Gesundheit Geschaeft CartoonDer EU-Binnenmarkt übt einen steten Liberalisierungs- und Privatisierungsdruck auch im Gesundheitsbereich aus.

 

Gesundheit Geschaeft CartoonDas Gesundheitssystem ist vielfach durch die vier „Grundfreiheiten“ des EU-Binnenmarktes erfasst: Krankenhausinvestitionen (freier Kapitalverkehr), öffentliche Beschaffung von Dienstleistungen (freier Dienstleistungsverkehr), Pharma- und Medizinproduktemarkt (freier Güterverkehr), ÄrztInnen, Pflege- und Gesundheitsberufe (freier Personenverkehr). Dramatische Auswirkungen hat das vor allem auf die ärmeren (süd-)osteuropäischen Länder, die einen wahren Exodus von qualifiziertem medizinischen Personal erleben (sh. Kasten). Die Spardiktate der sog. „Troika“ (EU-Kommission, EZB, IWF) haben in einigen EU-Staaten zu einem beispiellosen Kahlschlag geführt. In Griechenland wurden die Gesundheitsausgaben seit 2008 fast um über 40% gekürzt.  

„Profitable Betätigungsfelder“

Das finanzielle Austrocknen der öffentlichen Budgets treibt zugleich die Privatisierung des Gesundheitsbereichs an. Dabei leistet der EuGH durch seine Rechtssprechung „tendenziell der Entwicklung Vorschub, dass die nationalen Gesundheitssysteme als lukrative Zukunftsmärkte gesehen werden, die profitable Betätigungsfelder für Versicherungskonzerne und private Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen bieten.“ (1) Die EU-Kommission getraut sich zwar das Sozialversicherungssystem – noch - nicht in Frage zu stellen. Solange diese sich „auf den Solidargedanken stützen“, werden sie nicht als „Unternehmen“ und damit auch nicht als verbotenes „Nachfragekartell“ aufgefasst. Im Umkehrschluss bedeutet das allerdings: Ein Abbau von Solidar-Elementen – z.B. vermehrte Selbstbehalte, Wettbewerb zwischen Krankenkassen, Aufsplitterung des Leistungskatalogs in Grund- und Wahlleistungen, usw. - erhöht die Gefahr, dass EU-Kommission und EuGH Einfallstore finden, um die Krankenkassen selbst dem Binnenmarktregime zu unterwerfen. Doch genau in diese Richtung marschiert das österreichische Gesundheitssystem auf Grund der EU-oktroyierten Sparpolitik: Bereits ein Drittel der Gesundheitsausgaben in Österreich werden privat aufgebracht: Selbstbehalte, Ambulanz- und Rezeptgebühren, Privatversicherungen, immer mehr Wahlärzte statt Kassenärzte (sh. Grafik 3). Der Anteil der privaten Investitionen im Gesundheitsbereich hat sich von rd. 20% Anfang der 90er Jahre auf ca. 40% im Jahr 2014 verdoppelt.

Damoklesschwert des EU-Wettbewerbsrechts

Das Damoklesschwert des EU-Wettbewerbsrecht hängt auch über öffentlichen Spitäler, die auf staatliche Defizitabdeckung zur Erfüllung ihrer gemeinnützigen Aufgaben angewiesen sind. Speerspitze gegen die öffentlichen Spitäler ist der Bundesverband Deutscher Privatkliniken (BDPK), der gegen die Defizitabdeckung von zwei öffentlichen Kliniken in Badem-Würtenberg klagte, weil er darin eine „Wettbewerbsverfälschung“ und „Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedsstaaten“ sieht, die gegen das EU-Recht verstoße. Diese Klage wurde zwar im März 2016 vom deutschen Bundesgerichtshof (BGH) unter bestimmten Bedingungen im Sinne der öffentlichen Kliniken entschieden. Doch damit ist keineswegs Entwarnung gegeben. Der BDPK hat bereits angekündigt, das Urteil des BGH nicht ohne weiteres zu akzeptieren, sondern nun den Ball der EU-Kommission zuzuspielen, damit diese „klärt, welche Relevanz die von ihr erlassenen europäischen Beihilferegeln tatsächlich haben sollen.“ (2) Der EuGH ist bereits 2012 zur Erkenntnis gekommen, dass öffentliche Subventionen für Krankenhäuser einer genauen beihilferechtlichen Prüfung durch die EU-Kommission zu unterziehen sind.

Gesundheit Wahlae KassenaePrivatisierungswelle in BRD

Der Bundesverband Deutscher Privatkliniken (BDPK) vertritt rund tausend private Gesundheitsunternehmen, darunter Großkonzerne wie die Helios-Gruppe (Fresenius). Seit Einführung des EU-Binnenmarkts erlebt die BRD eine regelrechte Privatisierungswelle im Gesundheitsbereich. Der Anteil der privaten Spitäler stieg von 14,8% (1991) auf über 35% (2014). Gleichzeitig sank in diesem Zeitraum die Zahl der Krankenhäuser in der BRD um fast ein Fünftel. Pro Jahr (!) schlossen im Durchschnitt 20 Häuser. Zwischen 1991 und 2014 wurde jedes vierte Bett - in Summe 165.000 Betten - abgebaut. Die Gewerkschaft verdi kritisiert, dass Mitarbeiter/innen, die vorher viele Jahre im öffentlichen Dienst beschäftigt waren, in den privaten Helios-Kliniken Gehaltseinbußen von bis zu 35 % hinnehmen mussten. Diese Konzerne machen mit der Gesundheit vor allem für die eigene Tasche „gesunde Geschäfte“. 15% Rendite sind bei Helios die Richtmarke. Die „Kriegskassen“ dieser Konzerne sind entsprechend prall gefüllt. Über die Liberalisierung im EU-Binnenmarkt und die Aushungerung der öffentlichen Budget sehen sie nun die Chance, auch in anderen EU-Staaten groß ins Gesundheitsgeschäft einzusteigen. Anfang September 2016 hat Fresenius/Helios für 5,76 Milliarden Euro den größten privaten Klinikbetreiber Spaniens Quironsalud übernommen. Auch in Österreich hat Fresenius/Helios mit der Übernahme der Aktienmehrheit an der ehemals staatlichen Vamed AG, die im Bereich Planung, Errichtung und  Betrieb von Gesundheitsprojekten bereits einen Milliardenumsatz lukriert, einen Fuß in der Tür.

Die Absicht hinter der Liberalisierung und Privatisierung des Gesundheitsbereichs hat der „Berliner Wassertisch“ treffend auf den Punkt gebracht: „Seit langem ist es das Ziel von privaten Klinikkonzernen, die öffentlichen Krankenhäuser zu übernehmen. Für sie sind Krankenhäuser ein lukratives Geschäftsmodell. Im EU-Wettbewerbsrecht sehen sie nun einen Hebel, um die Krankenhäuser finanziell derart auszubluten, so dass letztendlich einer Privatisierung nichts mehr im Wege steht. Kliniken werden der Marktlogik unterworfen. Aus gemeinwohlorientieren Institutionen der Gesundheitsversorgung werden gewinnorientierte Unternehmen, in deren Zentrum  weder die Patienten noch die Ärzte und Angestellten stehen, sondern einzig die Renditeerwartung der Aktionäre.“ (3)

Quellen:

  1.  Agnes Streissler, Auswirkung der Liberalisierung des Gesundheitswesens in Österreich, in: Wirtschaft und Gesellschaft, 3/2005
  2. BDPG, Wettbewerb im Krankenhausbereich mit zweierlei Maß? März 2016, in: www.bdpk.de
  3. http://berliner-wassertisch.info/private-vs-oeffentliche-kliniken_20160324/

21 Jahre EU Gesundheit Teil 1: Wucherndes Krebsgeschwür


Brain-Drain von medizinischem Personal

  • Seit dem EU-Beitritt sind 8.000 ÄrztInnen aus Ungarn abgewandert. Zum Vergleich: Ungarn hat derzeit ca. 31.000 ÄrztInnen. In Ungarn gab es 2004 noch 333 Ärzte je 100.000 Einwohner, heute ist die Zahl auf 295 zurückgegangen. Vor zehn Jahren waren kaum fünf Prozent der Ärzte in Ungarn älter als 65 Jahre, heute sind es 15 Prozent. 
  • Seit den 90er Jahren haben 21.000 ÄrztInnen Rumänien verlassen, alleine 14.000 seit dem EU-Beitritt. Derzeit hat das Land (noch) rd. 40.000 ÄrztInnen. Der Personalmangel im Gesundheitswesen wird auf 42.000 ÄrztInnen und PflegerInnen geschätzt.
  • In Bulgarien ging seit 2000 die Zahl der Pflegekräfte von mehr als 600 auf weniger als 450 Pfleger je 100.000 EinwohnerInnen zurück.
  • Jede/r 5. Arzt/Ärztin hat seit dem EU-Beitritt Polen verlassen. Jede/r 5. Arzt/Ärztin ist bereits älter als 70 Jahre. Entsprechend verschlechtert sich die Gesundheits-Versorgung: In Polen kommen auf 100.000 EinwohnerInnen 20 Hausarztpraxen (zum Vergleich: in der BRD sind es 140). Die Zahl der ZahnärztInnen je 100.000 EinwohnerInnen ist von 48 (1990) auf 34 (2011) zurückgegangen. Damit beginnt sich ein Teufelskreis zu drehen: 35% der Auswanderungswilligen geben das schlechte Gesundheitssystem in Polen als Motiv für ihre Emigration an.
  • (Quelle: Fluchtursachen bekämpfen, nicht Flüchtlinge; Hg: Solidarwerkstatt, 2016, guernica-Verlag)

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EU-Beitritt und seine Folgen