesetzt werden konnten (z.B. Zahnmedizin, Psychotherapie) droht eine Verschlechterung der Leistungen für die PatientInnen. Durch die Möglichkeit von Einzelverträgen zwischen Kassen und Vertragsarzt wird die flächendeckende Versorgung auf qualitativ hohem Niveau gefährdet. Vertragsverlängerungen sollen vom „ökonomischen Vorgehen des Arztes“ abhängig gemacht werden, sodass Druck ausgeübt wird, anstelle der optimalen die billigste Therapie zu verordnen. Das geplante Einfrieren der Kassen-Leistungen an die Spitäler wird zur Schließung von Spitälern führen.

2. Zerstörung der Selbstverwaltung:
Während bislang die Arbeitnehmer-VertreterInnen in den Gebietskrankenkassen die Entscheidungen trafen – bei einem Mitspracherecht der Arbeitgeber in wichtigen Fragen – so soll nun die Kapitalseite in allen Fragen ein Vetorecht und einen zusätzlichen geschäftsführenden Direktor erhalten. D.h. einige zehntausend UnternehmerInnen sollen in Zukunft voll darüber mitentscheiden, welche Gesundheitsversorgung Millionen von ArbeitnehmerInnen brauchen – oder eben nicht mehr erhalten sollen.

3. Liberalisierung, Privatisierung, Kapitalisierung des Gesundheitsbereichs:
Rund 10% des österreichischen BIP fließen in den Gesundheitsbereich. Dieser gewaltige wirtschaftliche Sektor wird zu einem guten Teil solidarisch verwaltet und verweigert sich bislang der Kapitalisierung. Das soll sich durch die Gesundheits“reform“ ändern. Durch die Möglichkeit von Einzelverträgen wird die kollektive Vertretung der Ärzteschaft ausgehebelt, um den Eintritt von privatem Kapital und gewinnorientierten Unternehmen vorzubereiten. Auch die von der Gesundheits“reform“ geforderte „saubere organisatorische Trennung von Leistungserbringung und Finanzierung“ ebnet Liberalisierung und Privatisierung den Weg. Für die OÖ GKK hieße das, dass sie ihre eigene Leistungserbringung einstellen müsste. 15 Zahnambulatorien mit ihren 80 Zahnstühlen, die vier Fachambulatorien und drei Kurheime müssten privatisiert werden. Die Trennung von Leistungserbringung und Finanzierung war bisher zumeist der erste Schritt, mit dem die EU Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge auf Liberalisierungs- und Privatisierungskurs getrimmt hat. Eine EU-Liberalisierungsrichtlinie für den Gesundheitsbereich ist in Vorbereitung, um einen EU-weiten Binnenmarkt für Gesundheitsdienstleistungen zu schaffen. Schon zur Jahreswende drängte die EU-Kommission Österreich zur “Intensivierung des Wettbewerbs bei den Dienstleistungen und insbesondere bei den freien Berufen” (KOM 2007 XXX-Teil IV).

Resultat: Zwei-Klassen-Medizin
Leistungsreduktion, Zerstörung der Selbstverwaltung, Liberalisierung und Privatisierung sind der direkte Weg in die Zwei-Klassen-Medizin. Das heißt gute Leistungen nur mehr für die, die es sich finanziell leisten können, Schmalspurmedizin dagegen für die ärmeren Schichten der Bevölkerung. Es ist ein Skandal, dass sich die ÖGB-Spitze zum Wegbereiter von Zwei-Klassen-Medizin und Entmachtung der Versicherten im Gesundheitsbereich macht.

Im Reißwolf entsorgen!
Die Werkstatt Frieden & Solidarität lehnt diese Gesundheits”reform” entschieden ab. Die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung gehört nicht abgebaut sondern ausgebaut – durch die direkte Wahl der Versicherten-VertreterInnen. Wir brauchen keine Kürzungen sondern die Weiterentwicklung des Sozialversicherungssystems hin zu neuen Aufgaben wie der Organisation und Finanzierung der Pflegedienstleistungen. Dafür muss die Finanzierung der Sozialversicherung  auf eine nachhaltige und sozialverträgliche Grundlage gestellt werden – durch Anhebung der Höchstbemessungsgrundlage und die Ausdehnung der Bemessungsgrundlage des Arbeitgeberanteils auf die gesamte Wertschöpfung. Und nicht  zuletzt brauchen wir eine Wirtschaftspolitik, deren Ziel nicht die „freie Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ (EU-Reformvertrag), sondern Vollbeschäftigung und höhere Löhne und Gehälter sind, denn auch dadurch verbreitert sich die Beitragsgrundlage für die Sozialversicherung. 

Wir rufen alle auf, gegen den Regierungsangriff auf das Gesundheitssystem aktiv zu werden. Nützen wir die Möglichkeiten zur Bildung von Initiativen und Plattformen. Diese Gesundheits-”reform” muss im Reißwolf entsorgt werden. Ein derart tiefgreifender Einschnitt in das Sozialssystem darf nicht ohne Urabstimmung der Versicherten erfolgen. Verteidigen wir unser solidarisches Gesundheitssystem, kämpfen wir für dessen gerechte Weiterentwicklung! 

Termine:
Mittwoch, 28. Juni 2008, 17.00, Hauptplatz - Linz: Solidaritätskundgebung der Ärztekammer OÖ und der AK OÖ
Dienstag, 3. Juni 2008 um 10:00 Uhr am Stock-im-Eisen-Platz, 1010 Wien,
Demo der Ärztekammer
Donnerstag, 5. Juni 2008, 17.30, Volkshaus Ferd. Marklstr. 4, 4040 Linz,
Haltestelle Gründberg, Plattformgründung: Nein zu dieser Gesundheitsreform!

Kranke Kassen? Nicht Kostenexplosion sondern Einnahmenerosion!

Grund für diese Misere der sozialen Kassen ist nicht die oft beschworene „Kostenexplosion“ im Gesundheitswesen. Der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist weitgehend stabil geblieben: 1995: 9,7%, 2000: 9,9%, 2006: 10,1%. Die finanzielle Misere wurde vielmehr gezielt durch die Bundespolitik der letzten Jahre herbeigeführt: Senkung des Hebesatzes für die PensionistInnen, fehlender Ausgleich des Verlusts der Vorsteuerabzugsfähigkeit bei der Mehrwertsteuer, Deckelung der KV-Beiträge für Arbeitlose weit unter den tatsächlichen Kosten, Unterdeckelung beim Wochengeld, usw.  Darüber hinaus ist es vor allem die wachsende Ungleichverteilung zwischen stagnierenden Löhnen und explodierenden Gewinnen, die die Beiträge für die Krankenkassen austrocknen lässt, da sich die KV-Beiträge nach den Löhnen und Gehältern bemessen. Mit der Umverteilung zu Lasten der Unselbständigen fallen daher die KV-Beiträge deutlich hinter das Wachstum des BIP zurück. Seit dem EU-Beitritt ist in Österreich der Anteil der ArbeitnehmerInen am Volkseinkommen um über 6% gesunken. Zwischen 1993 und 2003 stieg das BIP nominell um 41%, die Beitragseinnahmen der Gebietskrankenkassen jedoch nur um 32,8%. Wären die Einnahmen nur im selben Maß wie die Wirtschaftsleistung gestiegen, gäbe es keine Defizite mehr.

Flugblatt zur Gesundheits"reform" zum Download:
http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_docman&task=doc_download&gid=45&Itemid=49