Die Coronapandemie verdeutlicht die Mängel in unserem Schulsystem, das vielen Kindern nicht gerecht wird. Was kann sofort getan werden und was sollten wir sofort in Angriff nehmen?

Aufgrund des besorgniserregenden Anstiegs der Infektionszahlen und den alarmierenden Berichten aus den Krankenhäusern kam es zwischen 16. November und 7. Dezember 2020 zu einem erneuten Lockdown an den Schulen. Anders als im Frühling konnten zwar nun auch die Kinder, die zu Hause zu wenig Platz, technisches Equipment oder Unterstützung hatten, neben denen, die eine Beaufsichtigung brauchten, diesmal in die Schule kommen, Sonderschulen blieben ganz normal im Präsenzunterricht.

Reales Infektionsgeschehen lange ignoriert

Trotzdem stellte diese erneute, österreichweite Schulschließung für Kinder, Eltern und LehrerInnen eine große Belastung dar. Warum war sie in Hinblick auf die Entwicklung der Infektionszahlen und der Situation in den Krankenhäusern unumgänglich? Nicht zuletzt deshalb, weil zu lange das reale Infektionsgeschehen an den Schulen negiert wurde und daneben über den Sommer kaum wirkungsvolle Schutzmaßnahmen etabliert wurden. Anders als noch im September wurden spätestens Ende Oktober aufgrund von Behördenüberlastung in manchen Bezirken enge Kontaktpersonen (K1) von positiv getesteten LehrerInnen und SchülerInnen überhaupt nicht, oder sehr verspätet verständigt, und die LehrerInnen hatten daneben die Anweisung, Eltern von betroffenen SchülerInnen nicht zu informieren, sondern dies den Behörden zu überlassen. Regierung und Bildungsbehörden hielten trotz anderslautenden wissenschaftlichen Erkenntnissen und Studien an dem längst widerlegten Mantra „Die Schulen sind ein sicherer Ort und tragen nicht zur Virusverbreitung bei“ viel zu lange fest, anstatt rechtzeitig geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um SchülerInnen, Eltern und LehrerInnen gegen eine Ansteckung mit Covid 19 zu schützen. Aus diesen Gründen beschloss die ÖLI-UG (Österreichische Lehrer/innen Initiative - Unabhängige Gewerkschafter/innen) bei ihrer Generalversammlung die Prüfung rechtlicher Schritte gegen Bildungsminister Faßmann und Gesundheitsminister Anschober.

Daneben stellten sie in einer Resolution viele wichtige und sinnvolle Forderungen, z.B. eine Versorgung mit FFP2-Masken für alle LehrerInnen (mindestens 1Stück/Tag), Installation von Luftreinigungssystemen in den Klassen- und Gruppenräumen, Organisation des Unterrichts in Kleingruppen, Informationspflicht, gezielte Fördermaßnahmen etc.

Schule wird vielen Kindern nicht gerecht

Schon lange vor der aktuellen Corona-Krise konnte man aber deutlich sehen, dass unser Bildungssystem vielen Kindern nicht gerecht wird. Ganz im Gegenteil, Kindern, die vom Elternhaus (aus welchen Gründen auch immer) in schulischen Angelegenheiten nicht unterstützt werden, ist die Aneignung von Grundkompetenzen in Deutsch, Englisch, Mathematik, Allgemeinwissen…, und die Entfaltung ihrer anderen Talente sowieso, oft kaum möglich. Alle Kinder von heute sind aber die Gestalter unserer Gesellschaft von morgen, jedes einzelne davon ist ein wertvoller Mensch und hat das Recht auf umfassende Förderung, Erziehung und Bildung! Dafür müssen entschieden geeignete Rahmenbedingungen gefordert und gesetzlich verankert werden. Schnell umsetzen könnte man eine Senkung der Klassenschülerhöchstzahl, eine rasche Abschaffung der Deutschförderklassen zugunsten integrativer Sprachförderung mit zusätzlichen Ressourcen, Teamteaching in der Volksschule und in den Hauptfächern der Mittelschule bzw. genügend kompetentes Supportpersonal (PsychologInnen, SozialarbeiterInnen, …), kleine Fördergruppen an jeder Schule in Deutsch, Mathematik und Englisch, sowie Hausaufgabenhilfe, Lesepaten…

Gesamt- und Ganztagsschule erfordern mehr Mittel

Etwas länger dauern würden umfassendere Maßnahmen wie die Einführung einer Gesamtschule für 10 bis 14-Jährige bzw. Ganztagesschulen. Die Forderung nach einer Gesamtschule müsste unbedingt gut durchdacht und präzisiert werden, z.B. ähnlich wie in Finnland (es gibt dort fast keine Privatschulen und diese wenigen müssen den Lehrplan erfüllen und dürfen kein Schulgeld einheben), weil sonst entsteht ein starker gesellschaftlicher Trend zu diversen Privatschulen und Kinder aus ärmeren Familien haben schlussendlich noch weniger Bildungschancen als im derzeitigen System, darüber gibt es mittlerweile Studien. Dasselbe gilt auch für die Forderung nach Ganztagesschulen. Nur wenn die räumlichen und personellen Gegebenheiten wirklich kindgerecht sind, trägt eine Ganztagesschule zu einer guten Entwicklung der SchülerInnen bei. Dazu ist unabdingbar, dass es genügend große Klassen, Speiseräume, Rückzugsräume, Lern- und Spielräume, einen Garten und ähnliches gibt. Mindestens genauso wichtig sind dann noch genügend Erwachsene, die geduldig, liebe- und humorvoll mit den Kindern umgehen.

Es geht darum, dass dieses dringliche und äußerst komplexe Thema Schule nicht je nach Ideologie und persönlicher Befindlichkeit zu vorschnell nur von einem Blickwinkel aus betrachtet wird, sondern dass wir als Gesellschaft die bestmögliche Begleitung und Förderung aller Kinder als gemeinsame Verantwortung begreifen und dann miteinander die dafür notwendigen Ressourcen entschieden einfordern!

Susanne Müller
(17.12.2020