Die Werkstatt Frieden & Solidarität lädt zu einem Diskussionsabend zum Thema Pflege ein:
Donnerstag, 30. September 2010
Beginn: 18.30 Uhr
Ort: Werkstatt-Büro (Waltherstr. 15, 4020 Linz)
Diskussion zu Vorschlägen für bedarfsorientierte Pflegeleistungen und eine Einbindung der Pflege in das Sozialversicherungssystem (sh. untenstehende Überlegungen dazu). Die Werkstatt möchte in diese Richtung eine Bürgerinitiative starten. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen!
Überlegungen der Werkstatt Frieden & Solidarität zum Thema Pflege
Mit dem Pflegegeld hat sich Österreich 1993 für das Geld- statt das Sachleistungsprinzip entschieden. Wir halten das für eine Fehlentwicklung. Denn das führt dazu, dass einerseits viel Geld sachfremd ausgegeben wird; andererseits das Geld bei hohem Pflegebedarf oft nicht annähernd für eine umfassende Pflege ausreicht. Pflege wird dadurch zum Armutsrisiko bzw. führt zur Überlastung des familiären Umfeldes. Diese Privatisierung des Pflegerisikos lehnen wir ab. Jeder und jede soll Anspruch auf öffentlich finanzierte, qualitativ hochwertige Pflegeleistungen haben, die er/sie – ähnlich wie bei einer Krankenbehandlung - frei wählen kann. Wichtig dafür ist ein dichtes, vielfältiges Netz an öffentlichen und gemeinnützigen Pflegediensten und –einrichtungen. Auch die pflegenden Angehörigen, die derzeit noch 80% der Pflegeleistungen erbringen (davon wieder 80% Frauen) sollen in dieses Netz eingebunden werden, um die prekäre Situation pflegender Angehörigen überwinden zu können. Pflegenden Angehörigen soll die Möglichkeit einer ordentlich entlohnten und sozialversicherungsrechtlich abgesicherten Beschäftigung bei Pflegediensten oder Kommunen eröffnet werden, die an spezifische Ausbildungsprogramme gekoppelt sind. Ein solches Modell gibt es derzeit etwa in Schweden.
2. Einbindung der Pflege in das Sozialversicherungssystem
Derzeit haben wir eine eklatante Ungleichbehandlung von Kranken- und PflegepatientInnen. Während die einen über die Krankenversicherung Anspruch auf gleiche, öffentlich finanzierte Behandlungsleistungen haben, fallen die Pflegebedürftigen aus dem sozialen Sicherungsnetz heraus. Das führt oft dazu, dass sich viele von ihnen im letzten sozialen Netz, der Sozialhilfe, wieder finden. Das wiederum verschärft die ohnehin schon extrem prekäre finanzielle Situation der Kommunen zusätzlich. Die Sozialkosten der Gemeinden steigen derzeit jährlich zwischen 10 und 15%. Das WIFO rechnet damit, dass die Pflegekosten von. 1,13% des BIP (2006) auf rd. 1,96% des BIP bis 2030 steigen werden. Das ist in einem reichen Land wie Österreich natürlich finanzierbar, wenn wir eine nachhaltige und solidarische Finanzierungsgrundlage schaffen. Wir treten deshalb dafür ein, die Pflege in die Sozialversicherung bzw. die soziale Krankenversicherung zu integrieren. Das ist fachlich sinnvoll, denn faktisch ist der Übergang zwischen Kranken- und Pflegebehandlung ohnehin fließend. Damit kann sichergestellt werden, dass jede/r – unabhängig von seinem Einkommen – einen Rechtsanspruch auf die gleichen, am individuellen Bedarf ausgerichteten, hochwertigen Pflegeleistungen hat. Außerdem kann damit eine stabile Finanzierungsgrundlage für den wachsenden Pflegebedarf geschaffen werden. Dafür sind allerdings einige Änderungen im Bereich der Sozialversicherung erforderlich:
- Ausweitung der Bemessungsgrundlage für die Sozialversicherung auf die gesamte wirtschaftliche Wertschöpfung (also neben Löhnen und Gehältern auch Gewinne, Abschreibungen, Mieten, Pachten, Fremdkapitalzinsen)
- An- bzw. Aufhebung der Höchstbeitragsgrundlage im Bereich der Kranken- und Pflegeversicherung
- Lückenschluss im SV-Systems, um 100% der Bevölkerung zu erfassen.
- Wahl der Versicherten-VertreterInnen durch die Kranken- und Pflegeversicherten
- Sicherstellung der finanziellen Grundlagen durch Vollbeschäftigungspolitik und Anhebung der Lohnquote.
3. Mehr qualifiziertes Pflege- und Betreuungspersonal - Attraktivierung der Pflegeberufe
Eine Wifo-Studie geht davon aus, dass sich die Zahl der zu Pflegenden in den nächsten 10 Jahren verdoppeln bis verdreifachen wird. Entsprechend steigt auch der Bedarf an qualifizierten Pflegekräften, insbesondere weil auch die Möglichkeiten der familiären Pflege abnehmen (geringere Anzahl von Kindern, mehr Berufstätigkeit von Frauen). Schon jetzt fehlen sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich Pflegekräfte an allen Ecken und Enden. Im internationalen Vergleich rangiert Österreich mit 5,89 Pflegepersonen bezogen auf 1.000 EinwohnerInnen an 24. Stelle von 39 europäischen Ländern. Das kontrastiert damit, dass der Status von Pflegeberufen noch immer sehr gering ist: Hohe körperliche und psychische Belastung stehen geringe Entlohnung und mangelnde Wertschätzung durch die Gesellschaft gegenüber. 30% aller Pflegebeschäftigten sind burn-out gefährdet. In der Pflegeforschung werden vor allem zwei Voraussetzungen einer optimalen Pflege festgestellt: eine möglichst geringe Anzahl von PatientInnen/KlientInnen, die eine Pflegeperson zu betreuen hat, und ein hoch qualifiziertes Pflegepersonal. Wir brauchen daher:
- gerechte Entlohnung für diese wertvolle Tätigkeit und Verbesserung der Arbeitsbedingungen
- besserer Betreuungsschlüssel (Senkung der PatientInnen/KlientInnen pro Pflegeperson) um die Qualität der Pflege zu verbessern und Überlastung und burn-out vorzubeugen.
- Ausbau der öffentlicher bzw. gemeinnütziger Dienste besonders im Bereich der ambulanten Pflege (auch in der Nacht und an den Wochenenden), der teilstationären Pflege (Tagesheimzentren) und der Kurzzeitpflegeplätze.
- Weiterentwicklung und Verbesserung der Pflegeausbildung; keine Nivellierung nach unten.
4. Mehr Investitionen in Vorbeugung, Früherkennung und Vernetzung
Natürlich kann und soll auch gespart werden, aber nicht bei der Qualität der Pflege sondern human und intelligent, indem in die Verbeugung, Früherkennung und Vernetzung investiert wird. Zum Beispiel:
- Automatische Pflegebedarfserhebungen ab einem bestimmten Alter (wie es derzeit z.B. in Dänemark bereits erfolgreich praktiziert wird)
- Verbesserung der Vorbeugemaßnahmen zur Erhaltung von Gesundheit und Vitalität (gesunde Ernährung, körperliche Bewegung, geistige Flexibilität, seelisches Wohlbefinden)
- bessere Vernetzung des mobilen, ambulanten, teilstationären und stationären Bereichs sowie der Schnittstellen zum Gesundheitssystem. Durch mehr medizinische und pflegerische Angebote im Alten- und Pflegeheimen können teure Spitalsaufenthalt vermieden werden (So gibt z.B. Dänemark 9,1% des BIP für das Gesundheitssystem aus, davon 3% für die Langzeitpflege; Österreich gibt 10,2% des BIP für das Gesundheitssystem aus, davon 0,7% für die Langzeitpflege)
- Einbeziehung der Raumplanung in die Pflege, um die Integration von Pflegebedürftigen in ihrem gewohnten Wohnumfeld zu verbessern und stationäre Pflege zu vermeiden. (Förderung neuer Wohnformen, wie Wohngruppen und betreutes Wohnen)
Wir freuen uns über Stellungnahmen und Diskussionsbeiträge dazu!