Die Meldungen aus dem österreichischen Gesundheitsbereich sind zunehmend besorgniserregend. Trotzdem spricht kaum jemand das große Tabu an, das maßgeblich für diese Misere verantwortlich ist: die 2012 eingeführte „Deckelung“ der Gesundheitsausgaben.

2.775 Spitalsbetten gesperrt

Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht besorgniserregende Berichte aus den Spitälern nach außen dringen. Im Linzer Kepler Universitätsklinikum Linz, dem größten oberösterreichischen Spital, hat sich die Zahl der wegen Personalmangels gesperrten Betten gegenüber dem Vorjahr von 140 auf 220 erhöht. Das sind 12 Prozent der 1.800 Betten. In acht Wiener Kliniken sind über 700 Betten gesperrt, rund 13,5 Prozent der Gesamtkapazität. Laut Gewerkschaft Younion und GÖD sind 2023 österreichweit 2.775 Krankenhausbetten gesperrt, weil das notwendige Personal fehlt (1). Zum Vergleich: Das sind mehr Betten als das größte Spital Österreich, das Wiener AKH, anbietet. Die Folgen dieser Entwicklung liegen auf der Hand: Lange Wartezeiten auf Operationen und Untersuchungen, Überlastung der Beschäftigten.

Bevölkerung plus 17%, Kassenärzte plus/minus Null

Auch im niedergelassenen Bereich fehlt es an vielen Ecken und Enden, vor allem der Mangel an Ärztinnen und Ärzten mit Kassenvertrag wird immer spürbarer. Ein Blick in die Statistik belegt das: Von Beginn der Datenerfassung 1996 bis 2020 ist die Zahl der AllgemeinmedizinerInnen mit einem Kassenvertrag laut Ärztestatistik mit knapp 4.000 ungefähr gleich geblieben (2). Im selben Zeitraum ist die Bevölkerung aber um rund 17 Prozent gewachsen. Laut einer Umfrage von profil spüren das zwei Drittel der Menschen in Österreich in ihrem persönlichen Alltag (3). Ein Beispiel aus Linz: Der Linzer Süden mit 55.000 BewohnerInnen verfügt über einen einzigen Kinderfacharzt mit Kassenvertrag. Gleichzeitig boomen die Wahlärzte. Diese sind aber für viele kaum erschwinglich. Denn von der Gesundheitskasse werden nur 80% jener Kosten refundiert, die ein Vertragspartner für diese Leistung erhalten hätte. Da WahlärztInnen ihre Honorarkosten frei bestimmen können, ist die Auswirkung aufs Geldbörserl erheblich. Ein Wahlarztbesuch kostet im allgemeinmedizinischen Bereich zwischen 80 und 120 Euro, im fachmedizinischen Bereich zwischen 150 und 200 Euro. Über die Gesundheitskasse werden real zwischen 10 und 20 Prozent refundiert.

Das Resultat ist eine Zwei-Klassen-Medizin. Wer es sich leisten kann, weicht in Richtung Wahlarzt/-ärztin aus. Wer nicht, hat ein hohes Risiko, lange warten oder lange fahren zu müssen bzw. mit Fließbandmedizin abgefertigt zu werden.

Fast ein Viertel der Gesundheitsausgaben bereits privatisiert

Bei den Finanzausgleichverhandlungen, die derzeit zwischen den verschiedenen Gebietskörperschaften laufen, geht es nicht zuletzt um die Zukunft des Gesundheitswesens. Zwei diesbezügliche Meldungen der letzten Wochen sind bemerkenswert. So kritisiert Andreas Huss, Arbeitnehmer-Vertreter in der Österreichischen Gesundheitskasse, dass mittlerweile 23% der gesamten Gesundheitskosten von den Versicherten privat aus der eigenen Tasche zu zahlen sind. Die Schlussfolgerung von Huss: „Das ist für ein hochentwickeltes Gesundheitssystem viel zu viel und somit untragbar, hier muss endlich der Staat mit höheren Zahlungen aus dem Steuertopf nachziehen. Gute Gesundheitsversorgung darf nicht zu einem Privileg der wohlhabenderen Menschen werden – dafür müssen wir jetzt auch im Finanzausgleich sorgen!“ (4)

Ärztekammer fordert plus 5,3 Milliarden im Spitalsbereich

Aufhorchen lässt auch eine Wortmeldung der Österreichischen Ärztekammer (ÖAK). Um den Personalmangel in den Spitälern in Angriff zu nehmen, fordert ÖÄK-Vizepräsident und Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte, Harald Mayer, in den Finanzausgleichsverhandlungen eine kräftige Aufstockung der Mittel. Mayer: „Unseren Berechnungen zufolge bräuchten wir für alle genannten Schritte eine Aufstockung des Budgets für den spitalsambulanten sowie stationären Bereich von jährlich 5,3 Mrd. Euro. Das entspricht rund zehn Prozent der Gesundheitskosten. Das sollten uns unsere Gesundheit und die Versorgung in den Spitälern schon wert sein.“ (5) Der Kontrast mit dem Angebot der Regierung in den Finanzausgleichsverhandlungen ist gravierend: Diese bietet gerade einmal zwei zusätzliche Milliarden für den gesamten Bereich von Gesundheit und Pflege.

„Abschaffung von Deckelungen“

Die Ärztekammer ist auch der bislang einzige Player, der den Elefanten im Raum anspricht, wenn es um die Finanzausgleichsverhandlungen im Gesundheitsbereich geht. So fordert Harald Mayer eine „Abschaffung der Deckelungen, um den Ärztemangel entgegenzuwirken.“ (5) Seit 2012 sind die Gesundheitsausgaben in Österreich mit einer Art. 15a-Vereinbarung zwischen Bund, Ländern und Sozialversicherung „gedeckelt“, d.h. an rigide Ausgabenobergrenzen gebunden, die sich an der Entwicklung des BIP orientieren statt am Gesundheitsbedarf der Bevölkerung. Da diese Deckelung auf Druck der EU-Kommission im Rahmen des EU-Fiskalpakts (unter einem sozialdemokratischen Gesundheitsminister) eingeführt wurde, gehört diese Deckelung zu den großen Tabuthemen.

Gerade dieses Tabu aber müssen wir knacken, wenn wir aus der Misere des österreichischen Gesundheitswesens herausfinden wollen. Mit dem Offenen Brief, „Weg mit dem Deckel – Gesundheit für alle statt Zwei-Klassen-Medizin!“, den wir an alle VerhandlerInnen bei den Finanzausgleichsverhandlungen richten, will die Solidarwerkstatt Österreich dazu beitragen. Mit diesem Thema werden wir uns auch bei der Menschenkette des ÖGB gegen die hohe Inflation am 20. September in Wien einbringen. Denn neben höheren Löhnen und Mietpreisdeckelungen brauchen wir auch eine massive Erhöhung der öffentlichen Budgets für Gesundheit und Pflege. In Zeiten hoher Inflation gilt umso mehr: Den armen Staat können sich nur die Reichen leisten!

Gerald Oberansmayr
(September 2023)

Quellen: