Image Interview mit der Pflegeexpertin und Werkstatt-Aktivistin Tanja Kaizar (Wien) über die Situation der Pflege in Österreich. Sie fordert die Finanzierung der Langzeitpflege durch die Sozialversicherung und berichtet über positive Erfahrungen aus Dänemark. Ihr Grundsatz: Es kommt nicht nur drauf an, wie alt man wird, sondern wie man alt wird.


WERKSTATT-Blatt: Woran krankt Deiner Meinung nach das Pflegesystem in Österreich?

Tanja Kaizar: Da weiß ich gar nicht, womit ich anfangen soll. Ich beginne bei der mir unverständlichen Trennung zwischen kurativer Medizin und Langzeitpflege. Zur kurativen Medizin: Es ist in Österreich dafür gesorgt, dass Erkrankungen jeder Art behandelt werden. Durch den praktischen Arzt, eine Fachärztin oder ein Krankenhaus erfolgt eine entsprechende Diagnose. Da fast 100% der Menschen in Österreich sozial- und damit auch krankenversichert sind, erhalten sie mit Zahlung eines Selbstbehaltes (der in den letzten Jahren ziemlich rasch angestiegen ist) auch die entsprechende Behandlung. In der Langzeitpflege ist das nicht so, da die Sozialversicherung dafür nicht zuständig ist. Dieser Bereich ist ein weites Feld mit sehr unterschiedlichen Verantwortlichkeiten. Für die Gewährung des Pflegegeldes ist das Sozialministerium zuständig. Die Durchführung der Pflege liegt hauptsächlich im privaten Bereich. Immerhin werden 80% der Pflegebedürftigen von ihren Angehörigen betreut (in 80% sind es Frauen, die dies auf sich nehmen). Der weitaus geringere Anteil liegt in der Hand von öffentlichen und privaten Pflegeheimen mit sehr unterschiedlicher Pflegequalität. Diese Trennung ist für mich nicht nachvollziehbar.

Ganz unverständlich wird dies, wenn man an die Demenz denkt. Das ist eindeutig eine medizinische Diagnose – also Krankheit – und die Auswirkung ist eben die Pflegebedürftigkeit.

Als ein weiteres Problem sehe ich die fehlenden Maßnahmen der Verantwortlichen aus Problemen, die seit Jahren bzw. Jahrzehnten bekannt sind. So ist bereits in den 80 er Jahren bekannt, dass für den Langzeitpflegebereich vermehrt Mittel und Maßnahmen zu entwickeln sind. Nach dem Skandal in Lainz 1989 haben das auch alle Verantwortlichen zugesagt. Leider folgten viele weitere Missstände und ist den Medien manchmal auch eine Notiz wert, allerdings blieben die versprochenen Reformen noch immer aus. Um nur ein Beispiel zu nennen. Im Langzeitpflegebereich sind mehr als die Hälfte der betreuten Menschen unterernährt. Wer Pflegebedürftigen jemals beim Essen geholfen hat, der/die weiß, wie lange es dauert, bis eine Mahlzeit verabreicht ist. Auch die Hilfe beim Trinken ist zeitaufwendig und braucht viel Geduld. Gerade in den Pflegeheimen sind viel zu wenig Pflegende für die ihnen anvertrauten Menschen da. Von anderen Vernachlässigungen will ich gar nicht reden. Es gibt schon auch sehr gute Pflegeheime – es ist nicht gesagt, dass private besser sind. Das hängt sehr oft mit dem persönlichen Engagement zusammen, allerdings bedeutet das auch meist, dass sich die Pflegenden selbst ausbeuten.

Ein weiteres Problem ist die fehlende Struktur der Pflege. Die größte Berufsgruppe im Gesundheitsbereich hat wenig bis keine Mitsprache bei den Entscheidungen. Sie ist weder auf Bundesebene (abgesehen von einer Person im Gesundheitsministerium) noch in den Ländern als Entscheidungsträgerin vorgesehen. Das hat mehrere Gründe. Einerseits ist die Pflege in Österreich traditionell eine Berufsgruppe, die sich sehr wenig am politischen Leben beteiligt. Es gibt auch Berufsgruppenvertretungen, allerdings repräsentieren diese nur ca. 20 % der Pflegenden und haben somit nicht die notwendige Durchsetzungskraft (wenn man sich im Vergleich dazu die Ärzt/innen ansieht). Andererseits oder daraus folgernd ist die Ausbildung der diplomierten Pflegeperson noch nicht, wie in allen anderen OECD Ländern auf Fachhochschulniveau. Im universitären Bereich wurde zwar im vergangenen Jahrzehnt begonnen, allerdings sind keine akademischen Positionen im Gesundheitsbereich für die Pflege vorhanden.

WERKSTATT-Blatt: Was müsste sich ändern? Welche positiven Erfahrungen hast Du in anderen Ländern dazu gemacht?

Tanja Kaizar: Die Sozialversicherung müsste auch die Langzeitpflege finanzieren. Das wäre ein erster wichtiger Schritt, damit Pflegeabhängige nicht von der „Güte“ der Pflegegeldeinstufung, die oft um eine Stufe geringer ausfällt, abhängig sind.

Jetzt gehe ich über die Eingangsfrage etwas hinaus. Ich denke, dass es an der Zeit ist, auch über das Gesundheitswesen insgesamt zu reden. Es sollte wesentlich mehr in die Vorbeugung von Krankheiten investiert werden. Damit beschränke ich mich nicht auf die von den Gesundheitsministern der EU propagierten wie gesunde Ernährung, Antiraucher/innenkampagnen und ähnliches. Ich finde diese ‚pädagogischen Appelle’ recht zynisch, auch weil sie vermitteln, dass jede/r selbst für seine/ihre Gesundheit voll verantwortlich ist. Mittlerweile wissen wir doch, dass uns auch/vor allem die Umstände krank machen (Armut macht krank!, das weiß mittlerweile auch der Gesundheitsminister). Ich meine, dass unsere gesamten Lebens- und Arbeitsbedingungen gesundheitsfördernd gestaltet werden sollten.

Bevor ich zu sehr abschweife, möchte ich etwas über meine Erfahrungen aus Dänemark berichten. Bereits in den 80ern begann in Dänemark die Umstrukturierung der Langzeitpflege, indem sie diesen Bereich massiv ausbauen und an die Erfordernisse anpassten. Damals war auch die Pflege bei der Planung mit einbezogen. Es ist ein bedarfsorientiertes System, welches aus Steuergeldern finanziert wird und die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten sind klar geregelt. Durch den Auf- /Ausbau der 24-Stunden-Pflege und die Begründung neuer Wohnformen konnte Dänemark seine Kosten in der Langzeitpflege von 2,4% (1985) auf 2,2% des BIP (1995) verringern und dies bleibt auch in Folge relativ stabil. Die Gemeinden erbringen die Pflegeleistungen und die Regionen (erhalten das Geld vom Staat) sind für die Finanzierung verantwortlich. Es besteht das Sachleistungsprinzip. Das heißt, dass der Bedarf von qualifizierten Pflegenden erhoben wird und entsprechende Maßnahmen geplant werden. (Wenn Angehörige die Pflege teilweise übernehmen, so werden sie dafür entsprechend bezahlt). Eine Unterbringung in einem Pflegeheim kann auf eigenen Wunsch erfolgen oder, wenn die Betreuung zu Hause nicht mehr gewährleistet werden kann. An erster Stelle steht die rechtzeitige Erkennung eines möglichen Pflegebedarfs, welche seit 1998 zwei Mal jährlich bei Menschen ab dem 75. Lebensjahr mittels präventiver Hausbesuche durch eine Pflegeperson erhoben wird. Durch den Ausbau der ambulanten Versorgung und einer guten Zusammenarbeit der Spitäler mit den Gesundheitszentren hat Dänemark im Jahr 2005 lediglich 370 Spitalsbetten pro 100.000 Einwohner/innen. Österreich hat 768 Spitalsbetten pro 100.000 Einwohner/innen. Die Gesundheitsausgaben im Jahr 2005 betragen in Dänemark 9,4% des BIP, Österreich gibt 10,2% des BIP dafür aus. Außerdem gibt es in Dänemark fast doppelt so viele Pflegende als in Österreich. Sie sind sehr gut ausgebildet und sind zu über 90% in ihrem Berufsverband organisiert. Besonders gut gefällt mir, dass sie in Krankenhäusern eigene Forschungsbereiche haben und gemeinsame Forschungen mit anderen Berufsgruppen durchführen.

Ich denke, es ist in Österreich dringend notwendig der Pflege den ihr gebührenden Stellenwert ein zu räumen. Beispielsweise sollte die Pflege die Pflegegeldeinstufung durchführen, die zu ihrer gesetzlich fest gelegten Verantwortung (Pflegebedarf erheben, GUKG § 14) gehört. Des Weiteren ist es notwendig, dass Pflege auch im tertiären Bildungssektor angesiedelt wird. Wir brauchen auch Forschung, damit wir die Gegenwart gut bewältigen können und gute Argumente haben uns einzumischen.

WERKSTATT-Blatt: Warum ist es wichtig, die BürgerInnen-Initiative der Solidarwerkstatt zu unterstützen?

Tanja Kaizar: Letztendlich wird das Thema Langzeitpflege viele Menschen direkt und/oder indirekt betreffen. Ich möchte keinesfalls in einem Pflegeheim unterernährt und wundgelegen meine letzten Jahre verbringen. Daher denke ich, dass so viele Menschen wie möglich, diese Initiative unterstützen sollten, damit die Verantwortlichen endlich menschenwürdige und bedarfsgerechte Pflege ermöglichen. Mein Motto: Es kommt nicht darauf an wie alt ich werde, sondern wie ich alt werde!

Parlamentarische BürgerInnen-Initiative "PFLEGE IN DIE SOZIALVERSICHERUNG!":
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