In der neuen Gesundheitskasse klafft ein großes finanzielles Loch. Der Grund ist das Zusammentreffen von Coronakrise und der vermurksten Sozialversicherungsreform von türkis-blau. Die Coronakrise hat bereits zu empfindlichen Leistungskürzungen bei Krankenbehandlungen geführt. Die Solidarwerkstatt Österreich fordert die Regierung auf, sofort den Gesundheitsbereich entsprechend des wirklichen Bedarfs auszufinanzieren.
Die Coronakrise trifft auch die Sozialversicherung hart. In der Österreichischen Gesundheitskasse fehlen aufgrund der gestiegenen Arbeitslosigkeit 400 Millionen an Beiträgen, weitere 400 Millionen fehlen aufgrund von Stundungen der SV-Beiträge der Arbeitgeber. Auch wenn ein Teil davon zu einem späteren Zeitpunkt bezahlt wird, ein großes Loch bleibt. Der Chef der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) Andreas Huss erklärt, dass die ÖGK alleine für die Aufrechterhaltung des normalen Betriebs heuer 600 Millionen bis eine Milliarde an Zuschuss aus dem Bundesbudget benötigt.
Drei Milliarden Loch droht
Als besonders fatal erweist sich nun, dass diese Folgen der Coronapandemie mit den Auswirkungen der total vermurksten türkis-blaue Sozialversicherungsreform zusammentreffen. Diese Sozialversicherungsreform hat nicht nur die ArbeitnehmerInnen in ihrer eigenen Kasse entmachtet, sie kommt den Versicherten auch finanziell teuer zu stehen. Laut ÖGK-Chefs Andreas Huss droht der Gesundheitskasse in den nächsten fünf Jahren ein Drei-Milliarden-Loch. Hier addieren sich die erhöhten Kosten durch die Zentralisierung der Kassen mit den Mehrbelastungen, um z.B. Geschenke an die Großindustrie zu verteilen (Senkung des AUVA-Beitrags) oder private Schönheitskliniken zu subventionieren, nachdem diese Spenden an blau-türkis abgeliefert haben. Andreas Huss: Das 3-Milliarden Loch sei „zwar ein absolutes worst-case-Szenario“. Sollte es aber dazu kommen, „dann würde das bedeuten, dass jede dritte Kassenstelle nicht mehr zu finanzieren wäre.“ (Wiener Zeitung, 14.8.2020).
„Wenn man nicht gerade ein Messer im Bauch stecken hat, wird man abgewiesen“
Bei der Finanzierung der Gesundheitskasse ist jedenfalls Feuer am Dach. Die Beteuerungen von Gesundheitsminister Anschober, es werde keine Leistungskürzungen geben, sind schon jetzt nicht haltbar. Aufgrund der knappen Ressourcen hat es bereits jetzt eine Vielzahl von – auch tödlichen - Leistungskürzungen im Gesundheitsbereich gegeben. Dafür gibt es viele Hinweise:
- So berichtet die Gesundheit Österreich Gmbh, dass im Frühjahr die Versorgung von Menschen mit Krebs oder Krebsverdacht um 20% reduziert wurde (1). Die Zahl der Brustkrebsoperationen ging von rund 500 in Österreich im März 2020 (ähnliches Niveau wie 2019) auf etwa 350 im Mai zurück, sie steigt seither nur langsam. Als Grund wurde genannt, dass Diagnostik und Mammografien verschoben wurden. PatientInnen, die wegen des Verdachts auf Krebs Punktierungen brauchten, wurden im Frühjahr auf unbestimmte Zeit vertröstet. Der jüngste Hilferuf des Vaters eines krebskranken Kindes angesichts der „katastrophalen Zustände“ in der Onkologie am Linzer Uni-Med-Klinikum (2) zeigt, dass es auch derzeit an allen Ecken und Enden fehlt.
- Die Versorgung mit Herzinfarktoperationen wurde im Frühjahr um 25% reduziert (1). Dass das nicht folgenlos geblieben ist, zeigt eine alarmierende Studie der MedUni Graz: Die Zahl der Herzinfarkttoten in der Steiermark ist zur Zeit des Lockdowns um 80% nach oben gegangen (4).
- Schon vor der Coronapandemie mussten viele Menschen oft lange auf notwendige Operationen warten. Die Pandemiekrise hat das weiter verschlimmert. So berichtet die OÖ-Gesundheitsholding, dass Gelenks- und Hüft-OPs verschoben werden, „solange der Patient nicht unerträgliche Schmerzen hat.“ (3) „Wenn man nicht gerade ein Messer im Bauch stecken hat, wird man abgewiesen“, so der Onkologe Stefan Wöhrer (3). Auch die Nachbetreuung würde aktuell massiv leiden. Stefan Wöhrer: „Patienten werden mit offenen Wunden entlassen, da wird es zu Infektionen und Komplikationen kommen.“ (3)
- Schon vor der Krise erhielten viele Menschen mit psychischen Problemen keine ausreichende Unterstützung. Auch diese Situation hat sich deutlich verschärft. Eine repräsentative Studie zu den psychosozialen Folgen der Corona-Krise kommt für Wien zum Ergebnis, dass sich bei mehr als einem Viertel (27 Prozent) sich die psychische Gesundheit während der Pandemie verschlechtert hat. 15 Prozent gaben an, zuvor keine psychischen Probleme gehabt zu haben. (4)
- Immer deutlicher wird auch, auf wessen Rücken die Kürzungen im Bereich der Unfallversicherung ausgetragen werden. Die Arbeiterkammer OÖ kritisierte am 18.6.2020 bei einer Pressekonferenz, dass Opfern von Arbeitsunfällen immer häufiger Versehrtenrenten streitig gemacht werden. Es werde gegenüber den AUVA-Versicherten eine „deutlich härtere und restriktivere Gangart eingelegt.“ „Für viele Versicherte wird der Antrag auf die zustehende Leistung zu einem zermürbenden Hürdenlauf“, beklagt AK-Präsident Dr. Johann Kalliauer (5).
Ausfinanzierung unserer Gesundheit nach dem Bedarf!
Neben der Erhöhung des Arbeitslosengeldes und existenzsichernde Soforthilfen für KMUs und EPUs ist die sofortige Ausfinanzierung des Gesundheitsbereichs eine der wichtigsten Soforthilfen, die die Regierung jetzt zu leisten hat. Das Defizit der Gesundheitskasse muss sofort abgedeckt werden, bevor sich die Leistungen weiter verschlechtern. Unsere Gesundheit muss entsprechend des Bedarfs finanziert werden – und nicht entsprechend des Kostendeckels, der aufgrund des EU-Fiskalpakts ab 2013 unserem Gesundheitsbereich aufgesetzt wurde. Denn auch hier geht es um Existenzen – im allzu wörtlichen Sinn.
Gerald Oberansmayr
(12.10.2020)
Quellen:
(1) Siehe Presse, 19.8.2020
(2) Kronen-Zeitung, 11.10.2020
(3) Addendum, 26.3.2020
(4) Der Standard, 6.10.2020
(5) AK OÖ, in: OTS, 18.6.2020