ImageEine Studie der Arbeiterkammern Wien und NÖ gemeinsam mit der Ärztekammer NÖ kam zum Ergebnis, dass ein Drittel der im Gesundheitsbereich Beschäftigten burn-out gefährdet sind. Trotz dieses alarmierenden Befundes will der Wiener Krankenanstalten Verbund (KAV) weiter beim Personal kürzen. Im September kam es Wien bereits zu ersten Protestaktionen gegen diese Sparpolitik auf dem Rücken von Beschäftigten und PatientInnen. Das WERKSTATT-Blatt hat sich mit Christine Rudolf*) über die Situation im Gesundheits- und Pflegebereich unterhalten. Christine Rudolf ist politische Sekretärin bei der KIV/UG (Konsequente Interessenvertretung/Unabhängige GewerkschafterInnen) in der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten (GdG-KMSfB) und Arbeiterkammer-Rätin bei den Alternativen, Grünen und Unabhängigen GewerkschafterInnen (AUGE/UG) in Wien.


WERKSTATT-Blatt: Eine AK-Studie kommt zum Ergebnis, dass viele im Gesundheitsbereich Arbeitenden überlastet und von burn-out bedroht sind. Was sind Deine Erfahrungen als Gewerkschaftssekretärin? 

Christine Rudolf: Das größte Problem sind die fortschreitenden Einsparungsmaßnahmen im Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV). Hier wird Personal eingespart auf dem Rücken der verbleibenden KollegInnen. Einige Beispiele gefällig?

Allgemein: http://www.kiv.at/servlet/ContentServer?pagename=KIV/Page/KIV_Index&n=KIV_1.5.a&cid=1299063955291
Geplante Einsparungen im KAV in den Häusern wo wir vertreten sind nach unserem Wissensstand März 2011: http://www.kiv.at/servlet/ContentServer?pagename=KIV/Page/KIV_Index&n=KIV_1.5.a&cid=1300100733021 

Zugunsten der im KAV sogenannten „patientennahen“ Versorgung, werden zunehmend „patientenferne“ Berufsgruppen dezimiert- beispielsweise die handwerkliche Verwendung, also jene KollegInnen, die zur Aufrechterhaltung des reibungslosen Dienstbetriebes in den Krankenhäusern zuständig sind – wie HausarbeiterInnen, aber auch AbteilungshelferInnen auf den Stationen. Zudem gibt es die Strategie, dass ein Teil des diplomierten Personals in den Krankenhäusern durch PflegehelferInnen ersetzt wird. Obwohl es eigentlich mehr Personal in diesem Bereich bräuchte!Hinzu kommt, dass einige Bereiche von Ausgliederung, Privatisierung bzw. Fremdvergaben – da wo nicht sowieso schon durch Leiharbeit ersetzt, wie in einigen Häusern in der Reinigung – bedroht sind. Aktuell soll beispielsweise die Zentralsterilisation des KAV privatisiert werden. Die Erfahrung lehrt uns, dass bei solcherlei Privatisierungen, die „alten“ Vertragsbediensteten zwar zunächst übernommen werden, sich durch die neue Arbeitsorganisation, die damit einher geht, aber nach und nach zurückziehen, aufhören oder versetzen lassen. Die „neuen“ dann privat angestellten KollegInnen haben zumeist schlechtere Bedingungen v.a. beim Gehalt und beim „Kündigungsschutz“. Damit ist das Spar-Ziel, den nach diesem neoliberalen Kurs im kommunalen Gesundheitsbereich „teuersten“ Kostenfaktor Arbeit „zu verbilligen“, erreicht. 

Wie es den KollegInnen damit geht - um wieder auf BurnOut zurückzukommen, dass z.B. auch durch die damit einhergehenden mangelnden Mitsprachemöglichkeiten am Arbeitsplatz, ein Ansteigen des Dokumentationsaufwandes und dafür immer weniger Zeit am Patienten selbst, neuen Arbeits- und Managementmethoden und die oft nicht ausreichend dafür ausgebildeten Führungspersonen zurückzuführen ist – interessiert die Führung selten bis nicht. Es ist ein ewiger Teufelskreis, den die KollegInnen so gut wie gar nicht durchbrechen können und sich auch dadurch ohnmächtig fühlen!

Die Politik muss endlich wieder Verantwortung übernehmen, ausreichende Ressourcen zur Verfügung stellen und dem Sparkurs im sowie Privatisierung des Kommunalen Gesundheitswesens eine klare Absage erteilen! Aber das geht nur, wenn wir uns gemeinsam organisieren, solidarisieren und den verantwortlichen PolitikerInnen klarmachen, dass sie Entscheidungen nicht über unsere Köpfe hinweg treffen können! Das ist es wofür sich die KIV/UG im KAV in Wien und generell im Gesundheitsbereich stark macht! 

WERKSTATT-Blatt: Die Gewerkschaft hat im September die Kampagne "Zeit für Menschlichkeit" gestartet. Was sind die Forderungen dieser Kampagne?

Christine Rudolf: Genau darum, was ich oben erwähnt habe, geht es auch bei der Kampagne „Zeit für Menschlichkeit“, die die KIV/UG als parteiunabhängige Fraktion innerhalb der GdG-KMSfB und der Personalvertretung natürlich unterstützt. Wir haben uns sehr darüber gefreut, dass unsere Gewerkschaftsführung innerhalb der Hauptgruppe 2 der GdG-KMSfB im KAV endlich den Mut fasst, in der Öffentlichkeit gegen den Sparkurs der Rot-Grünen-Stadtregierung aufzutreten, die Überlastung und den Arbeitsdruck der KollegInnen zu thematisieren und die KollegInnen mit einzubeziehen. Die Forderungen der Kampagne sind ganz einfach zusammengefasst (Quelle: www.gesundheitskampagne.at):

Wir fordern von der Politik und der Unternehmungsführung des Wiener KAV den sofortigen STOPP weiterer Einsparungen beim Personal im Gesundheitsbereich.

Wir brauchen vor allem
- eine Verringerung des Arbeitsdrucks
- ausreichend qualifiziertes Personal
- eine bessere Organisation der Arbeitsabläufe
- verlässlich planbare Freizeit für die MitarbeiterInnen
- eine professionelle Personalentwicklung
- eine umfassende betriebliche Gesundheitsförderung
- eine leistungsgerechte Entlohnung der Beschäftigten
- alternsgerechte Arbeitsplätze
- und den Abbau der "Dokumentationsflut"

Die KIV/UG fordert aber zusätzlich u.a.:
- keine weiteren Privatisierungen, Ausgliederungen bzw. Fremdvergabe sowie Rücknahme der bereits durchgeführten im kommunalen Gesundheitswesen,
- mehr Personal – d.h. eine Personalbedarfserhebung nur mit Mitsprache der Betroffenen ExpertInnen, also auch der KollegInnen vor Ort selbst, denn sie können am besten beurteilen, was für eine qualitativ-hochwertige Gesundheitsversorgung und Pflege notwendig ist,
- mehr Mitsprachemöglichkeiten der KollegInnen bei der Gestaltung und Arbeitsorganisation an ihrem Arbeitsplatz, usw. 

Wir sagen, es ist nicht nur Zeit für Menschlichkeit! Wir sagen es ist Zeit für Gerechtigkeit!Wir mahnen aber auch ein: Was kommt nach der Kampagne "Zeit für Menschlichkeit"?

Dann brauchen wir eine Gewerkschaft, die konsequent Widerstand gegen die neuerlichen Kürzungen und Privatisierungen leistet. Dann brauchen wir eine Gewerkschaft, die zu wirklichen Kampfmaßnahmen für bessere Arbeitsbedingungen, bessere Einkommen und mehr Personal bereit ist. Dazu brauchen wir eine parteiunabhängige Gewerkschaft, die eine Stadtregierung nicht nach der parteipolitischen Farbe beurteilt, sondern nach ihren Taten.

Die KIV/UG fordert von der Stadtregierung, dass mehr Geld für die kommunalen Spitäler und Geriatriezentren zur Verfügung gestellt wird. Wir wollen keine faulen Kompromisse und Versprechungen. Auch wenn das Geld im Budget knapp ist, die Stadtregierung kann ehrliche Anstrengungen unternehmen, um den Beschäftigten in den Spitälern und Geriatriezentren entgegen zu kommen und die von der Gewerkschaft angesprochenen Probleme zu verbessern.

WERKSTATT-Blatt: Gibt es bereits erste Ergebnisse/Erfolge dieser Kampagne

Christine Rudolf: Die bisherigen Ergebnisse können direkt auf der Kampagnen-HP nachgelesen werden: http://www.gesundheitskampagne.at/erfolge.html

Der wohl laut GdG-KMSfB bisher erfreulichste Erfolg ist, dass vor dem Sommer ausgesprochene Sparmaßnahmen von KAV-Direktor Marhold per 12.10. zurückgenommen wurden. Davon haben wir per Presseaussendung vom Vorsitzenden der GdG-KMSfB-Hauptgruppe 2, Bernhard Harreither erfahren. Ein offizielles Schreiben dazu vom KAV-Direktor ist uns allerdings bisher nicht bekannt und auch die KollegInnen in den Häusern wurden nur mündlich in Kenntnis gesetzt. Das betrifft aber nach unseren Informationen nicht die bereits Anfang des Jahres generell angekündigten Einsparungen von 50 Millionen in den Häusern des KAV beim Personal und sonstigen Rahmenbedingungen, sondern die Themenbereiche "Gewährung von Remunerationen, Zustimmung zu Beförderungen, Bewilligung von Fortbildungen und Nachbesetzungen von Dienstposten", die vor dem Sommer mit Begründung, dass gespart werden muss, gestoppt wurden.
Ich persönlich sehe es als positives Ergebnis der Kampagne, dass die KollegInnen aufgerüttelt wurden, sich nun auch trauen ihre belastende Situation aus-/anzusprechen und sich gegenseitig darüber unterhalten, was notwendig wäre, sie machen wollen, sie auch von ihrer Gewerkschaft dazu einfordern etc. Nur, wenn die Gewerkschaftsführung wirklich dazu bereit ist, Verbesserungen auch zu erkämpfen, dann darf sie die nun aufgerüttelten KollegInnen auch nicht allzu lange hinhalten und muss versuchen über die Verhandlungen transparent zu informieren, damit die Stimmung nicht ins Gegenteil umschlägt.

Zur Zeit ist es wieder ruhiger, weil die Verhandlungspartner KAV-Direktion und Gewerkschaftsführung an den Verhandlungstisch zurückgekehrt sind. Daher gibt es auch im Moment die zuvor angekündigten Aktionswochen in der Öffentlichkeit (noch) nicht. Im Moment wird wieder eine Befragung in den Häusern durchgeführt um gemeinsam mit den Bediensteten Forderungen für ihre jeweiligen Bereiche und Berufsgruppen zu erarbeiten.

Eine gute Sache, wenn sie miteinbezogen werden! Aber: Wir hoffen, dass dann auch etwas damit passiert und es zu keinen „faulen Kompromissen“ kommt! Wir werden uns jedenfalls dafür stark machen – denn wir sagen: „Es ist nicht nur Zeit für Menschlichkeit – es ist Zeit für Gerechtigkeit!“  

WERKSTATT-Blatt: Wie kann man diese Kampagne für bessere Arbeitsbedingungen in den Gesundheitsberufen unterstützen:

Christine Rudolf: Mensch kann online auf der HP den Wiener Appell mit den Forderungen unterstützen: http://www.gesundheitskampagne.at/fuer-unsere-gesundheit.html 

Mensch kann sich Material downloaden und im eigenen Umfeld austeilen/aufhängen: http://www.gesundheitskampagne.at/downloads.html 

Mensch kann via Facebook oder Twitter die Kampagne verbreiten und sein Umfeld, seine Freunde, Familie und Bekannten darauf aufmerksam machen bzw. sich aktiv beteiligen:
http://www.facebook.com/gesundheitskampagne.at
https://twitter.com/#!/gesundkampat

Mensch kann und soll sich solidarisieren, auch wenn in einem anderen Arbeitsfeld tätig – denn Gesundheit geht uns schließlich alle etwas an – beispielsweise mit einem Soli-Brief oder einem Erfahrungsbericht aus eigenem Erleben, der dann an die Kampagnen-Verantwortlichen geschickt werden kann: http://www.gesundheitskampagne.at/kontakt.html

Mensch kann auch Videos zum Thema drehen und diese an die Kampagnen-Verantwortlichen schicken zum Hochladen für YouTube: http://www.youtube.com/user/gesundkampat?hl=de#p/u  

Lust but not Least: Auch wir - die KIV/UG und die AUGE/UG - veröffentlichen im Rahmen unseres Engagements für eine Sozialmilliarde und eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Gesundheits- und Sozialbereich gerne Eure Videos oder Artikel/Statements/ Erfahrungsberichte zur Thematik:

- auf unserer HP: www.kiv.at/xundheit bzw. www.kiv.at/vernetzung-soziales

- oder auf unserem Blog: www.sozialmilliarde.at
- oder auf unserer Facebook-Seite: www.facebook.com/soziale.bildungskroeten


*) Die Schwerpunkte von Christine Rudolf als Gewerkschaftsskretärin sind der kommunale Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereich, sowie gewerkschaftsübergreifende Vernetzung, wie z.B. die Vernetzungsgruppe Soziales der KIV/UG und der AUGE/UG im kommunalen und privaten Sozial-, Gesundheits-, Elementar- und Erwachsenenbildungsbereich. Im Rahmen ihrer Tätigkeiten bei der KIV/UG arbeitet sie u.a. mit den KIV-PersonalvertreterInnen im Wiener Krankenanstaltenverbund zusammen und hat daher Einblick in die aktuellen Initiativen und Aktivitäten rund um die Gesundheitskampagne "Zeit für Menschlichkeit".


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Gewerkschaftliche Proteste von Gesundheitsbeschäftigten gegen die Sparpolitik am 14. September vor dem Wiener Rathaus.