Im Gesundheitsbereich wird ein Sparpaket geschnürt. Das ist – auch – eine Machtdemonstration.
Ein Defizit der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) für 2025 von 900 Millionen wird prognostiziert. Eine Hysterie über die „explodierenden Gesundheitskosten“ bricht aus. Postwendend werden wir nun auf ein Sparpaket im Gesundheitsbereich eingestimmt: Selbstbehalt für „nicht kritische Krankentransporte“, Selbstbehalte bei orthopädischen Maßnahmen, Genehmigungspflicht mit MRT- und CT-Untersuchungen usw. Mit einem Wort: Kranksein soll teurer werden. Diejenigen, die es sich leisten können, werden noch mehr die Wahlambulanzen stürmen und sich MRT- und CT-Untersuchungen privat zahlen, diejenigen, die es sich nicht leisten können, bleiben auf der Strecke. Die Zwei-Klassen-Medizin schreitet fort.
Gesundheitsausgaben weitgehend stabil
Schauen wir uns die Zahlen an, so sieht man, dass von „explodierenden Gesundheitskosten“ überhaupt nicht die Rede sein. Die gesamten Gesundheitsausgaben sind – gemessen am Bruttoinlandsprodukt – in den letzten Jahren erstaunlich stabil geblieben, mit Corana einmal über 10 Prozent des BIP gestiegen, dann wieder gesunken und 2024 wieder leicht angestiegen. Ebenso verhält es sich mit Ausgaben der Krankenversicherung. 2024 betragen sie 5,7 Prozent, 2020 waren 5,4 Prozent. Der leichte Anstieg gemessen am BIP erklärt sich auch mit dem stagnierenden BIP als mit überbordenden Kosten.
Warum geben wir nicht endlich mehr für unsere Gesundheit aus?
Wenn etwas kritisch hinterfragt werden müsste, so ist es vielmehr: Warum steigen die Gesundheitsausgaben nicht endlich kräftiger? Die Medizin macht enorme Fortschritte in der Behandlung, das kostet. Die österreichische Bevölkerung wird älter, damit nehmen aber auch die Krankheiten und ihre Behandlung überproportional zu. Natürlich müsste es das Ziel sein, die Bevölkerung länger gesund zu halten, aber auch das erfordert zunächst einmal Investitionen in Vorbeugung. Vor allem: Um zu verhindern, dass das Gesundheitspersonal immer mehr in den Burnout getrieben und die Qualität der Betreuung gefährdet wird, brauchen wir dringend eine Aufstockung des Personals. Die AK fordert aus diesem Grund als Sofortmaßnahme österreichweit 20 Prozent mehr Personal in Krankenhäusern und in der Langzeitpflege, um die unmittelbarsten Problemlagen in den Griff zu bekommen.
Privater Reichtum versus öffentliche Armut
Der Anstieg der öffentlichen Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt sollte daher angestrebt und nicht skandalisiert werden. Eine Anhebung um mehrere Prozent (nicht Promille!) – gemessen am BIP – wäre Ausdruck, dass unserer Gesellschaft die Gesundheit aller Menschen und gute Arbeitsbedingungen der in diesem Bereich Arbeitenden etwas wert sind. Durch einen moderaten Anstieg der Sozialversicherungsbeiträge, am besten durch Umstellung von der Lohnsumme auf die gesamte Wertschöpfung, wäre das finanzierbar. Dadurch könnte die wachsende industrielle Produktivität tatsächlich in eine wachsende gesellschaftliche Wohlfahrt übergeführt werden. Könnte, denn sofort jault die Industrie auf: steigende Lohnnebenkosten gefährden die Wettbewerbsfähigkeit unserer Exporte! Die Industriellen wollen wachsende industrielle Produktivität nicht in gesellschaftliche Wohlfahrt, sondern in wachsenden privaten Profit überführen. Stofflich heißt das: Vollpumpen der Märkte vor allem mit Autos und Luxusgütern aller Art bei gleichzeitiger Austrocknung der öffentlichen Kassen z.B. für Gesundheit und Pflege.
„Deckelung“ der Gesundheitsausgaben
Die Industriellen sind in der Lage, eine ganze Heerschar von medialen und politischen Apparaten für diese bornierte Interessenslage zu mobilisieren. Aber sicher können sie sich nicht sein, dass ihnen die Bevölkerung dabei folgt. Zu widersinnig ist es, den privaten Reichtum (weniger) mit einer öffentlichen Armut zu erkaufen, die vor allem die sozial Benachteiligten trifft. Wo Demokratie aber die Industrielleninteressen einzuengen droht, schränkt man in kurzerhand die Demokratie ein. Über die Höhe der Gesundheitsausgaben soll nicht mehr die demokratisch legitimierte Politik entscheiden, sondern ein Korsett technokratischer Kennzahlen. Aberwitzig? Ja, aber in Österreich seit 2012 Realität. Die EU-Kommission entließ damals Österreich erst aus dem Defizitverfahren, nachdem sich die Regierung verpflichtet hatte, einen „Gesundheitsdeckel“ mit entsprechenden Ausgabenobergrenzen einzuführen und in einer 15a-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern zu verankern. Der damalige Gesundheitsminister Alois Stöger beschwichtigte, dass ohnedies „niemand diese Deckelung merken wird“. Seit 2012 ist die Zahl der Spitalsbetten um 15 Prozent gesunken, während die Bevölkerung um fast 9 Prozent gewachsen ist. Die Bevölkerung merkt das sehr wohl, in Form von langen Wartezeiten auf notwendigen Operationen und Untersuchungen, Mangel an Kassenärzten, Fließbandmedizin usw. Mittlerweile spricht selbst die Politik von einem „Gesundheitsnotstand“.
Machtdemonstration
Doch die „Deckelung“ des Gesundheitsausgaben wird eisern beibehalten. Vor mehr als einem Jahrzehnt eingeführt, um aus dem Defizitverfahren der EU zu kommen, darf jetzt, wo ein solchen wieder bevorsteht, schon gar nicht daran gerüttelt werden. Darum wird auch eine Debatte über zusätzliche Einnahmequellen und eine Verbesserung der Gesundheitsleistungen tabuisiert, vielmehr lässt man den Hammer eines Sparpakets mit erhöhten Selbstbehalten auf die PatientInnen niedersausen.
Dabei belasten jetzt schon Selbstbehalte die ärmeren Haushalte schwer. Das untere Fünftel gibt mehr als 12 Prozent seines Einkommens für die medizinische Versorgung aus. Die Menschen des einkommensreichsten Fünftels geben nicht einmal 5 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für gesundheitliche Leistungen aus (sh. Grafik), obwohl sie deutlich höher zusatzversichert sind und sich am privaten Gesundheitsmarkt schnellere und bessere Leistungen zukaufen können.
Noch nie war die Gleichzeitigkeit von Einsparungen im Sozial- und Gesundheitsbereich und überbordenden Ausgaben für militärische Aufrüstung und die Kriegswaffenindustrie so offensichtlich. Das ist eine Verhöhnung der Menschen und eine Machtdemonstration, wessen Interessen in EU-Europa zählen – und wessen nicht.