ImageIn Oberösterreich stehen 6.000 Menschen mit Beeinträchtigung auf der Warteliste für einen Werkstatt- oder Wohnplatz. Die Antwort der Landespolitik: Einsparung von 25 Millionen Euro bei der Behindertenbetreuung – um das hochheilige EU-Nulldefizit im Jahr 2016 zu erreichen. Eine Verhöhnung der Betroffenen!

Das Land Oberösterreich will ab 2016 25 Millionen bei der Behindertenhilfe einsparen. Das ist eine Kürzung um rund 7% und würde massiven Qualitätsverlust bei der Betreuung der Schwächsten in der Gesellschaft bedeuten. Dabei ist es schon jetzt in diesem Bereich keineswegs zum Besten bestellt. Brigitte Swoboda, Mitglied im Landesvorstand der Lebenshilfe OÖ: „6000 Leute in Oberösterreich stehen auf einer Warteliste für einen Werkstatt- oder Wohnplatz. Damit diese Liste abgearbeitet werden kann, müsste das Budget eigentlich aufgestockt werden" (Bezirksrundschau Mining, 13.2.2015).

„Nicht mehr länger zuschauen!“

Ein betroffener Vater empört sich stellvertretend für viele andere Betroffene über die Landespolitik: „Genommen soll das Geld jetzt von denen werden, die keine Stimme haben. 25 Millionen Euro! Tausende Menschen mit Behinderungen stehen auf der Warteliste. Frustrierte Jugendliche mit Behinderung sitzen sieben Tage je 24 Stunden bei ihren geknickten Eltern sinnentleert zuhause, ohne jede Perspektive. Diejenigen, die bereits einen Platz bei einer Tagesstruktur oder einer Wohneinrichtung haben, sollen irgendwie ‚billigst untergebracht’ werden. Ohne jede fach- oder heilpädagogische Begleitung, irgendwie versorgt werden. Am kosteneffizientesten wäre wohl eine Zusammenpferchen in Schlafsälen. Wir Eltern können nicht zuschauen, wie im Behindertenbereich die finanziellen Daumenschrauben jährlich stärker angezogen werden“ (Bezirksrundschau Pabneukirchen, 3.2.2015).

Eine Verhöhnung der Betroffenen!

Bis Ende Jänner 2015 hat die „Allianz für Chancengleichheit für Menschen mit Beeinträchtigung“, in der sich Interessenvertretungen, Elternvertretungen und Trägerorganisationen zusammengefunden haben, über 16.000 Unterschriften für eine Petition gesammelt, in der es heißt: „Mit Stichtag 30.04.2014 warten 6.030 (!) Oberösterreicher/innen mit Beeinträchtigung auf eine Unterstützungsleistung aus dem Oö. Chancengleichheitsgesetz (Oö. ChG). Diese Personen haben mangels Finanzierung derzeit keine Aussicht in absehbarer Zeit eine Leistung zu erhalten. Ihnen werden dadurch unrechtmäßig und menschenrechtswidrig Leistungen aus dem Oö. ChG vorenthalten und sie dadurch am Leben behindert…. Die Allianz fordert von der Oö. Landesregierung, die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen, damit jede/r berechtigte Antragsteller/in als Mensch mit Beeinträchtigung eine seinem/ihrem Bedarf entsprechende Leistung bekommt.“ (www.allianz-chancengleichheit.org)

Just zu dem Zeitpunkt, als die Unterschriftenaktion abgeschlossen wurde, kam als Antwort der Landespolitik, dass 25 Millionen eingespart werden sollen. Das ist die sprichwörtliche Faust aufs Auge – eine Verhöhnung der Betroffenen!

Sparen für das Nulldefizit ab 2016

Es stellt sich die Frage, warum die im Landtag vertretenen Parteien gerade jetzt zu einer solchen Attacke auf die Schwächsten in der Gesellschaft blasen. Eine Antwort drängt sich auf: 2016 – also das Jahr, ab dem die Kürzungen in Kraft treten sollen – ist das erste Jahr, ab dem die Länder nach dem „Innerösterreichischen Stabilitätspakt“ verpflichtet sind, das hochheilige „Nulldefizit“ zu erreichen, genauer gesagt, sogar einen Überschuss von 0,1% des BIP zu erwirtschaften. Grundlage dieses „innerösterreichischen Stabilitätspaktes“ sind die fiskalpolitischen EU-Richtlinien bzw. der EU-Fiskalpakt . Um diese EU-Vorgaben zu erreichen, muss Oberösterreich im Jahr 2016 im Vergleich zu 2012 rd. 310 Millionen Euro „konsolidieren“. Deshalb wird eine „Spitalsreform“ auf Kosten von Beschäftigten und Patienten durchgepeitscht, deshalb werden wichtige Infrastrukturprojekte beim Öffentlichen Verkehr (z.B. Summerauer Bahn) verschleppt, und deshalb soll nun auch bei den Menschen mit Beeinträchtigung der Rotstift angesetzt werden. Trotz der höchsten Arbeitslosenrate seit sechs Jahrzehnten, werden Arbeitsplätze vernichtet, die für den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft und die Lebensqualität der Betroffenen unentbehrlich sind.

Wir brauchen Gegendruck von unten!

Dass die Landespolitik sogar im Wahljahr bereit ist, über die Interessen zehntausender Betroffener achselzuckend drüberzufahren, zeigt, welchen Druck eine sparbesessene EU-Technokratie auf die gewählten Volksvertretungen ausübt. Es wird Zeit, dass ein entsprechender Gegendruck von unten entsteht! Susanne Müller, Sonderpädagogin und Aktivistin der Solidarwerkstatt: "Schon jetzt warten in Oberösterreich viel zu viele Menschen mit Beeinträchtigungen auf  einen Arbeits- oder Wohnplatz, auf mobile Betreuung oder persönliche Assistenz. Sie haben zwar einen Anspruch auf die entsprechenden Leistungen, trotzdem werden sie vom Land Oberösterreich mit dem Hinweis auf fehlende budgetäre Mittel auf 'bessere Zeiten' vertröstet. Eigentlich müsste das Budget aufgestockt werden, doch jetzt drohen Einsparungen im Ausmaß von 25 Millionen Euro, verteilt auf die nächsten drei Jahre. Das müssen wir verhindern! Betroffene, Angehörige, alle die in diesem Bereich arbeiten und alle, die dem Abbau wichtiger sozialer Errungenschaften nicht mehr länger tatenlos zusehen wollen, sind aufgerufen, sich zusammenzuschließen und entschieden dagegen aufzutreten!"
(2.3.2015)


3. Vernetzungstreffen "Sparen bei den Schwächsten?"

Das geht uns alles an! Diese Kürzungen dürfen wir nicht hinnehmen!
Freitag, 10. April 2015, 14 Uhr
Ort: Selbstbestimmt Leben Initiative OÖ (SLI)
Bethlehemstraße 3 (Ecke Marienstraße), barrierefrei


Mehr dazu:

Rede von Johannes Reiter, Zentralbetriebsratsvorsitzender pro mente OÖ und Regionalausschuss-Vorsitzender GPA-djp work@social, bei der Gewerkschaftsdemonstration am 18. März 2015, vor dem Landhaus in Linz, gegen die Kürzungen im Sozialbereich.

Klaudia Karoliny zu „Sparen bei den Schwächsten für ein EU-Nulldefzit"