Die Alarmmeldungen aus unseren Spitälern häufen sich: Personalengpässe an allen Ecken und Enden. Jetzt muss endlich das große Tabu – die vor einem Jahrzehnt begonnene Deckelung der Gesundheitsausgaben – aufgebrochen werden. Sonst droht eine gute Gesundheitsversorgung zu einem „Luxusgut“ zu werden, wie ExpertInnen warnen.
Die Berichte über unzumutbare Zustände in österreichischen Spitälern häufen sich: Helmuth Freundenthaler, Betriebsrats-Vorsitzender des Keplerklinikum MedCampus Linz, dem zweitgrößten österreichischen Spital, schlägt Alarm: „Das Boot ist am Kentern, die Leute sind am Limit.“ (Quelle hier) Anfang des Jahres brachte der ORF die Schilderungen eines Mediziners aus Oberösterreich, der von „nahezu untragbaren Zuständen“ und einem "noch nie dagewesenem Ansturm auf die Notfaufnahme" berichtete. Patienten würden oft stundenlang mit Schmerzen herumliegen und würden lebensrettende Therapien erst "stark verzögert" erhalten, heißt es in einer Stellungnahme an den ORF (heute, 4.1.2023).
„Extrem triagieren“
Ende des Vorjahres warnte die Wiener Ärztekammer vor der Situation in Wiener Spitälern: Wiener Ärzte müssen „extrem triagieren“. „Leute liegen auf Gängen in Betten und sterben.“, so dramatisch schildert Dr. Stefan Ferenci, Obmann der Kurie angestellte Ärzte und Vizepräsident der Ärztekammer für Wien, am 13.12.2022 die Situation bei der Präsentation des zweiten Teils der Wiener Spitalsumfrage. In dieser Studie gaben drei Viertel der Spitalsbeschäftigten an, unter einer hohen Arbeitsbelastung zu leiden, 41 Prozent sprechen sogar von einer „sehr hohen Arbeitsbelastung“. (Quelle: medonline.at, 14.12.2022)
„Luxusgut“
Vor kurzem trat die Rechtsexpertin Karin Prutsch mit beunruhigenden Informationen aus steirischen Krankenhäusern an die Öffentlichkeit. Sie ist eine Strafverteidiger des Landes und Spezialistin im Bereich Arzthaftung sowie Patientenrechte. Prutsch: "Aufgrund meiner Erfahrungen gehe ich davon aus, dass dies erst der Anfang ist von einer nicht mehr vollständig umsetzbaren gesundheitlichen Versorgung für alle Menschen! Der Ärztemangel wird in den nächsten Jahren noch größer werden. In etwa zehn Jahren – so meine Einschätzung – wird die gesundheitliche Versorgung ein Luxusgut sein, das nicht mehr für jeden zugänglich sein wird. Ich sehe im Rahmen meiner 20-jährigen Tätigkeit in diesem Bereich in den letzten zwei Jahren eine starke Veränderung was die Durchsetzung von Ansprüchen für Patienten gegenüber Ärzten bzw. Rechtsträgern von Krankenhäusern betrifft. Bis vor einigen wenigen Jahren gab es derartige Fälle nur vereinzelt", erklärt die Steirerin (Quelle: Heute, 14.3.2023).
Die Juristin gliedert die sich häufenden Probleme folgendermaßen auf:
- PatientInnen, die eine gewisse klinische Beschwerdesymptomatik haben, werden nicht mehr stationär aufgenommen (Personalmangel und damit einhergehend Bettenmangel).
- PatientInnen werden von stationären Aufenthalten zu früh entlassen. Diese unzureichende diagnostische Abklärung und medizinische Versorgung habe in vielen Fällen dazu geführt, dass Patienten nur wenige Tage später als absoluter Notfall (wieder) stationär aufgenommen werden hätten müssen, eine lebensrettende Notoperation durchgeführt werden musste oder im schlimmsten Fall auch Patienten verstorben seien.
- PatientInnen werden einfach nur ambulant betreut bzw. mit Schmerzmittel versorgt und ohne weitergehende diagnostische Abklärung (die notwendig wäre) nach Hause geschickt werden.
- Klinische Beschwerden, die noch nicht (als eine schwere Erkrankung) diagnostiziert wurden, da die Untersuchungen dafür noch nicht durchgeführt wurden, werden durch monatelange Wartezeiten und auch dann mit weiteren Terminverschiebungen erst verspätet diagnostisch abgeklärt werden. So würden Diagnosen wie auch Krebserkrankungen oft erst ein halbes Jahr bis zu ein Jahr später diagnostiziert, obwohl die klinischen Beschwerden einer Abklärung bedurft hätten. Die Behandlung erfolge damit zeitverzögert und führe dazu, dass bestimmte Behandlungen nicht mehr möglich sind.
Das große Tabu: 10 Jahre „Deckelung“ der Gesundheitsausgaben
Die Berichte über diese Missstände in unserem Gesundheitssystem häufen sich, eine wesentliche Ursachen wird jedoch weitgehend tabuisiert: Vor einem Jahrzehnt, im Jahr 2012, begann die „Deckelung“ der Gesundheitsausgaben. Gesundheitsausgaben dürfen seither maximal im Ausmaß des Bruttoinlandsprodukts steigen. Aufgrund verschiedener Entwicklungen (z.B. wachsender Kosten der modernen Medizin, zunehmenden Alterung und daher auch zunehmende Behandlungsbedürftigkeit der Bevölkerung) hält sich aber der medizinische Bedarf blöderweise nicht an solche technokratischen Vorgaben. Die Folge: Knappheit und Engpässe in unseren Spitälern an allen Ecken und Enden. Im letzten Jahrzehnt (2012 bis 2021) ging die Zahl der Spitalsbetten um 5.481 Betten zurück, ein Minus von 12 Prozent. Da aber in diesem Zeitraum die Bevölkerung in Österreich deutlich wuchs, reduzierte sich die Zahl der Betten pro Kopf noch deutlich – von 5,85 auf 4,64 Betten je 1000 Einwohner – ein Minus von fast 17 Prozent. Selbst in den Coronajahren setzte sich dieser Sinkflug fort.
Warum werden die unmenschlichen Folgen dieser „Gesundheitsdeckelung“ nicht thematisiert? Vielleicht weil sie maßgeblich mit Vorgaben der EU-Kommission zusammenhängen? Die EU-Kommission erhielt zwischen 2010 und 2012 eine Reihe neuer rechtlicher Instrumente, um die Budgetpolitik der EU-Staaten zu bevormunden (EU-Sixpack, EU-Twopack, Fiskalpakt), um sie auf einen Austeritätskurs zu zwingen. 2012 befand sich Österreich nämlich im „Defizitverfahren“ der EU. Einer der Bedingungen, um daraus entlassen zu werden, war die „Deckelung der Gesundheitsausgaben.“ In den Folgejahren wurde die EU-Kommission nicht müde, in ihren Länderberichten den Abbau der Spitalsbetten von Österreich einzumahnen.
Das Richtige deckeln!
Dieses Tabu muss endlich aufgebrochen werden. Die „Deckelung“ der Gesundheitsausgaben muss endlich beendet werden! Die derzeitige Diskussion um einen neuen Finanzausgleich ist die Gelegenheit, um mit der Verrücktheit Schluss zu machen, unser wichtigstes Gut, unsere Gesundheit, unter die Austeritätsknute zu zwingen. Wir brauchen Gesundheitsausgaben, die sich am realen Bedarf und nicht an technokratischen Vorgaben ausrichten. Nicht unsere Gesundheit gehört „gedeckelt“, sondern das, was unserer Gesundheit schadet und unser Überleben als Menschheit bedroht: Ausstoß von Treibhausgasen, Straßenneubau, Autoindustrie, Flugreisen, Transitverkehr, Verpackungsmüll, klimafeindliche Produktionen und – last but not least – die immer aufreizendere soziale Ungleichheit in unserer Gesellschaft.
(März 2023)
Bitte weiterhin unterstützen:
Online-Petition: WEG MIT DEM DECKEL! Gesundheit für alle statt Zwei-Klassen-Medizin! >> Hier unterschreiben!