Im September 2019 startete der Berufsverband Österreichischer PsychologInnen die Petition „Für eine bessere Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen in Österreich!“. Denn die psychische Versorgung in Österreich ist in vielerlei Hinsicht prekär:

> Menschen mit psychischen Problemen, die sich keinen privaten Wahlarzt leisten können, müssen oft monatelang auf einen psychiatrischen Kassenarzt warten.

> Ohne Überweisung durch einen Facharzt zahlt die Krankenkasse keinen Zuschuss zur Psychotherapie. Und selbst diese Zuzahlungen sind sehr begrenzt. Bis zu drei Viertel der Kosten müssen die Betroffenen selbst zahlen; die Zahl der Therapiestunden ist eng begrenzt.

> Kostenlose Psychotherapie-Angebote von Sozialeinrichtungen sind noch stärker limitiert, Wartezeiten von bis zu einem Jahr keine Seltenheit.

> Die Jugendpsychiatrie in den Spitälern ist völlig unterfinanziert

Lange Wartezeiten können das Leben kosten

Psychische Krisen sind keine Magenverstimmung, die wieder von alleine vergeht. Ohne Behandlung droht eine Abwärtsspirale. Oft kommt es auf Tage an. Die langen Wartezeiten kosten nicht nur Lebensqualität, sie können das Leben kosten. In Österreich haben sich im Jahr 2017 1.224 Menschen das Leben genommen, das sind dreimal so viele, wie im Straßenverkehr sterben. Seit Mitte der 80er Jahre sind die Suizide in Österreich zwar deutlich zurückgegangen. Doch seit der Wirtschaftskrise 2008 hat sich dieser Rückgang verlangsamt. 2017 ist es bei Männern sogar wieder zu einem Anstieg von Selbstmorden gegenüber dem Vorjahr gekommen. 1,2 Millionen Menschen in Österreich leiden an einer psychischen Erkrankung.

Die mangelnden materiellen Mittel für entsprechende psychiatrische und psychotherapeutische Angebote bedeuten nicht nur unermesslich viel Leid für die Betroffen, sie kosten auch der Gesellschaft viel: Jährlich werden die volkswirtschaftlichen Kosten auf zwölf Milliarden Euro geschätzt. Psychische Erkrankungen sind für zwei Drittel aller Frühpensionen verantwortlich (53 Prozent bei Frauen, 31 Prozent bei Männern), besonders häufig sind Depressionen und Angststörungen.

„Zwei-Klassen-Medizin“

Die vom Berufsverband Österreichischer PsychologInnen gestartete Petition an Regierung und Parlament fordert daher ausreichend Behandlungsplätze für psychisch erkrankte Menschen, sodass eine Vollversorgung ohne Wartezeit und auf hohem Qualitätsniveau gewährleistet ist. Klinisch-psychologische Behandlung muss auch im niedergelassenen Bereich als Kassenleistung angeboten werden, um die hohen sozialen Zugangsbarrieren zu beseitigen. Beate Wimmer-Puchinger, Präsidentin des Berufsverbandes Österreichischer Psychologinnen: „Armut macht krank - das gilt insbesondere für die Psyche.“ Doch gerade die von Armut Betroffenen können sich eine gute Behandlungen oft nicht leisten oder müssen viel zu lange darauf warten. Johannes Wancata, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik: „Diese Form der Zwei-Klassen-Medizin ist inakzeptabel und eine Schande für eines der reichsten Länder der Welt.“

Petition unterstützen!

Die Petition „Für eine bessere Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen in Österreich!“ wurde bereits von über 19.000 Menschen unterzeichnet. Sie läuft noch bis Mitte März 2020. Sie kann online unterstützt werden auf: https://www.openpetition.eu/at/petition/online/fuer-eine-bessere-versorgung-von-menschen-mit-psychischen-erkrankungen-in-oesterreich

Weg mit dem Deckel!

Aufgrund des EU-Fiskalpakts wurde in Österreich 2012 die „Deckelung der Gesundheitsausgaben“ eingeführt, 2017 wurde diese Deckelung nochmals verschärft. Die Gesundheitsausgaben dürfen seither nur mehr im Ausmaß des BIP-Wachstums zunehmen. Darüber wacht die EU-Kommission mit Argusaugen.

Blöderweise halten sich psychische Erkrankungen nicht an die Budgetvorgaben der EU-Kommission. Der krankhafte Neoliberalismus, wie er in den EU-Verträgen einbetoniert worden ist, macht die Menschen krank. Existenzangst und ständiger Konkurrenzdruck hinterlassen tiefe Spuren in den Seelen – auch bei den „Gewinnern“, bei den „Verlierern“ sowieso. Depressionen und Angsterkrankungen nehmen dramatisch zu. Fast jeder zehnte Österreicher leidet an einer depressiven Erkrankung. Rund 20 Prozent der Österreicher leiden im Laufe ihres Lebens an einer Angst- oder Panikstörung. Doch nur ein Bruchteil von ihnen befindet sich in ärztlicher Behandlung und genießt eine erfolgversprechende und nachhaltige Therapie.

Wir brauchen deshalb mehr Mittel in diesem Bereich. Die Solidarwerkstatt hat bereits vor einiger Zeit eine Kampagne gegen diese unmenschliche „Deckelung der Gesundheitsausgaben“ gestartet. Angesichts der prekären Zustände im Bereich der psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung in Österreich muss es mehr denn je heißen: Weg mit dem Deckel! Denn wie menschlich eine Gesellschaft ist, bemisst sich nicht zuletzt daran, dass sich die Gesundheitsversorgung am Bedarf und nicht an technokratischen Budgetvorgaben ausrichtet!