ImageMit der geplanten „Gesundheitsreform“ sind massive Einsparungen gegenüber den Bedarfsprognosen geplant - minus 3,4 Mrd. bis 2016, minus 11 Mrd. bis 2020. Damit droht ein großer Schritt Richtung Zwei-Klassen-Medizin. Hintergrund sind die EU-Budgetvorgaben, die öffentlichen Ausgaben mit dem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu „deckeln“. Eine für die Menschen und die Wirtschaft völlig falsche Entwicklung.



Nach Kaufkraftverlusten für PensionistInnen, Nulllohnrunden für öffentlich Beschäftigte und einer Verschärfung der Zugangsbeschränkungen an den Hochschulen soll nun auch der Gesundheitsbereich in die Vorgaben des EU-Fiskalpaktes gezwängt werden. Zu den wesentlichsten Bestandteilen der sog. „Gesundheitsreform“, die derzeit zwischen Bund, Ländern und Sozialversicherungsträgern verhandelt wird, zählt, dass die Ausgaben im Gesundheitsbereich nur mehr im Ausmaß des Bruttoinlands wachsen dürfen (oder mit ihm zu sinken haben). Die Beschränkung des Wachstums der öffentlichen Ausgaben auf die Entwicklung des BIP zählt zu den EU-Budgetvorgaben, die mit der Verschärfung des EU-Stabilitätspaktes („Six Pack“) beschlossen wurden und mit dem EU-Fiskalpakt über harten Sanktionen durchgesetzt werden sollen.

Zwei-Klassen-Medizin auf dem Rücken der PatientInnen

Schritt für Schritt wird die Beschränkung der öffentlichen Ausgaben nun in den einzelnen Bereichen durchexekutiert. Mit dem innerösterreichischen Stabilitätspakt wurden die Gemeinden bereits in dieses Korsett gezwängt, nun ist der Gesundheitsbereich an der Reihe. Es konnte zwar auch in der Vergangenheit von einer „Explosion“ der Gesundheitsausgaben keine Rede sein, Tatsache aber ist, dass es einen leichten Anstieg der Gesundheitsausgaben gemessen am BIP gekommen ist, von rd. 8,3% (1990) auf etwas über 9,4% (2010) (ohne Langzeitpflege). Die mit der „Gesundheitsreform“ gegenüber den Bedarfsprognosen geplante Reduktion der Ausgaben sind gewaltig: Bis 2016 sollen es minus 3,4 Milliarden sein, bis 2020 bis minus 11 Milliarden. Derartige hohe Summen lassen sich nicht über „Effektivierung“ erzielen, hier geht es um klar um die Einschränkung von Leistungen auf Kosten der PatientInnen.

Spitalsärzte Ombudsmann Harald Mayer warnt deshalb, dass die Gesundheitsreform den Weg Richtung "Zwei-Klassen-Medizin" ebnet: „Wenn das Angebot beschränkt ist, kommt es zu Wartezeiten. Und man wird sich auch zwangsläufig überlegen müssen, wer das teure künstliche Hüftgelenk bekommen soll: Der 45-jährige Sportler oder die 80-jährige Pensionistin? Für beide wird kein Geld da sein. Bei der Wahl der Therapie wird danach entschieden werden müssen, was sie kostet, nicht, was sie bringt. Wer es sich leisten kann wird weiterhin kriegen, was er braucht – wenn er es aus der eigenen Tasche bezahlt.“ (OÖN, 10.11.2012)

… und der Arbeitenden

Schon jetzt liegt bei den Arbeitsbedingungen im Gesundheitsbereich vieles im Argen: Eine Studie der Arbeiterkammer Wien und NÖ gemeinsam mit der Ärztekammer NÖ kommt zu Ergebnis, dass ein Drittel aller ÄrztInnen und des Pflegepersonals burn-out gefährdet sind. 46% bzw. 47% der Wiener bzw. niederösterreichischen GesundheitsarbeiterInnen und sogar 60% der ÄrztInnen aus NÖ sehen im Personalmangel eines der, wenn nicht das Hauptproblem in ihrem Beruf. Bei einer Kundgebung im Vorjahr in Wien kritisierte die Gewerkschaft diese Missstände scharf: „Dem Wiener Gesundheitssystem droht der Kollaps. Wiederholte Einsparungen haben zu Personalknappheit und extremer Arbeitsverdichtung geführt. Zeitgleich ist die Anzahl an Posten in der Führungsetage gestiegen, die Beraterhonorare sind explodiert. Ausgetragen wird diese unsoziale Finanzpolitik auf dem Rücken der Beschäftigten und Patienten. Sie werden kaputt gespart .“

Diese Probleme gibt es nicht nur in Wien und Niederösterreich, sondern in allen Bundesländern. Mit den weiteren milliardenschweren Sparplänen im Zuge der geplanten „Gesundheitsreform“ ist eine weitere Verschlechterung der Arbeitsbedingungen absehbar.

Dynamisches Wachstum des Gesundheitsbereichs ist kein Makel sondern wünschenswert!

Aus Sicht der Solidar-Werkstatt ist es vollkommen absurd, die Gesundheitsausgaben mit dem BIP-Wachstum zu deckeln. Wenn es Bereiche gibt, wo eine deutliche Ausweitung vernünftig und wünschenswert ist, dann in Bereichen wie der Gesundheit. Natürlich muss Verschwendung bekämpft werden, auch halten wir eine stärkere Gewichtung von Vorbeugung und Sozialmedizin anstelle einer einseitigen Apparatemedizin für sinnvoll. Aber gerade das erfordert, dass mehr Menschen in diesem Bereich arbeiten, dass die Arbeitsbedingungen verbessert werden, also letztlich auch mehr Geld dafür zur Verfügung steht. Wir treten daher für einen dynamischen Ausbau des Gesundheitsbereichs ein, wo alle Menschen, unabhängig von ihrem Einkommen, die bestmögliche Behandlung erfahren. Wir fordern die Einbeziehung der Pflege in die Sozialversicherung , um nicht nur Zwei-Klassen-Medizin sondern auch Zwei-Klassen-Pflege, wie sie derzeit schon Gang und Gebe ist, zu verhindern. Wachstum im Gesundheitsbereich oberhalb des BIP-Wachstums halten wir nicht für einen Makel, sondern für einen Ausdruck der humanen Weiterentwicklung der Gesellschaft. Gerade in Krisenzeiten steigen die Erkrankungen der Menschen vermehrt an, sie auch noch durch eine Verschlechterung der medizinischen Behandlung für den neoliberalen Krisenkurs zahlen zu lassen, ist schäbig.

Es gehört zu den tief reaktionären Aspekten der derzeitigen Entwicklung, dass Ausgaben im Gesundheits- und anderen sozialwirtschaftlichen Bereichen beargwöhnt werden, während Umsatzwachstum in industriekapitalistischen Sparten geradezu vergötzt werden. Zwischen 1995 und 2006 ist zum Beispiel der Produktionswert der automotiven Zulieferindustrie in Österreich um 160%, die Wertschöpfung in diesem Bereich um 90% gestiegen, das waren um 22% mehr als das Wachstum des BIP in diesem Zeitraum. Hat deswegen wer über Verschwendung von Ressourcen und Ausgabenexplosion in diesem Bereich genörgelt? Im Gegenteil: Als es im Zuge der Wirtschaftskrise zu einem Einbruch in der Autoindustrie gekommen ist, sprang der Staat mit Abwrackprämien zur Seite, um die Produktion wieder anzukurbeln.

Ausbau des sozialwirtschaftlichen Sektors statt neoliberaler Exportfixierung

Diese rückschrittliche Entwicklung wird über das EU-Regime angetrieben und einzementiert: Der EU-Fiskalpakt und die anderen EU-Budgetvorgaben dienen nicht dazu, gesunde öffentliche Finanzen schaffen, sie zielen vielmehr darauf ab, den sozialwirtschaftlichen Bereich zurückzudrängen bzw. in das industriekapitalistische Korsett zu zwängen. Der Sozialstaat soll – wie es EZB-Chef Mario Draghi forderte - zu einem „Auslaufmodell“ gemacht werden, um beim Kampf um die globalen Exportmärkte reüssieren zu können. Der neoliberale Crash-Kurs, der maßgeblich in die Wirtschafts- und Finanzkrise geführt hat, soll also weiter verschärft werden. Diese Politik hat auch die Einnahmengrundlagen der sozialen Kassen zunehmend ausgezehrt. Seit dem EU-Beitritt ist die Lohnquote in Österreich um 5% zurückgegangen. Infolge dessen entgingen der sozialen Krankenversicherung zwischen 1995 und 2011 Einnahmen in der Höhe von 6 Milliarden Euro . Zum Vergleich (siehe oben): Das übersteigt bei weitem die im Rahmen der „Gesundheitsreform“ bis 2016 geplanten „Kostendämpfungen“.

Die wirtschaftlichen Lösungsstrategien zur Weiterentwicklung des Gesundheitsbereich liegen daher auf der Hand: Stärkung der Lohneinkommen, Ausweitung der Sozialversicherungspflicht auf die gesamte Wertschöpfung, Umlenkung der Wertschöpfungsströme weg von einer einseitigen Exportfixierung zugunsten des Industrie- und Finanzkapital hin zu einem kräftigen Ausbau der sozialwirtschaftlichen Dienste und Infrastrukturen in den Bereichen wie Gesundheit, Bildung, Pflege, öffentlicher Verehr, erneuerbare Energien, soziales Wohnen. Das ist gut für die Menschen und auch – wenn man es nicht durch die bornierten Brillen von Konzernetagen und Großaktionären sieht – gut für die Wirtschaft.

(30.11.2012)