ImageAm 10. Juni lud die Werkstatt Frieden & Solidarität gemeinsam mit der “Uni-brennt”-Bewegung und der KIV/UG Univ. Prof. Dr. Rupert Vierlinger zum Vortrag “Plädoyer für eine echte Gesamtschule!” an der Linzer Universität ein. Rupert Vierlinger war langjähriger Direktor der Pädagogischen Akademie der Diözese Linz und ist Autor des Buches “Steckbrief Gesamtschule” (Böhlau, 2009). Im folgenden bringen wir ein Interview mit ihm, das in den OÖ Nachrichten am 11.06.2010 erschienen ist.

Frage: Sie touren trotz fortgeschrittenen Alters durch die Lande und machen sich für die Gesamtschule stark. Warum dieses große Engagement?

Vierlinger: Weil eine echte Gesamtschule unseren Kindern das zurückgibt, was ihnen unser traditionelles Schulsystem geraubt hat. Nämlich das Vorbild. Bei uns sortiert man schon die Zehnjährigen in Gymnasiasten und Hauptschüler. Und die Hauptschüler sortiert man noch einmal in Leistungsgruppen. Und in der dritten Leistungsgruppe sammeln sich die Schwachen. Die werden richtig gebündelt. Da spiegelt sich der desinteressierte Blick des einen im desinteressierten Auge des anderen. Und das Ergebnis ist: null Bock, völliges Desinteresse, weil es kein Vorbild gibt.

Frage: In durchmischten Klassen mit starken und schwachen Schülern wäre das anders?

Vierlinger: Ganz sicher. Jede Mutter weiß, was ein gutes Vorbild für ihr Kind bedeutet. Sie tut alles, um dieses Vorbild zum Freund zu machen. Sie bewirtet es, weil sie weiß, wie wichtig es für die positive Entwicklung ihres Kindes ist. Unser Schulsystem aber verzichtet auf das gute Vorbild. Man lässt einen großen Teil der Schüler auf dem Weg liegen, bündelt sie mit anderen Schwachen.

Frage: Gegner argumentieren, dass das Leistungsniveau in Gesamtschulen deutlich sinken würde.

Vierlinger: Das stimmt nicht, auch wenn es immer wieder behauptet wird. Seit 30 Jahren beschäftige ich mich mit weltweiter empirischer Forschung zu diesem Thema. Die Furcht, dass das Niveau nach unten geht, ist aus der Luft gegriffen. Vielmehr ist die Mischung von Starken und Schwachen auch wichtig für die Persönlichkeitsbildung. Der Talentierte lernt Rücksicht zu nehmen und sieht, dass die schulische Pechmarie eine menschliche Goldmarie sein kann.

Frage: Sie kommen selber aus VP-nahen Kreisen. Warum lehnen so viele dort die Gesamtschule strikt ab?

Vierlinger: Weil sie Verfechter der Tradition sind. Dieses Verfechten kann ein Hüten der Flamme sein, aber auch ein Bewahren der Asche. In der Schulpolitik hütet die VP keine Flamme, sondern bewahrt in erster Linie Asche. Das ist schade, denn unser traditionelles Schulsystem birgt ständig die Gefahr für Kinder, dass sie ausgeschlossen werden. Und dies ist das Schlimmste, das man einem Menschen zufügen kann: Ihm zu zeigen, dass er unerwünscht ist.


Ein ausführliches Plädoyer von Dr. Rupert Vierlinger siehe
http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&view=article&id=276&Itemid=80