Rede von Elke Ravelhofer, Sonderpädagogin aus Oberösterreich, bei der Kundgebung am 15.6.2023 im Rahmen des österreichweiten Aktionstages Bildung am Martin Luther-Platz in Linz.
Gedanken zur Inklusion, es sind nur einige, zu sagen gäbe es so viel mehr. Inklusion meint EINE Gemeinschaft ALLER Lernenden. Dazu braucht es ein Willkommen heißen ALLER Lernenden.
Das heißt Unterstützung zur bestmöglichen Entwicklung und Leistungsfähigkeit.
Das heißt Haltung und Wertschätzung im Hinblick auf Heterogenität zu zeigen.
Das heißt Anerkennen der Ressourcen und Stärken jeder Einzelnen und jedes Einzelnen.
Das heißt aber auch Bildungsplanung, Rahmensetzungen im Personellen, Finanziellen und Strukturellen, die das ermöglicht.
Das heißt Willen zur Realisierung und entsprechende Inklusions-Kompetenz in den Ebenen der Entscheidungsträger.
Dinge, die ich in unserer Bildungspolitik schmerzlich vermisse.
Inklusion und damit Teilhabe sind keine verpeilten Träumereien einer Sonderpädagogin, wie mir:
Es ist ein Menschenrecht.
Es gibt ein Recht auf Bildung.
Wir haben Schulpflicht für alle.
Bildung ist kein Gnadenakt!
Inklusion unterstützt das Lernen – das ist evidenzmäßig gesichert. Doch Evidenzbasierung ist ja etwas, das unserer Schulpolitik eher fremd scheint. Österreich hat sich etwa per Nationalrats-Beschluss verpflichtet, die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen und ein inklusives Schulsystem zu schaffen. Und das schon 2008 - Geschehen bisher? NIX! 15 Jahre glorreiches Nichtstun. Wie RESPEKTLOS!
Inklusion gibt es nicht umsonst und schon gar nicht gratis.
Inklusion braucht bedarfsgerechte Supportpersonal
etwa durch Schulsozialarbeiterinnen, eine greifbare psychologische Unterstützung oder spezialisierte BetreuungslehrerInnen. Hier wird gekürzt oder ganz abgebaut. Zudem fahren wir hier auch ein teures und teileffizientes zweifachen Doppelgleisigkeitssystem (MS und AHS- Unterstufe / Sonderschulen – Integrationsklassen). Ressourcen werden zerteilt. Und Kinder und Jugendliche benachteiligt. Divide et impera! LehrerInnen und Schulleitungen werden in schwierigen Kontexten wieder einmal mehr sich selbst überlassen und kommen an den Rand der Belastbarkeit!
Inklusion braucht bedarfsgerechte Strukturen
Wir stecken in einem kleingeistigen Formalismus und Föderalismus fest, deren Verantwortliche keinen Bezug zu den unterschiedlichen Bedürfnissen in den Klassen haben.
Ein Ungleichheitssystem, in der Vernetzung nicht erwünscht ist, so Vieles an x–Stellen, x–mal extra entworfen, konzipiert, besprochen und oft auch liegen gelassen. Ressourcenverschwendung… Lösung nicht in Sicht. Integrationsstatus ist nicht gleich Integrationsstatus–Status. (KIGA, Schule, Hort – überall anders definiert.) Diese Liste ließe sich lange fortsetzen.
Inklusion braucht bedarfsgerechte Ressourcenzuteilung
Wir können nicht einfach nach den Bedarfen der Kinder gehen, ja wir müssen sie „labeln“.
Gerne würden wir es anderes haben, sind hier aber festgelegt in einem System. Unser Werkzeug im System heißt Sonderpädagogischer Förderbedarf (SPF). Und hier wird es wirklich spannend.
Dazu ein paar Zahlen aus dem Jahr 2021 (1). Man geht von einer tatsächlichen SPF–Quote von etwa 5,7 % also fast 6 Prozent aus. Haben wir die im Schulalltag? – nein. Sie liegt bei 2,7 % und sie ist gedeckelt. Da geht nichts drüber.
Seit 2001 wurde die Quote für SPF–Stunden nicht mehr erhöht - seit 22 JAHREN!
Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern legt das seit über 20 Jahren nicht anders fest.
Statistisch können statt 66.300 Schülerinnen und Schüler, die es brauchen, nur 30 800 ressourcenmäßig versorgt werden. Es werden also im Schnitt 35.500 SchülerInnen die unterstützende Maßnahme des SPF vorenthalten und da sind die vollen Coronazeiten, der Ukrainekrieg und ihr Impact noch nicht mitbedacht.
35.500 Schülerinnen, das sind umgerechnet 11.100 Lehrerposten. Wenn ich diese Posten mit dem entsprechenden Finanzfaktor für einen Lehrer:innendienstposten hochrechne, ergibt das die Summe von 531.552.000 Euro für ein ganzes Jahr. Das heißt: mehr als eine halbe Milliarde Euro wird seit vielen Jahren jedes Jahr vorenthalten. Uns allen und vor allem den Kindern und Jugendlichen, denen es zusteht. Vom Fehlen inklusiver Ausbildungspflicht oder zusätzlichen Schuljahren in diesem Kontext oder anderen Problemfeldern kann ich hier nicht sprechen.
Wir sind gezwungen, Mangel zu verwalten und zu bespielen, man hofft auf unser wieder einmal - wie so oft - auf unser duldsames Arbeiten, auf das sich vertrösten Lassen und Schweigen. Aber diesen Gefallen tun wir heute nicht! Wir wollen, wir dürfen niemanden zurücklassen! Nur gemeinsam kann Gutes gelingen!
Anmerkungen:
(1) Quelle: Kienberger, P. (2021). Inklusion ist nicht der Weg, sondern das Ziel. aps 3/21, (3- 6)