Die Arbeitsbedingungen in der Pflege werden immer prekärer. Daher ist es wichtig, die Betroffenen selbst zu Wort kommen zu lassen. Stefan Bauer (Betriebsrats-Vorsitzender Sozialhilfeverband Linz-Land) und Rudi Schober (Solidarwerkstatt Österreich) unterhielten sich mit Christina Benda, die in Traun (OÖ) in einem Pflege- und Betreuungszentrum arbeitet. 


Stefan: Seit wann arbeitest du in der Pflege?

Christina: Ich habe 1994 mit der Ausbildung angefangen, damals war das nur ein Jahr, habe 1995 auf der Station angefangen und bin seit damals in Traun auf der Pflege.

Stefan: Hast du vorher einen anderen Beruf erlernt?

Christina: Beruf habe ich nicht erlernt. Ich habe bei den Richter-Schuhen in der Produktion gearbeitet, und dann habe ich die Umschulung auf Altenfachbetreuerin gemacht.

Rudi: Wir hören jetzt immer öfter, dass Personal in der Pflege fehlt. Wie schaut es bei euch aus?

Christina: Ja es fehlen viele, weil jetzt die Generation kommt, wo wir alle in Pension gehen. Die nächsten fünf, sechs Jahre werden heavy. Wir haben um die 2000er Wende schon gewusst, dass in 30 Jahren, was jetzt bald ansteht, wir ein Problem mit der Pflege bekommen. Doch bis dato wurde nichts gemacht. Jetzt brennt der Hut. Jetzt wird darauf geschaut, dass die Leute die Ausbildung in der Pflege machen. Aber es kommt auch auf die Qualität an. Ich denke, man kann nicht – böse gesagt - alle Leute auf unsere Bewohner und Bewohnerinnen loslassen.

Stefan: Du hast die demographische Entwicklung angesprochen. Ich habe von der Statistik Austria gelesen, dass es in nicht einmal einem Jahrzehnt 40 Prozent mit Menschen über 85 Jahren in Österreich geben wird. Das ist ja fast das Klientel, das du betreust.

Christina: Ja, wir haben eine große Spanne. Der Jüngste, der jetzt einzieht, ist 64, und die Älteste ist 103. Wir sind ja kein Alten- und Pflegeheim mehr, wir sind nur mehr ein Zentrum für Betreuung und Pflege. Darum spielt das Alter keine Rolle mehr für die, die aufgenommen werden. Die Pflegestufe spielt eine Rolle und die Betreuungsintensität wird immer intensiver. Dadurch fehlt uns auch der gehobene Dienst. Da sind die Diplomierten sehr gefordert, die uns aber alle davonrennen.

Rudi: Warum davonrennen?

Christina: Weil es einfach lukrativer ist, auf einer Station in einem Krankenhaus zu arbeiten als mit unseren Bewohnern in einem Heim. Es ist auch psychisch anstrengender und sie sollten auch in der Pflege mithelfen, was manchen Diplomierten nicht so gefällt.

Stefan: Müsste man da nicht eigentlich umdenken, müsste man nicht schauen, dass man viel mehr diplomierte Kräfte in ein Heim reinbekommt, weil die Aufgaben in einem Heim vielschichtiger und höherwertiger werden?

Christina: Es wäre wichtig, mehr Diplomierte in Altenheimen für Geriatrie auszubilden. Die haben dann aber einen Zwei-Jahres-Vertrag. Zwei Jahre müssen sie bleiben, die Jungen gehen dann oder werden Mütter, kommen dann nicht mehr. Wir haben eine wunderschöne Arbeit, ich liebe meine Arbeit. Aber es ist aufwändig. Wenn man in ein Krankenhaus reinschaut und vergleicht, wie viele Schwestern da und wie viele bei uns für die Leute zuständig sind, dann sieht man einen großen Unterschied.

Stefan: Das heißt der Personalschlüssel in einem Altenheim gehört auch einmal evaluiert und angepasst, weil für die Ausgaben, die zu machen sind, weil für die Aufgaben, die zu machen sind, einfach zu wenig Personal hat.

Christina: Ja auf alle Fälle, denn der Aufwand wird immer mehr. Wir bekommen jetzt Patienten rein mit Krebs im Endstadium, das muss ein Diplomierter machen. Oder die Wundversorgung, sie kommen oft schon mit einem Dekubitus aus dem Krankenhaus zu uns. Einen Verbandswechsel macht man nicht in fünf Minuten, der dauert bei einer Bewohnerin von uns bis zu einer halben Stunde. Die Zeit brauchen wir aber, und da arbeitest du oft nicht allein, sondern zu zweit.

Stefan: Weil du sagst zu zweit arbeiten, ist das immer möglich, dass man zu zweit einen Bewohner macht?

Christina: Es ist möglich, aber da steht dann ein anderer kurz hinten an. Das geht leider nicht anders, ich kann mich ja nicht teilen. Und wenn dazu dann in der Früh noch einer ausfällt, dann hast du am Tag 18.000 Schritte, weil du nicht weißt, wo du als erster anfangen und aufhören sollst. Du hast dazwischen schon wieder Verschnaufpausen.

Stefan: Das muss man sich einmal vorstellen, 18.000 Schritte, das sind 12 Kilometer.

Christina: Ja man kommt auf 14.000 bis 18.000 Schritte. Das kommt immer drauf an, wie viele Leute wir gerade sind. Wenn Leute ausfallen, dann läufst du eben mehr. Mein Höchstes waren 19.760 Schritte an einem Tag.

Rudi: Ich habe das Gefühl, dass es von der öffentlichen Hand keine Wertschätzung dafür gibt, was ihr für eine Arbeit leistet. Sonst würde die öffentliche Hand eingreifen und sagen, wir müssen da etwas tun.

Christina: Ich glaube, es fehlt nicht nur die Wertschätzung, die wissen oft gar nicht, wie es bei uns wirklich abläuft. Vor ein paar Jahren war ein Politiker bei uns da, von 19 Uhr bis ca. 20.30 Uhr, und am nächsten Tag steht in der Zeitung, er hat einen Nachtdienst mitgemacht. Da haben wir uns verarscht gefühlt.

Rudi: Das heißt, die wissen oft gar nicht, welche Auswirkungen ihre Entscheidungen haben.

Christina: Die wollen es nicht wissen oder wissen es wirklich nicht. Es gibt soviel, was in der Politik versprochen werden muss und alles ist wichtiger als die Pflege. Dass es da um den Menschen geht, das vergessen sie leicht.

Rudi: Was bräuchten wir von der Politik, dass es anders ist?

Christina: Es hängt am Personalschlüssel. Das ist das Um und Auf. Die Menschlichkeit geht verloren, weil wir den entsprechenden Personalschlüssel nicht haben, auch wenn wir uns bemühen. Wir haben früher viel mehr gemacht, wir haben Kaffeekränzchen mit den Leuten gemacht, wir haben mit ihnen gebacken, damit sie den Geruch von daheim, vom Kochen wieder in die Nase bekommen haben, dass wieder Erinnerungen zurückgekommen sind. Wir haben Rezepte mit unseren Bewohnern ausgetauscht. Das geht alles nicht mehr, weil der Zeitaufwand ein Wahnsinn ist. Leider kommen die Bewohner auch immer schlechter zu uns. Die Demenz, der Krebs. Die Pflege wird immer aufwändiger und die zwischenmenschliche Beziehung wird immer weniger und weniger, weil wir die Zeit nicht mehr haben.

Rudi: Ihr müsst eure Pflegevorgänge ja dokumentieren. Ist das mehr geworden? Ist das ein administrativer Aufwand, der dann auch personell abgegolten wird?

Christina: Das ist eine zusätzliche Arbeit. Früher mit dem Kardex (Karteikartensystem, Anm. d. Verf.) ist es uns leichter vorgekommen, jetzt mit dem Computer sitzen wir viel mehr Zeit vor dem Kasten. Ich komm dann oft nicht mehr dazu, dass ich alles dokumentiere und in der Nacht fällt es mir dann ein. Dann rufe ich den Nachtdienst an und ersuche ihn, es mir einzuschreiben. Man merkt, dass man in der Nacht dann noch nacharbeitet. Denn wenn was ist, dann zählt vor Gericht nur das Geschriebene. Wenn etwas nicht geschrieben ist, ist es nicht passiert und nicht gemacht. 

Stefan: Glaubst du, dass viel Dokumentation gar nicht wegen der Pflegequalität passiert, sondern nur mehr dafür, dass man sich rechtfertigen kann.

Christina: Ja, wir müssen uns rechtfertigen. Vieles was dokumentiert wird, hilft gar nicht für die Qualität der Pflege. Früher im Kardex ist noch viel übergeben worden. Jetzt im Computer fällt das raus. Jetzt muss ich mich hinsetzen, muss jeden Klienten anklicken und nachlesen und das ist sehr zeitaufwändig. Früher habe ich das am Reiter gesehen. Das ist nicht besser geworden, eher schlechter. Wir bräuchten eine Sekretärin.

Stefan: Im Spital gibt es sowas. Da gibt es Stationsschreiber, Stationssekretäre. Wäre das etwas für ein Altenheim?

Christina: Ja, das wäre sicher leichter. Kriegen wir aber sicher nicht, weil das kostet ja was.