ImageEin Leserbrief von Alexandra Prinz, die in der Hauskrankenpflege beschäftigt ist, über die Arbeitsbedingungen in diesem Sektor. Sie meint: Würden Pflegekräfte in einem landesweiten Streik auf den Kern ihrer Arbeit aufmerksam machen, würde man rasch merken, wie wichtig diese Arbeit wirklich ist.

 

In der extramuralen Pflege werden immer Arbeitskräfte gesucht. Noch nie hat man davon gehört, dass in diesem Beruf jemand abgebaut worden wäre. Nein, es sind immer die MitarbeiterInnen selbst, die dieses Berufsfeld verlassen – und das mit gutem Grund.

Im Jahr 2010 gab es in Wien den medial aufgebauschten Fall eines Vereins, der Hauskrankenpflege anbietet, weil es Änderungskündigungen gab. Langgediente MitarbeiterInnen hätten auf viele Vorteile des alten Vertrages verzichten und die Bedingungen des neuen Vertrages, der finanziell um einiges schlechter ist, akzeptieren sollen. Wer nicht unterschrieb, handelte sich damit die Kündigung ein. Ältere MitarbeiterInnen, die zwar noch nicht das gesetzliche Pensionsalter erreicht hatten, wurden mit einer entsprechenden Abfertigung belegt, viele unterschrieben und arbeiten nun unter weit schlechteren Bedingungen weiter und die, die gingen, fingen andernorts – unter ebenfalls schlechten Bedingungen an.

Warum jedoch sind die Bedingungen in der extramuralen Pflege so schlecht?

Ein Beispiel eines Klientenpaares, das zumindest finanziell vordergründig abgesichert ist:

Hr. M. ist 65 Jahre alt. Er lebt in einem Gemeindebau im 5. Stock, hat aufgrund seiner schlecht  behandelten Diabetes beide Beine amputiert und leidet an COPD, KHK sowie diversen kleineren Krankheiten. Aufs WC kann er kaum gehen, da er mit seinen beiden Prothesen nur mäßig gehfähig ist.

Dazu kommt noch, dass Hr. M. nicht alleine lebt, sondern für seine seit 1986 an Multipler Sklerose erkrankte Gattin sorgt. Beide studierten in den 70er Jahren Welthandel, haben die Schweiz und Deutschland bereist und auch dort gearbeitet. Heute liegt Frau M. nur noch im Bett und kann sich selbständig kaum rühren. Ihre fortgeschrittene Krankheit erlaubt ihr nicht einmal, selbst zu trinken, Nahrung kann sie nur noch in Breiform zu sich nehmen.

Diese beiden Menschen sind vollkommene Pflegefälle. Die Pension von Hr. M. ist zwar ausreichend, da er als ehemaliger Ministerialbeamter gut verdient hat, das ist aber für viele pflegebedürftige Menschen nicht der Regelfall. Das Gros der DurchschnittspensionistInnen hat eine Pension zwischen 800 – 1000 Euro und in der Mehrheit sind es Frauen, die im hohen Alter zu Pflegefällen werden.

Es hat sich über die Jahre eingebürgert, dass in der Hauskrankenpflege nur ältere MitarbeiterInnen und auch sehr viele MigrantInnen tätig sind. Für viele junge Krankenschwestern aus dem stationären Bereich sind die Anforderungen in der häuslichen Pflege einfach zu hoch, die Verantwortung zu viel, das Gehalt zu schlecht. Warum soll man sich für weniger Geld noch mehr anstrengen? Denn eines steht fest: Das Geld in der mobilen Pflege ist noch härter verdient als im stationären Bereich.

Weder gibt es eine Kollegin, die man zu Hilfe rufen könnte, wenn es um den Transfer einer immobilen, schweren KlientIn geht, Hilfsmittel stehen oft nicht zur Verfügung, Räume für großzügige Transfers sind meist zu klein. In Wien gibt es immer noch Wohnungen ohne Warmwasseranschluss, Wasser für die Körperpflege muss am Gasherd erst erwärmt werden, Licht in der Küche ist kaputt, Töpfe unabgewaschen, der Durchlauferhitzer ebenfalls kaputt.

Überlange Wegzeiten, Abenddienste, nicht berufsadäquate Einsätze (Diplomierte machen in überwiegendem Maß Pflegehelfertätigkeit), klimatische Erschwernisse (im Winter kalt, im Sommer heiß, die Vereine stellen keine adäquate Dienstkleidung zur Verfügung) machen die Arbeit zermürbend.

Die hygienischen Umstände entsprechen nicht in allen Haushalten den erforderlichen Mindeststandards, als Pflegeperson muss man auch das in Kauf nehmen. Solange der/die KlientIn nicht besachwaltet ist, kann niemand ihn/sie aus der Wohnung bringen, was bis zu einem gewissen Grad auch zum Schutz der/des KlientIn gut ist. Für Pflegekräfte in der extramuralen Pflege gibt es jedoch keine gesetzlich definierten Mindeststandards, unter denen sie arbeiten müssen. Das bedeutet jedoch, dass eine Pflegefachkraft allen – selbst den widrigsten -  Gegebenheiten standhalten und ihren Beruf mit Professionalität ausüben muss.

Von Piloten und Ärzten weiß man, dass sie für die Verantwortung, die sie den Menschen gegenüber haben, in der Regel gut bezahlt sind, verglichen mit Pflegekräften, deren fachkompetente Handlung um nichts weniger wert ist, da in den Händen von Pflegekräften die Pflege des Lebens liegt! Würden Pflegekräfte in einem landesweiten Streik in Deutschland (Österreich) auf den Kern ihrer Arbeit aufmerksam machen, würde man rasch merken, wie wichtig diese Arbeit wirklich ist.

Die Gewerkschaften in Österreich sind weit entfernt davon, einen konzertierten Streik auszurufen. Die Pflegekräfte sind im Bundesland Wien in vier verschiedene Gewerkschaften aufgeteilt, die da z. B. Vida, GPA-djp, GÖD und HGII heißen. Diese unterscheiden sich parteipolitisch und sind im Großen und Ganzen zwischen SPÖ und ÖVP angesiedelt. Da beide Koalitionsparteien nicht das geringste Interesse haben, mehr Geld in die Bezahlung der Pflegekräfte zu investieren sowie in die Pflege generell und das Sozialministerium nach 2014 noch keinen Plan hat, wie die Pflege für die wachsende Zahl an Pflegebedürftigen tatsächlich organisiert und finanziert werden soll, ist kein Hoffnungsschimmer in Sicht, wenn es darum geht, den chronischen Mangel an Pflegepersonal zu beheben bzw. jene Menschen, die bereits in der Pflege tätig sind, mit attraktiven Angeboten zu halten. Die Durchschnittsverweildauer im Pflegeberuf beträgt laut NEXT-Studie sechs Jahre.

Was wären z. B. attraktive Arbeitsbedingungen: familiengerechte Arbeitszeiten, Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten, entsprechende finanzielle Zulagen und ein attraktives Gehalt, das den traditionellen Frauenberuf auch für Männer attraktiv macht, Überstunden nur nach Übereinkunft mit der/dem ArbeitnehmerIn und entsprechend abgegolten, ausbildungsgerechte Bezahlung. (In Österreich verdient eine diplomierte Krankenschwester, die ein Master-Studium abgeschlossen hat, in Teilzeit gerade einmal 1.100.-€ netto, formale Berufsabschlüsse werden nicht anerkannt, auch wenn man mit einem angeschlossenen Studium meist höher qualifiziert ist als die Pflegedienstleitung).

Warum lässt sich ein Generalstreik in der Pflege so schwer durchsetzen? Es braucht einen „Tsunami in der Pflege“, sagt die deutsche Journalistin Anette Dowideit.

Zum einen liegt es an den Pflegekräften selbst, die – durch die Geschichte der Pflege bedingt – gewohnt sind, zu dienen und unentgeltlich zu arbeiten. Es hat sich noch immer nicht ausreichend herumgesprochen, dass Frauen nicht nur DAZU verdienen, sondern von ihrem Gehalt mitunter ganze Familien zu versorgen haben, denn auch in Österreich ist die Anzahl an AlleinerzieherInnen im Zunehmen, die bei schlecht bezahlter Teilzeitarbeit schnell in die Armutsfalle abgleiten.

Pflegekräfte in Österreich verfügen häufig über eine sehr geringe formale Schulbildung (die Pflegeausbildung ist in der Regel nach 10 Schulstufen zu absolvieren). In der Hauskrankenpflege finden sich überproportional viele MigrantInnen, die aufgrund mangelhafter Sprachkenntnisse in Wort und Schrift auch nicht das notwendige Pouvoir haben, sich bei BetriebrätInnen und GewerkschaftsvertreterInnen Gehör zu verschaffen. (Das Wissen um demokratiepolitische Initiativen ist nicht nur bei Pflegekräften, dort jedoch besonders ausgeprägt, mangelhaft.) Meist sind diese institutionellen VertreterInnen nicht aus der Pflege kommend und wissen gar nicht, unter welchen Bedingungen Pflegekräfte  arbeiten und mit welchem Einkommen sie wirklich auskommen müssen.

Wer sich in der Pflege Gehör verschafft, macht sich nicht beliebt. Man versucht solche Menschen mundtot zu machen. Das geht so weit, dass Menschen, die offen Missstände in der Pflege kritisieren, gekündigt werden, wie der Fall „Brigitte Heinisch“ in Deutschland zeigt.

Da nicht nur Deutschland und Österreich ein wachsendes Problem mit der demografischen Entwicklung haben und ebenso mit einer zu geringen Anzahl an Pflegekräften, stellt sich die Frage, warum man diese nicht nach schweizerischem/skandinavischem Vorbild bezahlen will, um eine weitere Ausdünnung dieser Berufsgruppe zu vermeiden. Allerdings sind die Pflegekräfte nicht davon ausgenommen, ihre Hausaufgaben zu machen und über die Berufsvertretungen entsprechende Forderungen zu stellen. Die Ärzte tun es schließlich auch. Formal und vor dem Gesetz sind die Pflegekräfte den Ärzten als Berufsgruppe seit 1997 gleichgestellt (in Österreich).

Alexandra Prinz, Wien

Weitere Informationen zu diesem Thema siehe auch das Dossier "Pflege in die Sozialversicherung!"