Wenn bei jemandem Krankheitssymptome festgestellt werden, dann macht es wenig Sinn nur die Symptome zu bekämpfen und nicht auch die Ursachen. Das wissen wir alle. Prävention, Ursachensuche und -bekämpfung sind angesagt. Und es ist durchaus auch sinnvoll darüber nachzudenken, was wirklich gesund, was wirklich krank ist - oder ob die Grenzen da nicht fließender sind, als gemeinhin angenommen wird.
Ich frage mich, ob es sich mit dem Sozialstaat nicht genauso verhält wie mit der Gesundheit und der Krankheit. Wir müssen feststellen, dass ständig versucht wird, das soziale Netz zu durchlöchern oder notwendige Schritte des Ausbaus nicht zu setzen. So soll - begründet mit ressentimentgeladenen Argumenten - die Mindestsicherung eingeschränkt werden; damit wird nicht nur den unmittelbar betroffenen Menschen die - ohnehin bescheidene - Existenzgrundlage entzogen, sondern auch Druck auf die Löhne gemacht und die Entwicklung eines Niedriglohnsektors vorangetrieben. Oder: Tausende behinderte Menschen warten auf Persönliche Assistenz oder Wohnplätze. Es passiert nichts außer schöne bedauernde Worte, dass kein Geld da ist. Oder: Die Mittel für arbeitsmarktpolitische Projekte werden gekürzt, obwohl die Arbeitslosigkeit stetig steigt.
Mir kommen unsere Politiker_innen wie Verwalter_innen der Misere vor. Sind sie guten Willens, versuchen sie irgendwie die fehlenden finanziellen Ressourcen hin und her zu schieben, auch wenn es dort wie da nicht reicht. Bedeutsamer ist aber mittlerweile die Strategie geworden, verschiedene gesellschaftliche Gruppen gegeneinander auszuspielen, Neid und Rassismus zu schüren, um über die eigentlichen Probleme hinwegzutäuschen.
In der Logik „Weniger Staat, mehr Privat!“ oder „Wir müssen sparen!“ werden nur die Symptome bekämpft oder hin- und hergeschoben. Über die Ursachen wird geschwiegen oder bestenfalls der Neoliberalismus verdammt - so wie eine ungesunde Lebensweise stigmatisiert wird und darüber sinniert wird, ob diese mit noch mehr Selbstbehalten im Gesundheitsbereich bestraft werden könnte.
Es muss konkret darüber gesprochen werden, was die Ursachen für die Angriffe auf den Sozialstaat sind. Dabei komme ich nicht nur auf den Kapitalismus in seiner neoliberalen Ausprägung, sondern konkret auf die EU. Österreich hat in den letzten Jahren Verträgen der Europäischen Union zugestimmt, die den Sparzwang einzementieren sollen. Mit dem Fiskalpakt und dem Stabilitätspakt müssen die öffentlichen Haushalte zurückgebaut werden. Dabei geht es nicht nur um ausgeglichene Haushalte, sondern um die Verringerung des Teils der Wertschöpfung, der über öffentliche Kassen organisiert wird. Die EU ist ein Katalysator für die Steigerung der Gewinne der exportorientierten Konzerne.
Wenn wir wissen, dass wir mehr Sozialstaat brauchen und die EU dem diametral entgegensteht, dann wissen wir auch, dass soziale Gerechtigkeit nicht mit schönen Appellen an Brüssel zu erreichen ist, sondern nur indem
Österreich endlich Schluss macht mit dem Konkurrenzregime der Europäischen Union. Das ist dann nicht nur Symptomlinderung, sondern bekämpft das Problem grundlegend. Das Wort radikal kommt übrigens vom lateinischen radix, was Wurzel bedeuetet.