Die kurzfristige Absage des Streiks gegen die Einsparungen im Behindertenbereich muss kritisch hinterfragt werden. Umso wichtiger: Hinkommen zur Mahnwache am Dienstag, 16. Juni vor dem Landhaus, die von verschiedenen Behindertenorganisationen veranstaltet wird. 6000 Menschen mit Beeinträchtigung stehen auf Wartelisten – wir brauchen eine bedarfsorientierte und nicht eine fiskalpakt-konforme Finanzierung der öffentlichen Aufgaben!
Für 16. Juni war ein Streik der Beschäftigten im Behindertenbereich gegen die Kürzungen bei Menschen mit Behinderungen geplant. Die Gewerkschaftsführung hat diesen Streik wenige Tage davor, am Freitag, 12. Juni, unmittelbar nach einem Verhandlungstermin mit LH Pühringer und LR Jahn sowie den Trägerorganisationen abgesagt. Das Verhandlungsergebnis erschien den Gewerkschaftsfunktionären „akzeptabel“. Es gilt zunächst festzuhalten: Dass den Sparplänen der Landesregierung einige Zacken entfernt werden konnte, ist ein Verdienst der Menschen, die so zahlreich und lautstark zu den beiden von der Gewerkschaft organisierten Protestaktionen (Kundgebung am 18. März, Demonstration am 23. April) gekommen sind. Wer bei diesen Aktionen war, weiß: Das ist eine soziale und politische Kraft, getragen von der Aktionsbereitschaft der Beschäftigten, der Menschen mit Beeinträchtigung und ihren Angehörigen, weil sowohl der Leidensdruck als auch die Empörung der Betroffenen hoch ist. Dieser Aktionsbereitschaft ist es zu verdanken, dass der Landespolitik überhaupt Zugeständnisse abgerungen werden konnte.
Die kurzfristige Absage des Streik muss aber aus unserer Sicht trotzdem oder gerade deshalb kritisch hinterfragt werden:
1) Das betrifft zunächst das Ergebnis: Was die Gewerkschaft in ihren Aussendungen tunlichst verschweigt, aber in den OÖ Nachrichten (13.6.2015) nachlesbar ist: Es wird nach wie vor gekürzt – pardon – „kostengedämpft“, und zwar in der Höhe von 12,5 Millionen innerhalb von fünf Jahren. Das ist weniger als ursprünglich geplant (25 Millionen innerhalb von drei Jahren), aber man sollte doch daran erinnern: Dieses Angebot haben große Trägerorganisationen der Landespolitik bereits vor rd. zwei Monaten gemacht und es wurde damals von Gewerkschaftsseite – zurecht – als fauler Kompromiss zurückgewiesen.
2) Vor allem sollte daran erinnert werden: Selbst die Soziallandesrätin Jahn gibt zu, dass 200 Millionen MEHR (!) in diesem Bereich ausgegeben werden müssten, um die enorme Warteliste von 6.000 Menschen mit Beeinträchtigung abzubauen und ihnen das Betreuungsangebot zukommen zu lassen, das ihnen laut Chancengleichheitsgesetz zustehen würde. Bei der Demonstration am 23. April berichtete eine Angehörige davon, dass sie nach derzeitiger Lage 15 Jahre warten müsse, bis sie einen Wohnplatz für ihren Sohn bekommen würde. Und es soll daran erinnert werden, dass bereits in den letzten Jahren die Arbeitsbedingungen der KollegInnen in diesem Bereich laufend verschlechtert wurden, wie etwas Pro-Mente-Betriebsrat Johannes Reiter eindrucksvoll bei der Protestkundgebung am 18. März ausgeführt hat. Was wird sich für die Menschen auf den Wartelisten und ihre Angehörigen verändern und was für die jetzt schon oft am Limit arbeitenden Beschäftigten, wenn die „Kostendämpfung“ zwar geringer als geplant ausfällt, aber eigentlich sehr viel mehr Geld notwendig wäre, um die gesellschaftlichen Bedürfnisse in diesem Bereich zu erfüllen. Was ist unter diesen Bedingungen eine „Arbeitsplatzgarantie“ wirklich wert?
3) Es hätte also genug Gründe gegeben, den Streik wie geplant durchzuführen. Zumindest aber wäre es notwendig gewesen, das Verhandlungsergebnis breit zu diskutieren und die Entscheidung darüber die betroffenen KollegInnen selbst in einer Urabstimmung treffen zu lassen. Dass ein kleiner Kreis an Funktionären diese Entscheidung in Windeseile getroffen hat und per Medien der Basis ausrichten lässt, ist völlig unverständlich. Dutzende Male durften wir bei den Protestkundgebungen regiegemäß „Wir sind die Gewerkschaft!“ skandieren. Wenn es jedoch darum geht, so wichtige Entscheidungen wie die Durchführung eines Streiks zu treffen, werden wir zu StatistInnen degradiert.
Weiter auf die Straße gehen: Mahnwache am 16. Juni vor dem Landhaus!
Die Solidarwerkstatt hat die Kämpfe gegen die Kürzungen bei Menschen mit Beeinträchtigung von Anfang an nach Kräften unterstützt. Das tun wir auch weiter. Wir wollen hilfreich und nützlich bei der Entfaltung von Selbstermächtigung von unten sein. Deshalb rufen wir dazu auf, den Dienstag 16. Juni zu nutzen, um bei der Mahnwache vor dem Landhaus, die von der "Selbstbestimmt Leben Initiative OÖ" gemeinsam mit dem Verein Inclusa veranstaltet wird, ein deutliches Zeichen zu setzen, dass wir mit Einsparungen von „nur“ 12,5 Millionen keineswegs zufrieden sind. Wir brauchen deutlich mehr Geld, wenn die übervollen Wartelisten ernsthaft abgebaut werden sollen und ein hochqualitatives Arbeit in diesem Bereich möglich sein soll.
Achse der Solidarität
Um das durchzusetzen, brauchen es die Solidarität von Beschäftigten, Menschen mit Beeinträchtigung und deren Angehörigen. Erst diese Achse der Solidarität macht uns wirklich durchsetzungsfähig. Diese Achse der Solidarität wird vom politischen Establishment gefürchtet. Und es ist ihnen leider immer wieder gelungen, Risse in dieser Achse der Solidarität zu erzeugen: Zunächst als große Trägerorganisationen aus der gemeinsamen Demonstration mit der Gewerkschaft ausgeschert sind, weil sie sich mit Einsparungen von „nur“ 12,5 Millionen zufrieden geben wollten. Und jetzt, wo die Gewerkschaftsführung den Streik absagt, obwohl ein unter dem Strich ähnliches Ergebnis keine Verbesserung für die tausenden Menschen auf Wartelisten erwarten lässt, geschweige denn eine bedarfsorientierte Finanzierung, wie das die von 16.000 Menschen unterzeichnete „Petition für Menschenwürde und Chancengleichheit“ fordert.
Bedarfsorientierte statt fiskalpakt-konforme Finanzierung!
Wir halten es für wichtig, nicht nur gegen den Sozialabbau, sondern auch gegen die Ursache des Sozialabbaus zu kämpfen: das EU-Fiskalpaktregime, das der eigentliche Grund für die Sparpolitik ist, die nun immer stärker auf Länder- und Gemeindeebene durchschlägt. 2016 ist Oberösterreich demnach sogar verpflichtet, einen Überschuss zu erwirtschaften. Dabei ist die Bekämpfung von Staatsdefiziten nur vorgeschoben, das könnte ja auch durch entsprechende Mehreinnahmen erreicht werden. Der EZB-Chef Mario Draghi hat erklärt, worum es mit dem EU-Fiskalpakt in Wirklichkeit geht: Den Sozialstaat zu einem "Auslaufmodell" machen. Das EU-Establishment weiß, dass es diese Politik auf demokratischen Weg kaum durchsetzen kann, deshalb wurden diese neoliberalen Vorgaben in faktisch unumkehrbare EU-Richtlinien, Verordnungen bzw. Verträge gegossen, die die gewählten Parlamentarier in Budgetfragen immer mehr entmündigen.
Die Frage des Ausstiegs aus diesem Austeritätsregime darf nicht tabuisiert werden. Denn wir brauchen eine bedarfsorientierte und nicht fiskalpakt-konforme Finanzierung der öffentlichen Aufgaben!
Nachtrag: Fotos von der bunten, lauten und vielfältigen Mahnwache am 16. Juni
https://www.facebook.com/solidarwerkstatt/photos/pcb.1101140396567902/1101139099901365/?type=1&theater