ImageDas Werkstatt-Blatt sprach mit dem Linzer Gymnasiallehrer Michael Maurer über Fehlentwicklungen in unserem Bildungssystem und die Herausforderungen für eine Bildungsbewegung.

 

Werkstatt-Blatt: Wie wirkt sich die Sparpolitik im öffentlichen Dienst für dich als Lehrer aus?

Michael: Ich könnte jetzt viele Einzelheiten aufzählen:

  • immer noch viel zu große Lerngruppen (gemessen an den mittlerweile ganz anderen Anforderungen)
  • immer noch viel zu wenig Arbeitsplatz für SchülerInnen und LehrerInnen
  • zu wenig Personal im Bereich der sozialen und psychischen Betreuung von SchülerInnen.
  • zu wenig technisches Personal (sodass viel Zeit aufgeht, sich mit schlecht funktionierender EDV herumzuschlagen)
  • unbezahlte Supplierungen und schlechterbezahlte Mehrdienstleistungen
  • unzureichende Bezahlung von Nachmittagsbetreuung (weshalb sie oft nur in minimalen Varianten angeboten wird)

ImageNoch schlimmer ist: Diese Sparpolitik gibt es ja schon seit Jahren - sie ist zu einer Konstante der österreichischen Bildungspolitik geworden, wenn nicht zu der Konstante schlechthin. Alle größeren Projekte der letzten Zeit tragen diesen Stempel. Um die Jugendlichen geht es  - allen öffentlichen Beteuerungen zum Trotz - erst in letzter Linie. Entscheidend ist die ökonomische Effizienz des Systems. Beim Lehrerdienstrecht liegt das auf der Hand, bei der Bildungszentralisierung und -standardisierung ist es nicht schwer zu erkennen. Es gilt sogar für noch gar nicht durchgesetzte Reformen wie die „Gesamtschule“. Auch hier überwiegen bei vielen Befürwortern letztlich keine humanistischen Motive. Und es bestehen auch keine fortschrittlichen Konzepte. Warum ist wohl auch die Industriellenvereinigung dafür?

Die Konsequenz einer so rigorosen Sparpolitik wäre es ja eigentlich, die Bildungsaufgabe überhaupt abzugeben. Und diese Tendenzen bestehen ja ohnehin. Privates  Edu-Business schielt kräftig nach möglichen profitablen Bereichen, die derzeit noch öffentliche Sache sind.

Werkstatt-Blatt: Was hältst du von der soeben beschlossenen Schulreform?

Michael: Das am 17. November 2015 veröffentlichte Papier der Bildungsreformkommision enthält ja noch wenig Konkretes. Die entsprechenden Gesetze und Regelungen sollen erst im Lauf des Jahres 2016 geschaffen werden. Entscheidend ist aber der „Spirit“ dieses Papiers. Noch entschiedener als bisher soll der Bildungsbereich verwertungsökonomischen Interessen untergeordnet werden. Unter dem Stichwort „Bildungskompass“ beispielsweise sollen die Kompetenzen der Kinder und Jugendlichen fortlaufender Überprüfung und Dokumentation unterworfen werden - „vom Kindergarten bis zurm Ende der Schullaufbahn“, wie es wörtlich heißt. Es geht also um die Heranzüchtung von Humanressourcen und nicht um Bildung, wie ich und viele andere sie verstehen:  eine möglichst freie Entwicklung und möglichst selbstbestimmte, umfassende, fröhliche Orientierung der jungen Menschen in dieser (oft gar nicht fröhlichen) Welt.

Und wieder soll alles noch effizienter werden. Die Botschaft lautet: die Schule braucht mehr Controlling und Leadership. Unter dem Stichwort „Stärkung der Autonomie“ wird uns eigentlich eine neue„Autokratie“ verkauft: Gestärkt werden sollen nämlich nicht die Lernenden und Lehrenden, sondern das Schulmanagement, bei seiner Aufgabe, die „zentralen Vorgaben der Bildungsziele“ lokal durchzuziehen, was es wiederum in einem „jährlichen standortbezogenen Qualitätsbericht“ nachzuweisen hat. Unappetitliche Begriffe wie „strategische Planung“ und „operative Umsetzung“ geistern durch das Papier. Gegen wen wird da eigentlich gekämpft?

Werkstatt-Blatt: Ist aber das Schulreformpapier nicht ein möglicher Weg in Richtung einer echten gemeinsamen Schule?

Michael: Nein, keiner echten. Die „Schule- der 6- bis 14-Jährigen“, vulgo „Gesamtschule“, taucht in dem Papier zwar auf , wird also immerhin zum Thema. Aber zugleich soll sie nur in „Modellregionen“, die höchstens 15% des Schulwesens eines Bundeslandes ausmachen, möglich sein. Und ob die Einrichtung einer Modellregion überhaupt verpflichtend ist, bleibt offen. Überhaupt sind alle organisatorischen und Finanzierungsfragen einer solchen gemeinsamen Schule ungeklärt.

Aber genau darauf kommt es natürlich an. Eine Gesamtschule ist  potentiell ein erstrebenswerter Demokratisierungsschritt (im Sinn von erhöhter Chancengleichheit), wird aber ohne ausreichende finanzielle Dotierung nicht funktionieren. Und ohne Ausbau der inneren Demokratie - z.B. mehr Freiheiten für SchülerInnen, Fächer zu wählen und abzuwählen, z.B. Schüler/Lehrerversammlungen, die inhaltliche und organisatorische Details eines Schuljahres vereinbaren, z.B. auf Zeit gewählte Schulleitungsteams, in die auch SchülerInnen und Eltern einbezogen sind) wird sie letzlich so unbefriedigend bleiben, wie das derzeitige differenzierte Schulwesen auch. Diese Demokratie kostet übrigens auch was.

Werkstatt-Blatt:  Was sind deiner Meinung nach die wichtigsten Forderungen im Schulbereich?

Für wen ist Bildung da? Na für die Schülerinnen und Schüler, oder?  Also nicht für die LehrerInnen, nicht für die Eltern, nicht für den Direktor und nicht für die Schulbürokratie und für die Bildungsministerin. Und auch nicht für die Universitäten und Fachhochschulen und nicht für die OECD und nicht für Industriellenvereinigung und nicht für den Arbeitsmarkt und nicht für den Wirtschaftsstandort. Einfach für die Lernenden selbst.
Damit ist eigentlich alles Wesentliche gesagt, dem muss Schule gerecht werden:

- Ausbau der Lern- und Betreuungs- und Förderangebote der öffentlichen Schulen und der entsprechenden zeitlichen und räumlichen Ressourcen.
- Zugleich zeitliche Entlastung der Lehrenden, um mehr Zeit pro SchülerIn zu haben. In dieser Hinsicht wäre das neue LehrerInnen-Dienstrecht zu revidieren, das genau das Gegenteil vorsieht.
- Mehr Entscheidungsmöglichkeiten der Lernenden, ihr Lernen selbst zu gestalten.
Schule als Ort der Entwicklung und nicht als Ort sozialer Selektion. Was die Forderung nach einer gemeinsamen Schule ebenso beinhaltet, wie ein Zurückfahren der derzeit überbordenden Test- und Prüfungskomponenten und aller damit verbundenen Maßnahmen der Zentralisierung und Normierung.

Kurz gesagt: Mehr Geld und mehr wirkliche Selbstbestimmung in die Schulen.

Werkstatt-Blatt: Du arbeitest auch bei der kürzlich gegründeten Bildungsinitiative OÖ mit. Was sind die nächsten Aktivitäten?

ImageMichael: Wir haben vor, am 2. Februar eine Demonstration in Linz zu veranstalten, bei der alle Betroffenen unter dem Motto „Öffentliche Bildung ist ein Menschenrecht“ ihre Stimme für eine ordentliche Finanzierung und deutliche Demokratisierung des öffentlichen Schulwesens erheben sollen.

Demos allein sind aber natürlich zuwenig. Die Interessensvertretungen der Betroffenen müssen diese Ideen aufgreifen und mit allen ihren Mitteln für ihre Umsetzung eintreten. Dazu wird es aber nötig sein, dass sich die betroffene Basis vernetzt, dass z.B. schulübergreifende LehrerInnenkomitees entstehen, die gemeinsam mit Schüler- und Elterninitiativen Druck auf die Gewerkschaftsspitzen ausüben. Daher sollten wir meiner Meinung nach den Schwerpunkt auf Aktivitäten und Mobilisierungen legen, die diese Basisvernetzung fördern.

16.12.2015