ImageDie sog. "Gesundheitsreform" soll der Regierung direkte Durchgriffsrechte geben, um auch den Gesundheitsbereich den EU-Sparvorgaben zu unterwerfen. Von diesem Gesundheitsbeschränkungsprogramm sind die im Gesundheitsbereich Arbeitenden genauso betroffen sind wie die PatientInnen und die Sozialversicherungen. Die Solidar-Werkstatt rufen daher zum gemeinsamen Widerstand gegen diesen Angriff auf unsere Gesundheit auf!


Die sog. Gesundheitsreform, die zwischen den Spitzen von Bund, Ländern und Sozialversicherung hinter verschlossenen Türen ausgehandelt worden ist, ist in Wirklichkeit ein Gesundheitsbeschränkungsprogramm. Sie hat ein zentrales Ziel: Die „Deckelung“ der Gesundheitsausgaben entlang der Schwankungen des Bruttoinlandsprodukts. Gegenüber den Bedarfsprognosen sollen bis 2013 3,4 Milliarden, bis 2020 sogar 11 Milliarden eingespart werden. Als Grund dafür wird die „Explosion“ der Gesundheitsausgaben vorgegeben, was keineswegs den Tatsachen entspricht: Im Zeitraum 1999 bis 2011 ist der Anteil der öffentlichen Gesundheitsausgaben am BIP von 7,27 auf 7,76% sachte angestiegen. Im Jahr 2011 sind die Gesundheitsausgaben sogar nominell vollkommen stagniert. Der wirkliche Hintergrund sind die neoliberalen EU-Vorgaben wie der verschärfte Stabilitätspakt und der EU-Fiskalpakt. Um eine Einschränkung der Gesundheitsausgaben durchsetzen zu können, soll eine neue Organisation geschaffen werden, die einen zentralisierten Durchgriff von oben nach unten ermöglicht, nicht zuletzt indem der Einfluss der Sozialversicherung massiv zurückgedrängt wird.

„Deckelung“ bedeutet bekanntlich, dass das BIP-Wachstum die Obergrenze ist, weniger kann es allemal sein. Konsequenterweise lobt die Industriellenvereinigung, die jetzt akkordierten Beschränkungen des Gesundheitssektors nur „als ersten Schritt in die richtige Richtung“.

Welche Richtung die Großindustriellen meinen, kann man an Hand jener Länder sehen, die schon jetzt unter dem „Rettungsschirm“, sprich der Total-Vormundschaft der EU-Kommission, stehen: So sind in Irland die öffentlichen Ausgaben für Gesundheit im Vorjahr um 10% gesunken, in Griechenland um 11%, weitere milliardenschwere Kürzungsprogramme sind in Athen unter dem Druck der „Troika“ vor kurzem beschlossen worden. Mit dem EU-Fiskalpakt kann in Hinkunft jedes Land rasch unter Kuratel der EU-Kommission kommen. Im jüngsten "Fiscal Stability Report 2012" fordert die EU-Kommission von Österreich eine „Budgetkonsolidierung“ von 12 Milliarden Euro – Jahr für Jahr! Zum Vergleich: Das entspricht der Hälfte der jährlichen öffentlichen Gesundheitsausgaben Österreichs.Image

Was sind daher die absehbaren Folgen dieser „Gesundheitsreform“?

=> Entdemokratisierung: Die Entscheidung über Ein- und Ausgaben obliegt  nicht mehr  demokratisch gewählten Organen; Bundes- und Länderparlamente werden zu Nachvollzugsorganen neoliberaler Sparvorgaben degradiert, die Sozialversicherung wird entmündigt (sh. weiter unten).

=> Quantitative und qualitative Verschlechterung der öffentliche Gesundheitsversorgung: Ausdünnung der Versorgungsleistungen, Schließung von Stationen, möglicherweise auch von Spitälern, möglichst billige statt bestmögliche Behandlung, längere Wartzeiten auf Operationen, Selektion der Behandlung (z.B. keine Durchführung bestimmter Operationen ab einem bestimmten Alter). Besonders in Zeiten der Wirtschaftskrise bzw. unter einem von der EU-Kommission erzwungenen „Defizitverfahren“ drohen große Einschnitte in der Gesundheitsversorgung.

=> Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für die Menschen, die in Gesundheitsbereichen arbeiten: Schon jetzt sind Personalmangel, überlange Arbeitszeiten und wachsende Arbeitsbelastung an der Tagesordnung. Ein Drittel aller Beschäftigten im Gesundheits- und Pflegebereich ist burn-out-gefährdet.

=> Zwei-Klassen-Medizin: Nur mehr wer es aus eigener Tasche bezahlen kann, bekommt die bestmögliche Behandlung. Die Gesundheit wird zum profitablen „Markt“ für private Kapitalgruppen. EU-Kommission und EUGH arbeiten bereits zügig auf die Liberalisierung und Privatisierung des Gesundheitssektors hin. Der Spitalsärzte-Ombudsmann Harald Mayer warnt: „Wenn das Angebot beschränkt ist, kommt es zu Wartezeiten. Und man wird sich auch zwangsläufig überlegen müssen, wer das teure künstliche Hüftgelenk bekommen soll: Der 45-jährige Sportler oder die 80-jährige Pensionistin? Für beide wird kein Geld da sein. Bei der Wahl der Therapie wird danach entschieden werden müssen, was sie kostet, nicht, was sie bringt. Wer es sich leisten kann wird weiterhin kriegen, was er braucht – wenn er es aus der eigenen Tasche bezahlt.“ (OÖN, 10.11.2012)

Ausbau des solidarischen Gesundheitsstems statt Zwei-Klassen-Medizin

Wir halten das für den vollkommen falschen Weg. Die Ausgaben für Gesundheit müssen sich am Bedarf der Menschen und nicht am Auf- und Ab der Konjunktur orientieren. Jede wirkliche Gesundheitsreform, die diesen Namen verdient, muss sich daran messen lassen. Gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten verschlechtert sich die Gesundheit der Menschen, sie benötigen daher umso mehr ein gutes Gesundheitssystem. Die Einnahmen und Ausgaben des Gesundheitsbereichs müssen weiterhin demokratisch gestaltbar bleiben, statt sie doktrinären EU-Vorgaben zu unterwerfen. Natürlich müssen Ineffizienzen und Doppelgleisigkeiten vermieden werden, aber wachsende Gesundheitsausgaben sind letztlich auch Ausdruck dessen, dass die Fähigkeiten der Medizin wachsen (hinsichtlich Prophylaxe, Früherkennung, Behandlung, Heilungschancen). Das alles kostet – und das ist gut so! Bei der Gesundheit der Menschen zu sparen ist inhuman und letztlich auch wirtschaftlich kontraproduktiv. Der öffentliche, solidarisch organisierte Gesundheitsbereich muss daher ausgebaut und nicht „gedeckelt“ werden. Wir brauchen mehr Personal und bessere Arbeitsbedingungen im Gesundheitsbereich. Wir wollen keine Zwei-Klassen-Medizin. Alle Menschen müssen – unabhängig von der Größe ihrer Geldtasche – gleichermaßen Zugang zu qualitativ hochwertigen Gesundheitsdiensten haben!

Breite Diskussion statt Geheimverhandlungen

Die Solidar-Werkstatt lehnt daher diese „Gesundheitsreform“ ab. Besonders bedenklich ist auch, dass diese „Gesundheitsreform“ in Form eines zeitlich unbefristeten Staatsvertrages zwischen Bund und Ländern beschlossen werden soll und damit nur mehr schwer verändert werden kann. Eine solche tiefgreifende Änderung darf nicht im kleinsten Kreis hinter verschlossenen Türen ausgehandelt und dann im Hau-Ruck-Verfahren durch Bundes- und Landesparlamente gepeitscht werden; sie erfordert breite Diskussion und die Einbeziehung der davon betroffenen Menschen. Wir fordern daher den Gesetzgeber auf, eine solche Diskussion zu ermöglichen und die Menschen in einer Volksabstimmung darüber entscheiden zu lassen.

(Selbst-)Entmündigung der Sozialversicherung

Mit der „Gesundheitsreform“ sollen zwei mächtige neue Kommissionen geschaffen werden, die für die Bundes- bzw. die jeweilige Länderebene „Zielsteuerungsverträge“ ausarbeiten. In diesen Verträgen soll die Versorgungs- und Leistungsdichte im akutstationären und ambulanten Bereich sowie der dafür vorgesehene Finanzrahmen festgelegt werden. Von einem „partnerschaftlichen Zielsteuerungsmodell“ ist dabei die Rede. Tatsächlich sollen in der Bundes-Zielsteuerungskommission Bund, Länder und Sozialversicherung und in der Landes-Zielsteuerungskommission Länder und Sozialversicherung „einvernehmlich“ ihre Beschlüsse fassen. Doch das Wesentlich steht, wie so oft, im Kleingedruckten und wird medial kaum kolportiert: Der/die Vertreter/in des Bundes hat in der Land-Zielsteuerungskommission ein Vetorecht. Und in der Bundes-Zielsteuerungskommission geht, wenn sich Bund, Länder und Sozialversicherung nicht einigen, die Entscheidung auf den Gesundheitsminister „im Einvernehmen mit dem Finanzminister“ über. Es wird damit klar, warum Fekter am Tag der Akkordierung dieser „Gesundheitsreform“ von einem „Freudentag“ spricht. Zu den großen VerliererInnen dieser Reform zählen keineswegs „nur“ die ÄrztInnen, sondern vor allem die Sozialversicherung und ihre Versicherten, die über ihre Beiträge knapp 60% der öffentlichen Gesundheitsausgaben aufbringen, aber nun politisch an die Wand gedrückt werden. Denn die Regierung bekommt über diese Organisationsform ein extrem starkes Druckmittel in die Hand: Sie kann, falls z.B. die Sozialversicherung nicht bereit sind, ihren Vorgaben zu folgen, eine Einigung blockieren, wodurch nach einer gewissen Zeit automatisch die Entscheidungskompetenz an den/die Minister/in fällt. EU-Diktate können damit direkt bis in die Bundesländer und Gemeinden durchgestellt werden.

Warum VertreterInnen der Sozialversicherung diese Selbstentmündigung mitausverhandelt haben, warum die ArbeitnehmerInnen-Vertretungen kein Wort der Kritik daran äußern, ist ebenso unverständlich wie skandalös. Die Solidar-Werkstatt fordert eine Urabstimmung aller Versicherten über diese „Gesundheitsreform“. Wir wollen uns nicht entmündigen lassen!

Leisten wir Widerstand!

Die "Gesundheitsreform" ist zwar auf oberster Ebene akkordiert, muss aber noch im Nationalrat und den neun Landtagen beschlossen werden. Es gibt also noch die Möglichkeit zum Widerstand. Bitte mitmachen, mitunterstützen! Erste Aktionen sind bereits angelaufen:
Mi, 16. Jänner 2013: Protestkundgebung in Linz
Unterschriftenaktion: Nein zur "Deckelung" der Gesundheitsausgaben!
(hier zum Herunterladen, auf Wunsch schicken Unterschriftslisten auch zu; Bestellung: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! oder Tel. 0732/771094). Dieser Aufruf kann HIER auch online unterschrieben werden!


NACHSATZ:Image

Wer oder was wird „gedeckelt“?

Zwischen 1995 und 2006 ist der Produktionswert der automotiven Zulieferindustrie in Österreich um 160%, die Wertschöpfung in diesem Bereich um 90% gestiegen, das lag weit über dem Wachstum des BIP in diesem Zeitraum. Hat deswegen wer über Verschwendung von Ressourcen und Ausgabenexplosion bei der Autoproduktion genörgelt? Im Gegenteil: Als es im Zuge der Wirtschaftskrise zu einem Einbruch in der Autoindustrie gekommen ist, sprang der Staat mit Abwrackprämien zur Seite, um die Produktion wieder anzukurbeln. Zwischen 2005 und 2010 wuchsen die Ausgaben für Waffenankäufe in der EU um über 30% - drei Mal so schnell wie das BIP. Haben EU und Regierungen nach einer „Deckelung“ bei Rüstungsgütern gerufen? Im Gegenteil: Der EU-Vertrag von Lissabon fordert sogar die ständige „Verbesserung der militärischen Fähigkeiten“, beim jüngsten EU-Gipfel wurde ausführlich darüber beraten, wie die EU-Rüstungsindustrie gestärkt werden kann. Wenn allerdings die Gesundheitsausgaben ein wenig über dem BIP-Wachstum liegen, dann wird sofort nach einem „Deckel“ gerufen. Autos und Kampflieger hui, Gesundheit pfui. Kaum etwas zeigt deutlicher, wer oder was in diesem EUropa wirklich Wert hat.