aerzteDie Wiener ÄrztInnenschaft mobilisiert für einen Streik in den Wiener Gemeindespitälern. Unmittelbarer Anlass ist die überfallsartige Streichung von 40 Nachtschichträdern durch den Krankenanstaltenverbund (KAV) der Gemeinde Wien.

Im Aufruf „Gemeindespitälersstreik 2016“ der Ärztinnen und Ärzte heißt es:

„Am 2. Juli 2015 einigten sich Wiener Ärztekammer, Gewerkschaft und der Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) darauf, das Wiener Spitalssystem weiterzuentwickeln.

Jetzt, ein Jahr später, hat der KAV diese Vereinbarung endgültig gebrochen.

Ohne die Ärzteschaft miteinzubeziehen, sollen weitere 40 Nachtdiensträder gestrichen werden. Außerdem sollen die Ärztinnen und Ärzte zu einem patienten-, familien- und ausbildungsfeindlichen Schichtdienst verdonnert werden. Anstatt die ursprünglich gemeinsam mit der Ärzteschaft vereinbarten Maßnahmen, wie funktionierende zentrale Notaufnahmen, einzuleiten, werden die Wiener Spitäler einfach nur kaputt gespart.

Gesperrte Abteilungen, gestrichene Posten oder reduzierte Diensträder stehen an der Tagesordnung, ohne dass flankierende Maßnahmen für die Patientinnen und Patienten gesetzt werden. Die Folgen sind eine enorme Arbeitsverdichtung für die Ärztinnen und Ärzte sowie Leistungsreduktionen wie verschobene Operationen, immense Wartezeiten und weniger Zeit für die Patientinnen und Patienten.

Da Wiens Bevölkerung wächst und die Wienerinnen und Wiener immer älter werden, ist dies eine besonders gefährliche Entwicklung. Mehr Patientinnen und Patienten brauchen eine bessere und vor allem strukturiertere medizinische Versorgung.

Stattdessen wird eine Zwei-Klassen-Medizin weiter vorangetrieben. Wer sich auf die immer weiter ausufernden Wartezeiten nicht einlassen will, muss zahlen.

Die schlechten Rahmenbedingungen führen außerdem dazu, dass den Fachärztinnen und Fachärzten schlicht die Zeit fehlt, um ihre jungen KollegInnen und Kollegen adäquat auszubilden. […]

Jetzt reicht’s! Daher fordern Wiens Ärztinnen und Ärzte:

Die Rücknahme der Schichtdienste und der Nachtdienstreduktionen, ein Bekenntnis zur Ausbildung in den Gemeindespitälern, eine Veränderung im inkompetenten und für die untragbare Situation verantwortlichen KAV-Management, sowie endlich eine Entlastung der Spitalsärzte durch vereinbarte Strukturmaßnahmen.

Das Kaputtsparen unseres Gesundheitssystems muss ein Ende haben!“

aerzte wien(Quelle: http://gemeindespitaelerstreik2016.at/ )

Sparen für den EU-Fiskalpakt

Ein Brief des KAV-Generaldirektors Udo Janßen im Mai 2016 enthüllt die Hintergründe dieser unverantwortlichen Sparpolitik. In diesem Brief wurden alle Primare angehalten, in ihren Abteilungen unverzüglich Einsparungen „im Gesamtausmaß von mindestens zehn Prozent des Ihrem Bereich zur Verfügung stehenden Gesamtausgabenrahmens“ vorzunehmen, so die Vorgabe. Die Ausgaben sollen im laufenden Jahr noch um 24,2 Millionen Euro sinken. Als Begründung wird angegeben, dass die Stadt „bis 2020 die Reduktion der erwarteten Defizite auf einen ausgeglichenen administrativen Haushalt ohne Neuverschuldung“ herunterfahren muss. Also die Vorgaben des EU-Fiskalpakts, der über den innerösterreichischen Stabilitätspakt auch zur Vorgabe für Länder und Gemeinden gemacht wurde. Insgesamt sollen „im gesamten Konzern Wien“ 886 Millionen bis Ende 2020 aufgrund dieser Fiskalpaktsvorgaben „konsolidiert“ werden, wobei diese „primär ausgabenseitig und daher durch Ausgabenreduktionen bzw. Einsparungen erfolgen“ sollen. Zusätzlich zu diesen Aufforderungen wurde „Presse“-Informationen zufolge ein sofortiger Aufnahmestopp in den Spitälern verhängt. Das bedeutet, dass kaum noch Stellen ausgeschrieben und befristete Verträge nicht verlängert werden. Sogar Karenzstellen sollen nach Möglichkeit nicht nachbesetzt werden. (Quelle: Presse, 12.5.2016).

Dabei leiden die KAV-MitarbeiterInnen schon seit Jahren unter einem enormen personellen Mangel, der die Versorgungssicherheit der PatientInnen zunehmend gefährdet. Die Gewerkschaft hat deshalb im Frühjahr ein Forderungspaket zusammengetragen, das einen Mehrbedarf von 180 Millionen vorsieht. Die Antwort des KAV-Generaldirektors, über 24 Milionen zu kürzen, ist da die sprichwörtliche Faust aufs Auge.

Solidarität mit GesundheitsarbeiterInnen!

Damit bestätigt sich immer mehr, wovor Solidarwerkstatt und DIDF in ihrer gemeinsamen Kampagne gegen die sog. „Gesundheitsreform“ im Jahr 2013 gewarnt haben. Diese Gesundheitsreform sieht – als direkte Konsequenz des Fiskalpakts - vor, die Ausgaben im Gesundheitsbereich mit dem BIP-Wachstum zu „deckeln“, was zu Einsparungen von 11 Milliarden gegenüber den Bedarfsprognosen bis zum Jahr 2020 nach sich ziehen soll. Es zeigt sich immer mehr, dass damit der Marsch in die Zweiklassen-Medizin beschleunigt wird. Die Beruhigung des damaligen Gesundheitsministers Stöger, „niemand werde die Reform merken“, entpuppt sich für die MitarbeiterInnen im Gesundheitsbereich und ihre PatientInnen immer mehr als blanker Zynismus. Für die einen bedeutet diese Sparpolitik Überarbeitung und burn-out, für die anderen lange Wartezeiten und schlechter werdende Versorgung – es sei denn, man verfügt über das nötige Kleingeld.

Die Solidarität mit Kampfmaßnahmen von ÄrztInnen und Pflegepersonal gegen diese Sparpolitik ist daher im unmittelbaren Interesse der PatientInnen.
(10.8.2016)